Neue Techniken revolutionieren derzeit die Genforschung. Sie ermöglichen äußerst präzise Änderungen des Genoms, die denen durch Züchtung sehr nahe kommen. Diese sogenannte Genchirurgie verändert die Debatte über Risiken und Chancen der Eingriffe ins Erbgut. Der Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL), Urs Niggli, wirbt für einen differenzierten Blick auf die neue Methode.​

Herr Niggli, derzeit wird über eine neue Form der „Grünen Gentechnik“ diskutiert – so etwa in der vergangenen Woche auf einem gemeinsamen Symposium von Ethikrat, Deutscher Forschungsgesellschaft und der Nationalakademie Leopoldina. Im Mittelpunkt der Debatte steht die sogenannte Crispr/Cas-Methode. Dabei steuert ein Enzym eine Stelle im Erbgut an und zerschneidet dort die DNA. Die natürlichen Mechanismen der Zelle reparieren den Strang dann automatisch. Was könnte mit diesem Verfahren alles erreicht werden?

Die Technik ist erst seit 2013 bekannt. Jedoch gibt es schon jetzt bei Weizen, Mais, Hirse, Reis und Tomate neue Sorten. Laufend kommen weitere hinzu. Der Weg von der Grundlagenforschung bis zur Anwendung in der Praxis ist also sensationell kurz. In den USA und in China kommen diese neuen Sorten in diesem Jahr auf dem Markt. Für Landwirte – auch für Öko-Landwirte – eröffnet die neue Methode viele Chancen: Es könnten Pflanzen gezüchtet werden, die sich besser an schwierige Umweltbedingungen anpassen – etwa Trockenheit, Bodennässe oder Versalzung. Die Feinwurzelarchitektur könnte verbessert werden, damit die Wurzeln mehr Nährstoffe wie Phosphor oder Stickstoff aus dem Boden aufnehmen. Auch die Toleranz oder Resistenz gegenüber Krankheiten und Schaderreger sowie Lagerungsfähigkeit und Qualität von Lebens- und Futtermitteln könnten verbessert werden. Von Kritikern werden diese Möglichkeiten gerne als leere Versprechungen abgetan. Ich meine, das sind offensichtlich ökologische Verbesserungen, die die großen Probleme der konventionellen Landwirtschaft verringern können.

Sehen Sie keine Risiken?

Die Wissenschaft geht davon aus, dass die kleinen Änderungen durch Crispr/Cas an den pflanzeneigenen Genen, die nicht von einer spontanen oder natürlichen Mutation zu unterscheiden sind, keine Risiken darstellen. Anders sieht es aus, wenn mit der Methode Fremdgene eingeführt werden oder wenn sie dazu führt, dass ganze Populationen – beispielsweise die Malaria übertragende Stechfliege – ausgerottet werden. Die Risikobetrachtung müsste also differenziert sein.

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© Fibl

Urs Niggli ist Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (Fibl)

In Europa wird derzeit heftig gestritten, ob die neue Züchtungsmethode Gentechnik sei und damit unter das Gentechnikgesetz fallen müsste. Braucht es eine Anpassung des Gesetzes?

Das Gesetz sagt, dass eine Pflanze gentechnisch verändert ist, wenn ihr neue Eigenschaften hinzugefügt werden, welche durch natürliche Züchtung nicht erreichbar wären. Bei Crispr/Cas ist das aber anders. Es ist eine Technik, die gezielt Mutationen bei Pflanzen erzeugen kann. Dadurch verändern sich die Eigenschaften einer Pflanze zwar, aber es werden keine neuen Gene eingeführt wie bei der „alten“ Gentechnik. Die Manipulation ist also naturidentisch. Gentechnik-Kritiker argumentieren: Wenn eine Mutation durch ein technisches Verfahren zustande kommt, sei das Gentechnik – und müsse deswegen unter das Gesetz fallen und streng reguliert werden. Naturwissenschaftler betonen dagegen, dass es schon jetzt Ausnahmen bei der Erzeugung von Mutationen gibt, die nicht durch das Gentechnik-Gesetz reglementiert sind – zum Beispiel die Bestrahlung mit radioaktiven Quellen oder die chemische Behandlung. Die Frage ist, ob Crispr/Cas auch unter diese Ausnahmen fällt.

Sollten die mit Crispr/Cas gezüchteten Pflanzen streng reguliert werden – muss also auch hier das in Europa geltende Vorsorgeprinzip, die Genehmigungs- und Kennzeichnungspflicht gelten?

Ja, das Vorsorgeprinzip ist wichtig, ebenso die Transparenz gegenüber den Verbrauchern. Aber man muss zu einer differenzierten Einzelfallbetrachtung kommen. Es gibt Crispr/Cas-Züchtungen, die sind unproblematisch. Diese sollten weniger aufwändig geprüft werden als solche, die wirklich starke Eingriffe in die DNA der Pflanze verursachen – sie müssten aber natürlich auch seriös im Sinne des Vorsorgeprinzips geprüft und langfristig beobachtet werden. Ich plädiere sehr stark für eine Case-by-case-Betrachtung und bin gegen eine generelle Verteufelung der neuen Gentechnik.

Das klingt so, als wollten Sie sich mit den Umwelt- und Öko-Landwirtschaftsverbände anlegen, die diese präzisen Eingriffe in die DNA einer Pflanze generell ablehnen. Der Ökolandbau verbietet bekanntlich technische Eingriffen ins Genom  – es sei denn, sie kommen durch eine natürliche Kreuzung mit Bestäubung zustande.

Ich finde diese Ausrichtung der Züchtung ausgezeichnet, denn die Gesellschaft braucht Alternativen, besonders wenn es um so wichtige Dinge wie das Saatgut geht. Auch wenn sich eine technisch veränderte Pflanze nicht von einer traditionellen Kreuzungspflanze unterscheidet, werden unerwünschte oder unerwartete Wirkungen von kritischen Menschen als potenzielles Risiko gesehen – obwohl das bei jeder Züchtungsmethode passieren kann. Außerdem besteht die berechtigte Angst, dass die konventionelle Landwirtschaft mit Superpflanzen eine weitere Verödung des Anbaus vorantreibt. Am meisten Sorgen bereitet der Öko-Landwirtschaft aber ein möglicher Vertrauensverlust der Verbraucher. Die könnten zurückschrecken, wenn es heißt, dass Methoden der Gentechnik genutzt wurden. Ich bin da viel technikoffener, nehme aber die Sorgen ernst. Ich fordere auch von der konventionellen Landwirtschaft ernsthafte Schritte in Richtung echter Nachhaltigkeit. Wir kommen aus der Vertrauenskrise nur dann heraus, wenn sich beide Seiten bewegen.

Sie wurden vor einem Jahr wegen ihrer Position von dem Biozüchter-Verein „saat:gut“ hart angegriffen. In einem Brief an den FiBL-Stiftungsrat wurde Ihnen vorgeworfen, der Biobranche zu schaden. Haben Sie sich wieder versöhnt?

Die Einschätzungen sind nach wie vor sehr unterschiedlich. Ich unterstütze natürlich auch die Biozüchter, wo ich nur kann. Unser Institut investiert sehr viel Geld in die Biozüchtungsforschung, weil es wichtig ist, dass man sieht, welche Potenziale diese Alternative hat. Mich treiben aber die ökologischen Probleme der 91 Prozent konventionellen Bauern in Deutschland um. Und da muss man es aushalten, nicht immer linienkonform zu sein.

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