Liebe Leserinnen und Leser,

der Salat hat gewonnen. Das britische Boulevardblatt Daily Star („Home of Fun Stuff“) hatte Wetten angenommen, wer länger durchhält: die Konservative Liz Truss als Premierministerin oder ein Kopfsalat vom Discounter, bis er welk wird. Das Kopflos-gegen-Salatkopf-Rennen war per Livecam zu besichtigen, zuletzt standen die Wetten sechs zu eins – für den noch immer taufrisch aussehenden Salat. Nun gab Liz Truss auf, und geht damit in die Geschichte ein als Regierungschefin, die bis zu ihrer Rücktrittsankündigung eine Queen und einen King erlebte. In nur 45 Tagen. Am längsten hält sich übrigens jemand ganz anderes im Amtssitz, Downing Street Number 10: Larry, seines Zeichens „Chief Mouser to the Cabinet Office“ kommt inzwischen auf elf Jahre. Damit schlägt der Kater bislang alle Tory-Regierungen.

Ungrüner Gipfel

Nicht ganz so lange dauerte es, bis die Grünen sich von den letzten ihrer wirklich grünen Positionen verabschiedeten. Das konnte man auf ihrem Bundesparteitag in Bonn – die passende Stadt für Retro-Politik im Stile der alten Republik – ebenfalls live mitverfolgen. „Wenn unsere Welt in Frage steht: Antworten“ lautete das Motto, und die Antworten der Grünen auf drängende Fragen unserer Zeit fielen gewöhnungsbedürftig aus: AKWs sollen weiterlaufen dürfen, Lützerath darf abgerissen werden, weil RWE die Braunkohle unter dem sterbenden Dorf verbrennen will. Daran konnte auch Luisa Neubauer, die den Anwesenden nach allen Regeln der Kunst die Leviten las, nichts ändern.

Ein weiterer Streitpunkt wurde, ganz ungrün, waffenfreundlich abgeräumt: Saudi-Arabien darf sich weiter über deutsche Rüstungsexporte freuen. Annalena Baerbock rechtfertigte dies mit alten Verträgen und den ansonsten drohenden Einsparungen im sozialen Bereich – eine interessante Neuigkeit. Denn dass deutsche Kita-Plätze auch im Jemen-Krieg verteidigt werden, in dem das saudi-arabische Regime auch mittels deutscher Kampfjet-Ausrüstung Kindergärten bombardiert, war mir bislang entgangen. Interessant war auch die Lektüre der Sponsoren- und Gästestand-Liste der Veranstaltung: Man hätte sie demnach auch „The German Greens 2022 – brought to you by Bayer, Gesamtmetall & the German Geflügelwirtschaft“ nennen können.

Wenig Wumms

Immerhin, man traf Entscheidungen. So wie Bundeskanzler Olaf Scholz diese Woche mit seinem Machtwort zum Atomstreit zwischen Grünen und der FDP, bei dem er von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch machte. Zum ersten Mal, seit die Ampel regiert. Dabei drängt sich die Frage auf, warum er („Wer Führung bestellt...“) dies nicht auch an anderen verhärteten Fronten tut: beim kompromisslosen Ausbau der Erneuerbaren zum Beispiel. Oder um die vielen Solaranlagen einschalten zu lassen, die in Deutschland längst am Netz hängen, aber noch immer auf amtliche Genehmigungen warten. Oder beim Tempolimit. Dies kurzerhand per Dekret durchgesetzt, würde nicht nur endlich seine Ampelpartner auch in dieser Sache befrieden, sondern dazu noch auf einen Schlag mehr CO2 einsparen als der fragwürdige Weiterbetrieb der AKWs.

Kein Wunder, dass jüngere Klimaschützerinnen und -schützer weltweit mit immer radikaleren Protestformen auf die Politik des „Immer weiter so“ reagieren. In Berlin lösten sie Fehlalarme in Bundesministerien und im Bundestag aus, in London schleuderten sie Tomatensuppe auf ein Van-Gogh-Gemälde (Ausgerechnet die Sonnenblumen! Ging das etwa an die Grünen?), dazu Autobahnblockaden – all dies führt bislang allerdings nicht zu einer echten Klimaschutzpolitik, sondern zu Diskussionen, ob man die „Klima-Chaoten“ dafür in den Knast stecken soll. Vielleicht hätten die jungen Menschen lieber Öl-, Kohle- oder Gasmanager werden sollen, dann würden sie statt Gefängnisstrafen eher staatliche Subventionen und politischer Einfluss erwarten. Immerhin erreichten die Demonstrantinnen der Organisation “Just Stop Oil” mit ihrer Aktion ein Millionenpublikum. Die Suppenkonserve noch in der Hand, rief Phoebe Plummer vor der Londoner National Gallery der britischen Regierung zu: Ist es okay, dass Fossile dreißigmal so viel gefördert werden wie Erneuerbare? Ist es okay, dass die Regierung gerade hunderte neuer Lizenzen für den Abbau fossiler Brennstoffe ausstellt?

Dass Liz Truss nicht genau dafür zurücktreten musste, sondern weil die Finanzmärkte einbrachen, ist die eigentliche Tragödie. Aber aus dem deutschen Glashaus sollte man nicht mit Steinen werfen. Oder mit Tomatensuppe. Denn auch unser Bundeskanzler, Olaf Scholz, hat sich diese Woche bei allen Regierenden mit größeren Klima-Ambitionen so richtig unbeliebt gemacht. Er forderte auf einem EU-Gipfel zur Energiekrise, dass Europa den Bau neuer Gasfelder, zum Beispiel im Senegal, unterstützt – „um die Pariser Klimaziele zu erreichen“. Wie auch immer das gehen soll. Die Grünen fragt man dieser Tage wohl lieber nicht. Auch wenn sie sicher auch hier um eine Antwort nicht verlegen wären.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende!

Unterschrift

Thomas Merten
Redakteur