Tief unter unseren Füßen hat das große Sterben begonnen. Im Boden, von den allermeisten Menschen unbemerkt, wohnen zwei Drittel aller Arten auf dem Planeten: Asseln, Regenwürmer, Milben, Fadenwürmer, Pilze, Bakterien. Weil wir sie nicht sehen, schätzen wir sie gering. Dabei wäre unser Leben ohne sie nicht möglich. Denn die Krabbler halten die natürlichen Kreisläufe der Böden und unsere Nahrungsmittelproduktion am Laufen. Gesunde Böden schaffen sauberes Trinkwasser und regulieren als größter Kohlenstoffspeicher das Klima. Der Boden und die Wesen darin sind unverzichtbar. Doch jetzt zeigt eine Studie: Der Erde und ihren winzigen Bewohnern geht es immer schlechter.
Die problematische Mischung aus Klimawandel und intensiver Landwirtschaft bringt das Ökosystem Boden aus dem Gleichgewicht. Was Forscher schon lange vermutet hatten, konnte Martin Schädler vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung nun bestätigen. Er und sein Team haben auf unterschiedlich intensiv genutzten Acker- und Grünland-Parzellen das Klima der Zukunft simuliert. Konkret entwickelten sie ein Szenario, wie es in den Jahren 2070 bis 2100 für die Region typisch sein könnte: Etwa 0,6 Grad wärmer als heute, mit zehn Prozent weniger Niederschlag im Frühjahr und Herbst und 20 Prozent trockeneren Sommern. In der „Global Change Experimental Facility“ in Bad Lauchstädt bei Halle testeten die Wissenschaftler, wie sich erhöhte Temperaturen und reduzierte Niederschläge auf verschiedene Landnutzungstypen auswirken.
Das Ergebnis der zweijährigen Feldstudie: die untersuchten Milben- und Springschwänze-Arten, die rund 90 Prozent der Bodentiere ausmachen und für die Nährstoffkreisläufe im Boden eine wichtige Rolle spielen, werden durch den Klimawandel immer kleiner. „Wenn es wärmer wird, haben kleine Arten mit einem schnellen Generationszyklus klare Vorteile“, sagt Martin Schädler. Die untersuchten Exemplare auf den Flächen mit höheren Temperaturen und veränderten Niederschlägen waren im Durchschnitt um etwa zehn Prozent kleiner als auf den Vergleichsflächen mit heutigem Klima.
Und auch die intensive Landnutzung macht den Bodenbewohnern zu schaffen: sie sorgt dafür, dass es weniger „Zersetzer“ gibt. Wie Martin Schädler und sein Team herausgefunden haben, lebten auf den Testflächen mit konventioneller Landwirtschaft rund 47 Prozent weniger Milben und Springschwänze als auf der extensiv genutzten Wiese. Klar: Wo Gräser und Blumen die Erde bedecken, leben die Bodenbewohner ungestörter als auf Ackerflächen, die gedüngt, mit Pestiziden besprüht und regelmäßig umgegraben werden.
Das Problem daran: je kleiner und je weniger die Milben und Springschwänze sind, desto geringer ihr Beitrag zum Nährstoffkreislauf. Der sieht vor, dass die Mikroorganismen abgestorbene Pflanzenteile zersetzen, sie in Humus umwandeln und diese im Boden verteilen. Bis ein einziges Blatt wieder vollständig in Humus umgewandelt worden ist, muss es mehrfach gefressen werden. Regenwürmer, Asseln, Spinnen, Milben und Springschwänze zersetzen abgestorbene Pflanzenteile, bauen sie in Humus um und verteilen diese fruchtbare Substanz im Boden. Darum hat die verringerte Aktivität im Boden auch Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit, warnt Martin Schädler, denn in den obersten Zentimetern des Bodens findet die Humusbildung statt – und die ist für den Anbau von Lebensmitteln unersetzlich. „Dass die Fluginsekten drastisch weniger werden, hat in den letzten Jahren große Aufmerksamkeit bekommen, aber das unterirdische Sterben ist bisher fast unbekannt. Wir stehen hier am Anfang einer biologischen Veränderung, die zwar langsam voranschreitet, aber bald schon unumkehrbar sein könnte.“
Bisher hatten viele Experten gehofft, dass die ökologische Landwirtschaft einen Teil dieser negativen Effekte abpuffern kann. Tatsächlich zeigen Schädlers Untersuchungen, dass sich unter den Feldern, die nach EU-Öko-Richtlinien bewirtschaftet wurden, etwas mehr Bodentiere fanden als unter den konventionellen Ackern. „Der Unterschied war allerdings sehr gering“, sagt Schädler. Um den Bodentieren zu helfen, reichten die Minimalstandards der EU-Richtlinie nicht aus – und gegen die Auswirkungen des Klimawandels hilft keine Anbaustrategie: „Man kann mit umweltverträglicher Landnutzung wunderbare Dinge erreichen, aber den Wärmeeffekt des Klimawandels kann man nicht abfedern“, sagt Schädler.
Was das dauerhaft bedeuten könnte, zeigen schon die aktuellen Entwicklungen: Laut dem Bodenatlas der Heinrich Böll Stiftung gehen weltweit rund 24 Milliarden Tonnen fruchtbarer Boden pro Jahr durch falsche Nutzung verloren. Die Gründe sind je nach Weltregion verschieden, doch in Ländern wie Deutschland ist die Erde in der intensiven Landwirtschaft großen Mengen an Pestiziden und Dünger ausgesetz, die hocheffiziente Nutzung laugt sie aus und die schweren Landwirtschaftsmaschinen zerstören die Bewässerungs- und Belüftungsstrukturen. Hierzulande verlieren auf diese Weise täglich 77 Hektar Boden – eine Fläche etwa vier mal so groß wie die Binnenalster in Hamburg – ganz oder teilweise ihre Funktion als fruchtbare Ackerfläche. Und die Effekte des Klimawandels verstärken diese Entwicklung noch: Eine aktuelle Forschungsarbeit der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Czech Science Foundation, die Anfang August im Fachmagazin „Scientific Reports“ veröffentlicht wurde, kam zu dem Schluss, dass die Sommer-Dürren in Mitteleuropa immer mehr zunehmen, bis 2051 könnte die Wahrscheinlichkeit für Dürreperioden um das Siebenfache steigen. Dabei waren schon die Dürren der vergangenen zwei Jahre in der mitteleuropäischen Region die größten und schlimmsten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Was das für den Ackerbau bedeutet, macht Biologe Schädler deutlich: „Der Boden ist nach solchen Katastrophenjahren fast tot“, sagt er.
Was diese Erkenntnisse bedeuten, ist klar: Wir müssen den Boden unter unsere Füßen zu schätzen lernen, bevor es zu spät ist. Es braucht oft mehrere tausend Jahre bis sich eine dünne Schicht fruchtbarer Oberboden bilden kann – doch wird er nicht klug bepflanzt und werden seine Bewohner nicht pfleglich behandelt, kann schon ein starker Regen ihn abtragen. Wenn wir den Boden jetzt nicht schützen, könnte er bald unwiederbringlich verloren sein.