Im Norden Patagoniens lagern einige der größten Schiefergas- und Schieferölvorkommen der Welt. Ihre Gewinnung durch Fracking, die meist internationale Konzerne gerade beginnen, sorgt für gefährliche Beben, vergiftete Böden und Nöte bei der Trinkwasserversorgung. Vom Reichtum, den Argentiniens Regierung versprach, kommt bei der Bevölkerung kaum etwas an. Vor allem die Indigenen, die seit Jahrhunderten in Vaca Muerta leben, leisten Widerstand gegen die weitere Zerstörung ihrer Heimat.
In Añelo gibt es jetzt ein Casino. Für die Öl- und Gasarbeiter, die sich hier nach ihrer Schicht die Zeit vertreiben, selbst dann, wenn es mal spät werden sollte. Die Automaten und die Spieltische stehen rund um die Uhr zur Verfügung. 24/7.
Bis vor ein paar Jahren war die Kleinstadt in der Provinz Neuquén ein abgeschiedener Ort an der Landstraße 7. Dann entdeckten Forschende Öl und Gas in der Region, die „Vaca Muerta“ genannt wird, übersetzt: tote Kuh. Hier liegt, mutmaßlich, das zweitgrößte Schiefergas- und das viertgrößte Schieferölvorkommen der Welt. Seitdem sind sie alle da. Shell fördert bereits 4500 Fass am Tag, bis 2025 sollen es 70.000 werden. Der US-Konzern Chevron hat gerade Investitionen von einer halben Milliarde Dollar angekündigt. Wintershall ist vor Ort, ExxonMobil, Total, Petrobras, Dow Petrochemical, BP und Argentiniens Staatsunternehmen Yacimientos Petroliferos Fiscales (YPF) sowieso. Añelos Einwohnerzahl hat sich verfünffacht.
1700 Frackingtürme wurden bislang errichtet, der Regierung nach sollen es mehr als 50.000 werden. Sie treiben Bohrer kilometerweit in die Tiefe und sprengen mit Wasser, Sand und Chemikalien Risse ins Gestein, um Gas und Öl herauspumpen zu können. Das Verfahren führte seit 2018 zu über 350 kleinen Beben, viele Häuser zeigen Risse in den Wänden. Die stau bige, nach faulen Eiern stinkende Luft verursacht Kopfschmerzen. Die donnernden Lkw und das künstliche Licht, das nachts die Anlagen beleuchtet, vertreiben die heimischen Tiere. Dazu kommen Gaslecks aus den Bohrlöchern, die immer wieder in Flammen aufgehen. Auf illegalen Müllhalden versickern hochgiftige Abfallstoffe. Die Wasservorräte gehen zur Neige.
Die Regierung verspricht „25 Milliarden Dollar“ neue Exporteinnahmen im Jahr, wenn in Vaca Muerta erst einmal alle Anlagen laufen. Doch der erste Goldrausch ist längst vorbei, es gibt längst keinen günstigen Wohnraum mehr. Die Gehälter der Arbeiter reichen nicht mehr, um die ständig steigenden Lebenshaltungskosten zu decken. Den indigenen Mapuche, die hier seit Jahrhunderten leben, bleibt der Zugang zu den neuen Jobs verschlossen, die Fachkräfte kommen von auswärts. Ihren Protesten begegnet die Regierung mit hochgerüsteten Sicherheitstruppen, die Blockaden oder Demonstrationen brutal niederschlagen.
Zwar gab es – niedrige – Ausgleichszahlungen an die Indigenen für den Verlust ihres Landes, aber vor allem subventioniert Argentiniens Regierung auch die ausländischen Öl- und Gasunternehmen mit Milliarden. Studien zufolge könnten die ökologischen und gesundheitlichen Schäden für die gesamte Ausbeutung von Vaca Muerta einmal bis zu fünf Milliarden Euro betragen – die möglichen Einnahmen aber nur zwei. Bundeskanzler Olaf Scholz hielt all dies bei seinem Besuch Ende Januar in Buenos Aires nicht davon ab, auf baldige Gaslieferungen nach Deutschland zu drängen. Dass intensives kommerzielles Fracking in Deutschland aus guten Gründen verboten ist, erwähnte er nicht. Solange die Zerstörungen weit weg sind, kann Deutschlands Regierung offenbar gut mit dem dreckigen Fracking-Gas leben.
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 5.23 "Dunkelmänner". Das Greenpeace Magazin erhalten Sie als Einzelheft in unserem Warenhaus oder im Bahnhofsbuchhandel, alles über unsere vielfältigen Abonnements inklusive Prämienangeboten erfahren Sie in unserem Abo-Shop. Sie können alle Inhalte auch in digitaler Form lesen, optimiert für Tablet und Smartphone. Viel Inspiration beim Schmökern, Schauen und Teilen!