À la Saison
Betörende Beete
Ihr veganes Blut ist nichts für Vampire. Dass großer Genuss unsterblich ist, beweist Beta vulgaris var. conditiva auch so. Die Rote Rübe ist unser Gemüse der Saison im literarischen Porträt
„Die Rote Bete ist das intensivste aller Gemüse.“ So beginnt der US-Autor Tom Robbins 1984 seinen Roman „Pan Aroma“. Die Rote Bete leide bereitwillig: „Soll mal jemand versuchen, aus einer Steckrübe Blut zu quetschen.“ Sie sei „der Mörder, der an den Tatort zurückkehrt“ und Rasputins Lieblingsgemüse: „Man konnte es seinen Augen ansehen.“ Sie sei „bärtig, begraben“ und „alles, nur nicht leblos“. Man ahnt: Die Bete ist auch das gruseligste aller Gemüse – irgendwie untot. Und Robbins warnt: „Eine Geschichte, die mit einer Roten Bete anfängt, endet mit dem Teufel.“ Ob dieses Sprichwort existiert, weiß der Teufel.
Jedenfalls liegen in dem Buch fortan alle paar Seiten rätselhafte Rote Rüben herum. Heldinnen und Helden stolpern kurz drüber, um sogleich weiterzueilen – auf der Jagd nach einem Parfüm mit topgeheimer Zutat. Was nur könnte es sein?
„Pan Aroma“ ist ein Ritt durch Raum und Zeit – vom mittelalterlichen König Alobar, dessen Kriegerstamm auf blutige Beten schwört, zum heute tausendjährigen Alobar, der dem Tod eins auf die Rübe gegeben und jenen unsterblichen Duft kreiert hat. So weit, so unplausibel, so bestselling. Ein derart radikaler Anti-Aging-Effekt von Roter Bete ist rein fiktiv. Richtig aber ist: Beta vulgaris var. conditiva, die rote Kulturform der Gemeinen Rübe, enthält viel Kalium, Kalzium, Magnesium und Eisen, reichlich B-Vitamine und Folsäure. Das ist gut für die Durchblutung, das Immunsystem, die Bildung neuer Zellen und vieles mehr. Der rote Farbstoff Betanin hebt zudem den Serotoninspiegel, mithin die Stimmung. Eine Dosis Jungbrunnen steckt wohl durchaus im real existierenden Gemüse.
Eine Luftwurzel ist dagegen die Idee, bereits die Menschen des Mittelalters hätten ihre Zähne in runde Rüben geschlagen. Zwar schrieben schon die alten Ägypter dem Fuchsschwanzgewächs Heilkräfte zu. Allerdings ähnelten seine Wurzeln zu Zeiten Alobars noch denen der Wilden Rübe, von der es abstammt. Man aß vor allem das Blattwerk. Fleischiger wurden die Beten, Zucht sei Dank, vom 16. Jahrhundert an. Die tiefroten Sorten sind sogar erst gute 200 Jahre alt. So jung kann altes Gemüse sein.
Die letzte Bete verlässt im November das Beet und bleibt als langlebige Lagerware bis in den April hinein küchenfrisch. Ihre schwere Sonnensüße, gesättigt mit dem Aroma von Erde (manche meinen: Moder), kann mehr als Heringssalat. Wie ihre unblutigen Schwestern in Gelb, Weiß und Geringelt mag es die Rote Bete sauer, salzig und scharf. Die Rübe, die aus der Kälte kam, mundet roh als Reibesalat mit Orange und Walnuss. Gegart schmeichelt sie der Säure von Apfel und Gürkchen, den Salznoten von Kaper und Feta und ist – mit Sauerrahm und Dill – der Star des Borschtsch. Kreuzkümmel und Meerrettich machen ihr Feuer. Und ihre süße Seite betont sie in raffinierten Desserts, als Sorbet auf einem Spiegel von dunkler Schokolade etwa.
Mag sein, dass manche Menschen noch an Kindheiten mit geriffelten Bete-Scheiben aus dem Glas zu kauen haben. Tony Chu, Held der Comic-Reihe „Chew – Bulle mit Biss“, gehört nicht dazu. Er konsumiert Beten wie Popeye Spinat: dosenweise. Detective Chu ist „Cibopath“, Geschmackstelepath. Was immer er isst, erzählt ihm seine Geschichte: Beim Hamburger sieht er das Massaker im Schlachthof, bei der Suppe den Mörder, der sie gekocht hat. Dem Kommissar liegt die Lösung seiner Fälle ungefragt auf der Zunge. Womöglich geht es mit dem Teufel zu, aber gegen die Geschmacklosigkeit der Welt hilft nur das intensivste aller Gemüse. Rote Bete allein löst in Chu beruhigende Stille aus.
Kerniger Rote-Bete-Dip
Ein Rezept von Karin Midwer
Für 4 Portionen:
250 g Rote Bete
60 g Walnussbruch
2 EL Walnussöl (alternativ: Olivenöl)
1 EL Sesammus (Tahin)
1 EL (evtl. etwas mehr) Saft und
1 TL Abrieb einer Zitrone
1 EL Essig
1 EL Meerrettich (frisch gerieben oder aus dem Glas)
1 Prise Kurkuma, Pfeffer, Salz
2-3 EL Petersilie, kleingehackt
Zubereitung:
Die Rote Bete im Ganzen mit Schale gar kochen, das dauert je nach Größe der Knollen circa 45 Minuten. Den Walnussbruch in der Pfanne vorsichtig rösten und fein hacken. Rote Bete abschrecken, schälen und würfeln, im Mixer mit Walnussöl, Sesammus, Zitronensaft und -abrieb, Essig, Meerrettich und Kurkuma mixen. Mit Pfeffer und Salz abschmecken. Zum Schluss Petersilie und Walnussstückchen unterrühren. Mit (Vollkorn-)Baguette, Crackern oder Brotchips servieren.
Und sonst so?
Frisch vom Feld im März:
Feldsalat, Grünkohl, Lauch, Pastinake, Rosenkohl, Schwarzwurzel und – ganz neu: Spinat
Neu im April:
Rhabarber und Spargel, weiterhin im Freiland verfügbar: Feldsalat, Lauch und Spinat