2020 lebten bereits wieder 158 wilde Waldrappe auf dem Kontinent – dank Johannes Fritz und seiner Leute, die im wohl spektakulärsten Artenschutzprojekt Europas die Wiederansiedlung von Geroniticus eremita betreiben. „Wir sind etwa auf halber Strecke zu einer selbstständig überlebensfähigen Population“, erklärt der österreichische Biologe, der das Waldrappteam 2002 gegründet hat. Allein im vergangenen Jahr seien 27 Jungvögel der Art flügge geworden, die mit dem Heiligen Ibis der alten Ägypter verwandt ist.
Geduldige Verhaltensforschung, ausgefeilte Technik und einiges Abenteurertum haben den Erfolg möglich gemacht. Fritz steuert jeden Herbst eines von zwei Ultraleichtflugzeugen, um Jungvögeln den Weg von inzwischen vier Brutkolonien in Österreich und Deutschland ins italienische Überwinterungsgebiet zu weisen. „Das ist nach wie vor sehr cool und exklusiv“, sagt er. „Wenn wir die Alpen überqueren, müssen wir auf 2800 bis 2900 Meter hinauf.“ Vom Rücksitz aus halten „Ziehmütter“ Kontakt zu den Vögeln, die nach dem Schlupf voll auf ihre menschlichen Bezugspersonen fixiert sind. Im Frühling finden sie dann allein zurück.
Doch die ausgewilderten Waldrappe bleiben nicht sich selbst überlassen: Mithilfe von Beinschlaufen befestigen ihnen die Artenschützer GPS-Sender am Rücken. So können sie – und mit der App „Animal Tracker“ alle Interessierten – die Position der Tiere verfolgen und Rettungseinsätze starten, falls es Probleme gibt.
Zuletzt zeigte sich allerdings, dass das ständige Tragen der Sender nicht ohne Folgen ist. In der Zeitschrift „Avian Research“ berichtete Fritz von Augentrübungen bei mehreren Waldrappen, offenbar durch die Sender verursacht, an welche die Vögel im Schlaf ihre Köpfe legten. „Seit wir die Sender weiter hinten befestigen, sind die meisten Linsentrübungen wieder verschwunden“, sagt er. Mitglieder seines Teams haben überdies Waldrappe aufs Fliegen im Windkanal trainiert, um den Einfluss der Sender-Aerodynamik auf den Vogelpuls zu untersuchen.
Die Flugdaten helfen aber nicht nur beim Schutz der Vögel, sie liefern auch wertvolle Einblicke in das erstaunliche Orientierungsvermögen der Tiere – und in ihr Sozialverhalten. So starteten Anfang April vier Vögel in der Toskana, von denen zwei aus der Brutkolonie im bayerischen Burghausen stammten, die anderen beiden aus der 2017 gegründeten Kolonie bei Überlingen am Bodensee. „Normalerweise fliegen sie recht gradlinig ins Brutgebiet zurück“, so Fritz. „Nun erwarteten wir, dass ein oder zwei Vögel dominant sind und den Weg bestimmen.“ Doch es kam anders: Die Vierergruppe wählte einen Mittelweg – und trennte sich erst, als es nicht mehr anders ging.