Weil die Temperaturen in den Alpen besonders stark steigen, schwinden nicht nur die Gletscher, sondern auch der Permafrost, der die Felsen in den Gipfelregionen bisher zusammenhielt. Schwere Fels- und Bergstürze sind die Folge. Eine Reise zu Forschenden und Einheimischen, die versuchen, mit dem neuen Risiko zu leben.

Wie ein winterklarer Sternenhimmel glitzern die Wände des Tunnels im Licht der Stirnlampen. Auch jetzt im Mai bedecken Kristalle den Stollen. Er wurde einst durch den Gipfel der Zugspitze getrieben, um Gäste von der Tiroler Seite des Berges ins Skigebiet am Gletscher zu bringen, doch das ist lange her. Heute dient der 800 Meter lange Fußgängertunnel der Forschung, und wie jeden Monat baut ein Team der Technischen Universität München (TUM) seine Messgeräte auf. Kabel werden gelegt und mit Schrauben verbunden, die in regelmäßigen Abständen als Elektroden ins Gestein gebohrt wurden. „Wir schicken Strom in den Felsen“, erklärt Doktorandin Maike Offer, „und können aufgrund der unterschiedlichen Leitfähigkeit sehen, wo der Berg gefroren und wo das Eis bereits geschmolzen ist.“ Seit 2007 werden diese Daten erhoben. Das Ergebnis ist eindeutig: Der Permafrost schmilzt.

Dass es taut, spürt das vierköpfige Team am eigenen Leib. In den unteren Bereichen des Stollens tropft es den Forschenden auf Anoraks und Helme. Hier forschen zu können, ist ein Glücksfall. „Der Felspermafrost hält das Eis normalerweise in den Klüften und Poren des Gesteins und ist somit unsichtbar“, sagt Verena Stammberger, die die Messungen auf der Zugspitze leitet. Wo andere Forschende ihre Daten aus Bohrlöchern auf Gipfeln gewinnen, die meist schwer zugänglich sind, gelangt ihr Team bequem mit der Seilbahn zu den Messungen. Zweimal umsteigen, schon sind sie in Deutschlands höchstgelegener Forschungsstation. Das Schneefernerhaus, in den 1930er-Jahren als Luxushotel erbaut, beherbergt heute Unterkünfte und Labors von Universitäten und Institutionen. In den Tunnel führt eine schwere Metalltür.

<p>ÜBERWACHT In der „roten Zone“ in Kandersteg gelten strenge Schutzauflagen. Im Zugspitzgipfel wird der Eisgehalt gemessen.</p>

ÜBERWACHT In der „roten Zone“ in Kandersteg gelten strenge Schutzauflagen. Im Zugspitzgipfel wird der Eisgehalt gemessen.

Der Mann, der das Projekt initiiert hat, heißt Michael Krautblatter. Der 46-Jährige ist Professor am Lehrstuhl für Hangbewegungen an der TUM und eine der treibenden Kräfte in der Permafrostforschung. Krautblatter ist ein Macher, einer, der schnell ungeduldig wird. Schließlich drängt die Zeit. Dass der „Kitt der Berge“ aufgrund des Klimawandels unter Stress steht, beobachtet der Geograf und Geologe schon seit Langem. „Wenn der Permafrost taut“, sagt Krautblatter, „gibt es starke mechanische Veränderungen, deren Erforschung noch ziemlich neu ist.“ Was er mit „Veränderungen“ meint: Felsen, die das ewige Eis lange zusammengehalten hat, verlieren zunehmend ihre Stabilität.

Wie sich das auswirkt, berechnen die Forschenden nicht nur in komplexen Computermodellen. Im Keller des Münchner Instituts finden auch sogenannte Scherversuche statt, bei denen Eis und Gesteine in unterschiedlichen Schräglagen und bei variablen Temperaturen unter Druck gesetzt werden. Das Ergebnis? Das Eis verliert schon bei geringfügiger Erwärmung mehr als die Hälfte seiner Festigkeit. „Viele Felswände“, erklärt Krautblatter, „sind gerade noch stabil. Wenn die auftauen, wird nicht zwangsläufig alles auf einmal gefährlich, aber es wird vermehrt Bereiche geben, in denen die Stabilität nicht mehr ausreicht.“ Es werde, da sei er sich sicher, in den nächsten Jahrzehnten viele große Sturzereignisse geben. „Und um die zu verstehen und vorherzusagen, brauchen wir eine sehr steile Lernkurve.“

Wie nötig diese ist, zeigen die Temperaturaufzeichnungen. Zwar ist die Klimakrise ein weltweites Problem. Doch die Alpen erwärmen sich besonders stark, in den vergangenen hundert Jahren stiegen die Temperaturen doppelt so schnell wie im globalen Durchschnitt. Das hat mehrere Gründe. Generell heizen sich Landoberflächen schneller auf als Meere und andere Gewässer. Auch fällt in den Bergen die Kühlung durch die Verdunstung von Wasser geringer aus. Vor allem aber werden Sonnenstrahlen infolge der schwindenden Schneedecken nicht mehr wie einst reflektiert – was dazu führt, dass sich die zunehmend freigelegten Hänge noch stärker erwärmen. Und dass die Risiken weiter zunehmen.

Aus diesem Grund hat Michael Krautblatter jüngst TUM Alpha gegründet, das Zentrum für alpine Naturgefahren, mit dem er Bürgermeisterinnen alpiner Gemeinden, Landesgeologen, Energieversorger und Touristikerinnen über Frühwarnsysteme und Sicherheitsmaßnahmen informieren will. Schon jetzt berät sein Team den Alpenverein bei Umbaumaßnahmen gefährdeter Berghütten und entwickelt mit Kommunen Evakuierungspläne.

Der meistüberwachte Berg

Besonders stark vom Schmelzen des Permafrosts betroffen sind die Schweizer Hochalpen. Der Umgang mit Naturgefahren hat hier eine lange Tradition. Nils Hählens Büro liegt im Schloss von Interlaken, die langen Reihen von Aktenordnern, die er für seine Arbeit benötigt, wirken in dem herrschaftlichen Gebäude seltsam nüchtern. Der 48-Jährige ist Leiter der „Fachstelle für den Schutz vor Lawinen, Rutschungen, Einsturz, Eis- und Steinschlag sowie Waldbrand“ im Kanton Bern. Besonders kritisch sei die Situation am Spitze Stei, dem „meistüberwachten Berg“ im Kanton. Der 2974 Meter hohe Gipfel, eine Dreiviertelautostunde südlich von Interlaken, gilt als extrem rutschgefährdet und wird mit Sonden, Kameras, GPS- und Radargeräten rund um die Uhr beobachtet. „Gerade nehmen die Bewegungsraten wieder etwas zu“, sagt Hählen. „Wie jedes Jahr erwacht der Fels in der Übergangszeit vom Frühjahr zum Sommer.“

<p>AUFGESCHÜTTET Vreni Kohler lässt am Öschibach Schutzdämme errichten. Der Ort gilt als besonders gefährdet, weil am nahegelegenen Spitze Stei die Hangbewegungen bedrohlich zugenommen haben.</p>

AUFGESCHÜTTET Vreni Kohler lässt am Öschibach Schutzdämme errichten. Der Ort gilt als besonders gefährdet, weil am nahegelegenen Spitze Stei die Hangbewegungen bedrohlich zugenommen haben.

Zum ersten Mal auf die Gefahr hingewiesen wurde die am Fuß des Berges gelegene Gemeinde Kandersteg von einem Gleitschirmpiloten, der 2018 Risse in dem Felsen entdeckt hatte. Als Experten den Hang untersuchten, wurde klar: Hier waren Felsmassen von rund zwanzig Millionen Kubikmetern in Bewegung. Anhand geologischer Prozessmodelle wurden verschiedene Szenarien entwickelt. Sicher ist, dass am Spitze Stei ein massiver Felsturz droht, der wiederum Murgänge auslösen kann, Lawinen aus Schlamm und Geröll. Kandersteg, ein Ferienort mit 1300 Einheimischen, ist besonders gefährdet. Nachdem die Überwachungsinstrumente Rutschungen von bis zu zehn Zentimetern am Tag anzeigten, beschloss die Gemeinde auch auf Anraten der Fachleute 2020 den Bau von Schutzvorrichtungen.

Vreni Kohler steht auf dem neuen Schutzdamm und schaut ins Bett des Öschibachs, der unterhalb des Oeschinensees zutage tritt und steil hinunter nach Kandersteg fließt. „Ich liebe meine Baustelle“, sagt die 69-Jährige und muss dabei die Stimme heben, weil vor ihr ein Bagger Kies aushebt. Über ihr reißt gerade der Nebel auf, die Gipfel der umliegenden Zwei- und Dreitausender werden sichtbar. Auch der Spitze Stei. Wobei, ganz so spitz ist er nicht mehr. Teilabstürze haben die charakteristische Form der Felsnadeln zuletzt bereits stark verändert. Kohler ist eine der Vorsitzenden der Schwellenkorporation, einer Kommission, die für die Wasserschutzbauten der Gemeinde zuständig ist. Seit 2020 wurden am Öschibach umgerechnet neun Millionen Euro verbaut. Dazu gehören beispielsweise fünf bis sechs Meter hohe Dämme aus Kies und Felsblöcken, deren Kerne durch Baumstämme verstärkt wurden. Sie sollen das Dorf schützen, wenn die drohenden Murgänge eines Tages hinabstürzen. „Gegen ein mittleres Ereignis sind wir inzwischen sehr gut gewappnet“, sagt Kohler. „Die ganz großen sind sowieso nicht einzudämmen.“ Würde das Worst-Case-Szenario eintreten, so die pensionierte Bauingenieurin, wären große Teile Kanderstegs zerstört und man müsse mit Folgen bis hinunter zum 25 Kilometer entfernten Thuner See rechnen. Derzeit gilt eine Flutwelle jedoch als sehr unwahrscheinlich.

Überhaupt ist Vreni Kohler Optimistin, wenn auch mit einem Schuss Fatalismus. „Wir Bergbewohner müssen schon immer mit den Gefahren umgehen, die uns umgeben.“ Ihr Mann, wegen dem sie vor 44 Jahren nach Kandersteg gezogen war, arbeitete als Bergführer – und „kam auch so ums Leben“, wie sie erzählt. Kohler zeigt auf das frische Grün, das aus der Dammböschung sprießt. „Viele Einwohner waren bestürzt über unsere Rodungen und Eingriffe hier im Naherholungsgebiet“, sagt sie, aber heute könne man hier wieder Füchse, Dachse, Reptilien oder Sandbienen beobachten. Für ihre Projekte hat die Schwellenkorporation lokale Unternehmen verpflichtet. Leute, die ihre Bagger laut Kohler mit Fingerspitzengefühl im schwierigen Gelände bewegen. „Eine Zeit lang war es wirklich brenzlig“, erzählt sie, „der Berg ist bis zu fünfzig Zentimeter am Tag gerutscht. Die Arbeiter mussten ständig per Sprechfunk erreichbar sein, um das Gelände im Notfall sofort verlassen zu können.“ Kohler grüßt zwei der Arbeiter, die gerade neuen Schotter aufschütten. Auf die Gefahr angesprochen, zucken die jungen Männer mit den Schultern. Wie stolz sie auf ihre Arbeit sind, spürt man trotzdem.

<p>ABGEZÄUNT Am Öschibach bei Kandersteg soll ein Stahlnetz Geröll und mitgerissene Bäume auf dem Weg ins Tal bremsen.</p>

ABGEZÄUNT Am Öschibach bei Kandersteg soll ein Stahlnetz Geröll und mitgerissene Bäume auf dem Weg ins Tal bremsen.

Trotz der Schutzmaßnahmen unterliegt ein großer Dorfteil der höchsten Gefahrenstufe. In der „roten Zone“ gilt ein absolutes Neubauverbot. Mit ausgestrecktem Arm zeigt Vreni Kohler, wie weit der Bereich reicht: „Es betrifft ausgerechnet den Dorfkern“, erklärt sie, „den Bahnhof, zwei Kirchen, Geschäfte, große Hotels, das Schulhaus, Schwimmbad, Gemeindehaus und Altersheim und viele Privathäuser.“ Sie alle dürfen – mit Verweis auf die Gefährdungslage – nur noch saniert werden, Umbauten sind kaum möglich. Das Leben in der roten Zone wird ungemütlicher. Kein Wunder, dass das Maß der Schutzvorkehrungen in der Gemeinde umstritten ist. Nicht wenige glauben, es werde Kandersteg schon nicht so hart treffen, und halten die Auflagen für übertrieben.

Kritiker verweisen darauf, dass „Steine hier schon immer runtergekommen sind“ und dass die größte Rutschung der letzten Jahre nicht am Spitze Stei passiert sei, sondern auf der gegenüberliegenden Talseite, direkt unterhalb der Allmenalp-Seilbahn. Im Februar 2023 stürzten dort 70.000 Kubikmeter Fels in die Tiefe und hüllten die benachbarten Häuser und Höfe in eine dichte Staubwolke. Wer im Gebirge wohnt, so der Tenor, müsse mit solchen Gefahren rechnen. Eine Portion Gottvertrauen gehöre zum Leben in hochgelegenen Alpentälern eben dazu.

Neue Naturgefahr

Sehr viel harscher fallen die Kommentare über den Massentourismus aus, der sich in der Schilderung der Kandersteger als umgekehrte Lawine aus den Tälern nach oben wälzt. Etwa zum Oeschinensee, der als einer der schönsten Bergseen der Schweiz gilt und seit einigen Jahren als Instagram-Hotspot noch mehr Reisende aus der ganzen Welt anzieht. Auch Michael Bründl verfolgt die Entwicklung mit Sorge. „Die Alpen sind dank besserer Straßen und Wege, E-Bikes und sozialer Medien zum Spielplatz geworden“, sagt er. Der gebürtige Bayer ist Leiter des Forschungsprogramms „Climate Change Impacts on Alpine Mass Movements“ und Leiter der Gruppe „Risiko und Resilienz“ am renommierten Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) in Davos, fast dreihundert Kilometer östlich von Kandersteg. Nicht umsonst ist die Forschungsanstalt in dem berühmten Wintersport- und Kurort angesiedelt. Die meisten der 180 Beschäftigten befassen sich mit Naturgefahren im Gebirge. Am SLF werden Murgänge simuliert, Pflanzen unterm Schnee studiert und berechnet, wie sich die Lawinengefahr ändert, wenn der Klimawandel voranschreitet. In einem Kältelabor werden Schneekristalle gezüchtet.

<p>VORBEREITET Die Hänge bei Kandersteg werden überwacht, man hofft, vor Murgängen frühzeitig warnen zu können. In diese Vorrichtung werden im Ernstfall Metallplatten eingesetzt.</p>

VORBEREITET Die Hänge bei Kandersteg werden überwacht, man hofft, vor Murgängen frühzeitig warnen zu können. In diese Vorrichtung werden im Ernstfall Metallplatten eingesetzt.

Michael Bründl forscht seit 1992 in Davos. Seit jeher interessiert er sich für den Umgang der Gesellschaft mit Naturgefahren, wozu inzwischen auch der tauende Permafrost gehört. „Wir müssen noch besser verstehen, was in diesen unsichtbaren Zonen passiert“, sagt der 60-Jährige. „Am Spitze Stei wollen wir das beispielsweise mit Tracer-Experimenten herausfinden.“ Dafür wird Wasser eingefärbt und beobachtet, an welchen Stellen es wieder aus dem Felsen tritt. Mithilfe solcher Versuche können Modelle verbessert und präzisere Vorhersagen getroffen werden. Man werde in Zukunft immer stärker auf Warnsysteme angewiesen sein, sagt Bründl. Neue Schutzverbauungen seien gerade in dünn besiedelten Gegenden kaum noch finanzierbar. Schließlich koste allein deren Unterhalt riesige Summen.

Marcia Phillips’ Büro liegt im neuen Trakt des SLF in Davos, viel Sichtbeton und helles Holz. Der Monitor der Permafrostexpertin zeigt eine Karte des Bernina-Massivs im Oberengadin. Hier, sagt sie und deutet auf den 3970 Meter hohen Piz Scerscen, habe sich am 14. April der jüngste Bergsturz ereignet. „Die ganze Wand fiel runter.“ Millionen Kubikmeter Fels und Eis wälzten sich ins Tal. Wahrscheinlich war es einer der größten Stürze der letzten hundert Jahre, sagt sie. Als Geowissenschaftlerin überblickt Phillips große Zeiträume. 2014 ließ sie nach einem Felssturz am Piz Kesch den Permafrost an der Abbruchkante datieren: „Es war 6000 Jahre alt.“ Nun droht das uralte Eis vielerorts zu verschwinden. „Die Auftauschichten werden immer mächtiger. Das ist der Anfang vom Ende.“

<p>ANERKANNT Marcia Phillips ist eine gefragte Expertin für Permafrost – und über dessen Zustand besorgt.</p>

ANERKANNT Marcia Phillips ist eine gefragte Expertin für Permafrost – und über dessen Zustand besorgt.

Im Sommer verbringt die 55-Jährige nur wenig Zeit im Büro. Wie jedes Jahr klappert sie per Auto ihr Messnetz ab, steigt in Seilbahnen und Helikopter, um die Daten der Bohrlöcher und Messstellen an Schutzbauten und Bergbahnen auszulesen. Phillips’ Expertise über das Bauen im Permafrost ist international gefragt. Besonders jetzt, da es immer wärmer wird. Ob ihr Beruf Risiken birgt? Gerade in jüngster Zeit, antwortet Phillips, habe sie darüber nachgedacht, ein Testament zu schreiben. Jetzt muss sie aber los. Ins Oberengadin. Sie soll bei einem Bergführerkurs einen Vortrag halten. Phillips hofft, die Guides in ihr Netz aus Beobachtern einbinden zu können. „Je mehr Leute die Augen offenhalten, desto besser.“

In der Steinwüste

Bergführer Marcel Schenk gehört zu denen, die schon von Marcia Phillips geschult wurden. „Sie hat uns gebeten, jegliche Anzeichen für zukünftige Felsstürze zu melden“, sagt er. Jetzt steht der drahtige Mann zum ersten Mal auf der kilometerlangen Geröllhalde des Piz Scerscen im Val Roseg, wo sich im April der Schuttstrom mit sechzig Kilometern pro Stunde ins Tal wälzte. Es war kurz nach der Wintersaison, getroffen wurde zum Glück niemand. „Drei Wochen früher hätte es wahrscheinlich Tote gegeben.“ Winterwanderer, Langläuferinnen, Skitourengeher.

<p>EINGESPANNT Im Institut für Schnee- und Lawinenforschung in Davos wird getestet, wie sich die Stabilität von Schneedecken in Zeiten der Klimakrise verändert.</p>

EINGESPANNT Im Institut für Schnee- und Lawinenforschung in Davos wird getestet, wie sich die Stabilität von Schneedecken in Zeiten der Klimakrise verändert.

Im Nieselregen ist Schenk die acht Kilometer aus Pontresina mit dem E-Bike hochgefahren, ein paar Hundert Meter gewandert und dann auf die Masse aus Sand, Eis und Felsblöcken hinaufgeklettert. In normalen Jahren ist das Tal ein beliebtes Ausflugsziel für Familien. Man kann sich in einer Kutsche von Pontresina hinauffahren lassen oder zum Gletscher wandern. Einige wichtige Bergsteigerrouten starten vom Talboden aus. Schenk geht sie regelmäßig mit seinen Gästen. „Als Bergführer und Alpinisten müssen wir angesichts von Klimaveränderungen und Extremwetterlagen noch flexibler werden“, sagt er, „und Touren immer öfter auch mal verschieben, abbrechen oder ganz unterlassen.“

Der Vater von drei Kindern ist Mitinhaber einer Bergsteigerschule, arbeitet auf hochalpinen Baustellen und ist als Bergretter tätig. Der Heli landet regelmäßig in seinem Garten, um ihn für Noteinsätze abzuholen. Er lässt seinen Blick über die Steinwüste schweifen. „Natürlich machen wir uns Gedanken darüber, wie es weitergeht.“ Der Felssturz am Piz Scerscen sei ja nicht das erste Ereignis gewesen. 2017 starben bei einem Bergsturz im benachbarten Bergell acht Menschen. „Wir Bergler leben mit diesen Gefahren.“ Schenk hat schon einige Kollegen durch Unfälle und Abstürze verloren. „Als Bergsteiger weißt du, dass ein einziger Stein tödlich sein kann“, sagt er, „da braucht es keinen Felssturz.“

Jetzt holt er sein Fernglas aus dem Rucksack. Er hat eine Gämse zwischen den Felsbrocken gesichtet. Dann sind es zwei, drei, vier. Plötzlich kreist ein Adler über seinem Kopf. Marcel Schenk strahlt über das ganze Gesicht. „Mega“, sagt er. Für einige Augenblicke ist der Bergsturz vergessen. „Solange die Gämsen hier unterwegs sind, wird uns nichts passieren.“ Die Tiere, da ist er sich sicher, würden die Gefahr sofort spüren.

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 5.24 "Mut". Das Greenpeace Magazin erhalten Sie als Einzelheft in unserem Warenhaus oder im Bahnhofsbuchhandel, alles über unsere vielfältigen Abonnements inklusive Prämienangeboten erfahren Sie in unserem Abo-Shop. Sie können alle Inhalte auch in digitaler Form lesen, optimiert für Tablet und Smartphone. Viel Inspiration beim Schmökern, Schauen und Teilen!

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