Wenn es um den Schutz von Insekten geht, haben viele Menschen eine starke Meinung. „Biolandwirtschaft fördern! Pestizide verbieten! Dann ist das Problem gelöst", schreibt der Nutzer georgpape. „Unbelasteter durch die moderne Landwirtschaft als Mittelalter geht nicht! Beamen sie sich doch zurück!", entgegnet ihm der Nutzer FriedrichBrand. Die Plattform, auf der gestritten wird, bietet das Bundesumweltministerium an. Der Bürgerdialog zum brandneuen „Aktionsprogramm Insektenschutz“ läuft vom 10. Oktober bis 7. November 2018. Das Bundesumweltministerium (BMU) hat Mitte Juni angekündigt, gegen das Insektensterben vorzugehen, und lud nun einen Monat lang die Bürger dazu ein, ihre Maßnahmenvorschläge zu bewerten und zu kommentieren.
Im Frühsommer hatte die Bundesregierung auf Vorschlag von Bundesumweltministerin Svenja Schulze die Eckpunkte für ein „Aktionsprogramm Insektenschutz“ beschlossen. Seit im letzten Jahr die Krefelder Studie für Furore gesorgt hat – in 63 deutschen Schutzgebieten wurde zwischen 1989 und 2016 ein Rückgang von bis zu 82 Prozent der Fluginsekten festgestellt –, ist das Verschwinden der Insekten in aller Munde. Die Ursachen für den Rückgang der Populationen in Deutschland sind noch nicht abschließend erklärt – es fehlt bisher an flächendeckendem Monitoring. Trotzdem sieht das Umweltministerium Handlungsbedarf: „Wir wissen längst nicht alles über das Insektensterben. Aber wir wissen genug, um schnell zu handeln. Darum war es mir wichtig, dass das Kabinett diese Eckpunkte schon in den ersten hundert Tagen meiner Amtszeit beschließt“, sagte Bundesumweltministerin Svenja Schulze, „das Insektensterben aufzuhalten ist eine der zentralen Herausforderung unserer Zeit.“
Die Maßnahmen des Aktionsprogramms Insektenschutz sollen, ausgestattet mit rund fünf Millionen Euro im Jahr (aus dem Bundesprogramm „Biologische Vielfalt“), starten. Über die nächsten sechs bis acht Jahre können insgesamt dreißig bis vierzig Millionen Euro in den Insektenschutz fließen – wenn der Aktionsplan sich nach dem Willen der Umweltministerin umsetzen lässt. Dann sollen Maßnahmen zur Förderung von Insektenlebensräumen und der Strukturvielfalt in der Agrarlandschaft angestoßen werden, Projekte zur Stärkung von Schutzgebieten, zur Minderung der Anwendung von Pestiziden und zur Reduktion von Nähr- und Schadstoffeinträgen in Böden und Gewässer. Und: es soll ein bundesweit einheitliches Insekten-Monitoring eingeführt werden, dass das Problem umfassend überwacht.
Das Programm muss allerdings noch mit den anderen Ministerien abgestimmt werden – unter anderem mit dem Bundesagrarministerium, das zuständig ist für die Regelungen von Pestizid- und Düngeeinsatz. Zwar sieht das CDU-geführte Agrarministerium Medienberichten zufolge „keinerlei Widerspruch“ beim Thema Insektenschutz. Doch bis zum Frühsommer 2019, wenn das Kabinett das Programm beschließen soll, ist noch viel Zeit, um die Interessen der einzelnen Ministerien in den Aktionsplan einfließen zu lassen.
Und dann sind da noch die Stimmen der Bürger: Bis Ende des Jahres sollen die Ergebnisse des Online-Dialogs ausgewertet und in den Entwurf für das Gesamtprogramm eingespeist werden. Das soll nach dem Willen des BMU nur ein erster Schritt in einem längeren Transparenzprozess sein: Über die Umsetzung des „Aktionsprogramms Insektenschutz“ soll die Öffentlichkeit zukünftig regelmäßig informiert werden. Außerdem ist für das kommende Jahr ein „Runder Tisch Insektenschutz“ geplant, an dem sich gesellschaftliche Akteure regelmäßig über Fortschritte bei der Umsetzung des Aktionsprogramms austauschen sollen.
Manchen ist der erste Entwurf des Aktionsplanes schon jetzt zu lasch – wie den Grünen im Bundestag. Die Maßnahmen seien „zu schwach und werden das Insektensterben nicht stoppen", sagte Steffi Lemke, die naturschutzpolitische Sprecherin der Grünen. „Für eine bienen- und artenfreundliche Landwirtschaft braucht es ein Pestizidreduktionsprogramm, den Glyphosatausstieg in dieser Wahlperiode und das sofortige Ende der direkten Bienengifte“, so Lemke. Außerdem müssten Agrarförderungen an Biodiversitätsauflagen gebunden werden und eine wirksame Gesetzgebung zur Reduktion von Dünge- und Schadstoffeinträgen aufgesetzt werden. Ein Förderpaket von 5,6 Millionen Euro ist laut der Grünen-Sprecherin für diese umfassende Aufgabe viel zu niedrig angesetzt.
Die Naturschutzverbände begrüßten das Aktionsprogramm in ersten Stellungnahmen. BUND, die Umwelthilfe, der WWF und der Naturschutzring forderten die anderen Ministerien auf, die Umweltministerin in ihrem Vorhaben zu unterstützen. Doch auch hier wurden Stimmen laut, die Zweifel an der Wirksamkeit der Maßnahmen anmelden. „Wir unterstützen das Ziel, Veränderungen in den Agrarlandschaften zu erreichen, da Insekten hier ihre höchsten Verluste erleiden. Doch an den Ressortgrenzen zum Bundeslandwirtschaftsministerium schwächelt das Programm“, sagt Undine Kurth, Vizepräsidentin des Deutschen Naturschutzrings gegenüber der taz. Statt konkreter Maßnahmen werde auf weiterführende Strategien zur Reduktion von Pestiziden und Stickstoff als Platzhalter verwiesen. Sie könne das Jammern des Bauernverbands nicht mehr hören, der beständig behaupte, im Einsatz für die Natur zu sein, sagt Kurth.
Tatsächlich äußerte sich der Bauernverband kritisch gegenüber dem Maßnahmenkatalog des Umweltministeriums: Die Vorschläge müssten „auch die ökonomischen Herausforderungen der Landwirtschaft berücksichtigen", sagte der Umweltbeauftragte des Verbands, Eberhard Hartelt gegenüber Medien. Die Vorschläge konzentrierten sich zu sehr auf die Landwirtschaft und blieben in anderen Bereichen allgemeiner.
Dem stimmt auch Willi Kremer-Schillings zu, der auch als „Bauer Willi“ bekannt ist. Der promovierte Agrarwissenschaftler und Landwirt aus dem Rheinland hat sich in der Vergangenheit immer wieder pointiert an die Öffentlichkeit gewandt, um gegen eine einseitige Aburteilung von Landwirten zu protestieren. Im Hinblick auf den vom BMU initiierten Bürgerdialog sagt Kremer-Schillings: „Die Themen ,Insekten in der Agrarlandschaft fördern' und ,Anwendung von Pestiziden mindern' erhalten auf der Plattform die weitaus meisten ,Likes'. Das Thema ,Schutzgebiete als Lebensräume für Insekten stärken' liegt dagegen weit abgeschlagen dahinter. Dies deckt sich mit meiner Wahrnehmung der öffentlichen Diskussion: Die Landwirtschaft muss sich ändern, der Einfluss des einzelnen Bürgers ist vernachlässigbar.“ Das sei jedoch eine sehr verkürzte Sichtweise, so Kremer-Schillings, denn vom Bürger beeinflussbare Faktoren wie individuelle Mobilität, Energie und persönliches Einkaufsverhalten spielten ebenfalls eine wichtige Rolle. Entsprechende Fragen würden auf der Seite aber gar nicht behandelt.
Bauer Willi findet die Idee für den Austausch gut, aber die Plattform nicht für einen echten Dialog geeignet – dem stimmt auch Till Hopf zu, Landnutzungs-Experte beim Naturschutzbund Deutschland (Nabu). „Ob die Funktion der ,like'- oder ,dislike'-Klicks so sinnvoll ist, möchte ich mal in Frage stellen. Besser finde ich da die etwas aufwändigere Möglichkeit, neue Vorschläge und Ergänzungen einzustellen“, so Hopf. Zu hoffen sei, dass die Bürgerbeteiligung Argumente für das Umweltministerium bringe, um einzelne Aspekte in der folgenden Ressortabstimmung durchzusetzen. „Da habe ich zwar auch meine Zweifel, aber ich lasse mich gerne eines Besseren belehren“, sagt Till Hopf.
Auf der Plattform wurde derweilen bis zum Ende des Bürgerdialogs munter weiterdiskutiert: „Der irreführende Begriff ,Pflanzenschutzmittel' sollte in den passenderen Begriff ,Insektenvernichtungsmittel' umgewandelt werden“, schreibt der Benutzer David Seifert (5 anderen gefällt das, 27 stimmen nicht zu). Der Benutzer Tierweltkenner antwortet darauf: „Der Begriff Pflanzenschutzmittel ist nicht ganz korrekt. Die Pflanze wird zwar vor Fressfeinden geschützt aber im Grunde geht es darum das Erzeugnis zu schützen. Also unsere späteren Lebensmittel." (13 Nutzern gefällt das, 3 nicht). Auf dieser Plattform scheinen nicht nur die markigsten Aussagen Anerkennung zu finden, sondern es werden auch inhaltliche Diskussionen angestoßen – was bei Diskussionen im Internet nicht selbstverständlich ist. Der digitale Bürgerdialog über Bienen, Gifte, moderne Landwirtschaft & co. ist also ein hoffnungsvolles Zeichen – nicht nur für den Insektenschutz, sondern auch für die Kommunikationskultur in unserer Gesellschaft.
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