Drastische Gewaltszenen, sensible Sozialstudie oder die stillen Momente der Solidarität. Die „Delete“-Ausstellung auf der Triennale der Photographie erzählt, welche Bilder es in die Magazine geschafft haben – und welche unsichtbar blieben.
„Die Arbeit bringt die widersprüchliche Stimmung in der Region auf den Punkt – durch den Schriftzug ,We want Peace‘ in Verbindung mit dem an der Wand lehnenden Mann mit Gasmaske“, sagt Sven Schumacher, Kurator der „Delete“-Ausstellung. Er beschreibt die Fotografie, die Hanns-Jörg Anders aus dem Konflikt in Nordirland für eine Reportage im „Stern“ 1969 aufgenommen hat, die aber nicht gedruckt wurde. „Gezeigt hat der Stern eher die erwartbaren Bilder von Steine werfenden Demonstranten und schwerbewaffneten Polizisten“, sagt Schumacher. Trotzdem verschwand die „We want Peace“- Aufnahme im Gegensatz zu vielen anderen Bildern nicht ungesehen in der Schublade, im Gegenteil: Sie wurde weltberühmt. Anders reichte sie beim renommierten World Press Photo Award ein – und gewann. Nun dient die Fotoarbeit diesem Artikel als Aufmacher, das Original hängt in der Triennale-Ausstellung „Delete“ im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe.
Unter dem Motto „Breaking Point. Searching for Change“ startete im Juni dieses Jahres die Triennale in Hamburg. Da es dabei vor allem um Fotografien und weniger um Worte geht, zeigen wir ausgewählte Werke aus verschiedenen Ausstellungen des Festivals. Die thematischen Schwerpunkte der Triennale sind in Befehle einer Computertastatur geordnet – also in Enter, Home, Control, Space, Shift, Return, Delete und Escape. Laut Kurator Krzysztof Candrowicz täuschen diese klassischen Computerbefehle uns Simplizität vor, wo Komplexität herrscht. Das Ausstellungskonzept der Triennale will dem komplexen Beziehungsgeflecht der gesellschaftlichen Bereiche wie Politik, Wirtschaft, Presse und Kultur gerecht werden.
DELETE
Sven Schumacher hat die „Delete“-Ausstellung zusammen mit Esther Ruelfs kuratiert – inspiriert von der Frage, welche Reportagebilder es in den Druck schaffen und somit zur öffentlichen Meinungsbildung beitragen. Denn so wie die Bildauswahl mitentscheidet, wie eine Geschichte erzählt wird, prägt die in Medien präsentierte Perspektive auf einen Konflikt auch die öffentliche Meinung über Schuldige und Opfer. „Wir erinnern uns in Standbildern, ohne Bilder hat ein Narrativ keinen Platz im kollektiven Gedächtnis. Deshalb ist die Bildauswahl so machtvoll“, sagt Schumacher.
Die beiden Kuratoren haben Reportagefotografien der Sechziger-, Siebziger- und Achtzigerjahre ausgewählt. Anhand der Motive, die es in die Veröffentlichung geschafft haben und derer, die unsichtbar geblieben sind, versuchen Ruelfs und Schumacher nachzuvollziehen, wie die Prozesse der Bildauswahl in Redaktionen ablaufen. „Im Prinzip ist die Hierarchie immer so: Der Fotograf kann Vorschläge machen, die Bildredaktion trifft die Vorauswahl, im Layout wird weiter differenziert. Aber das letzte Wort hat immer der Chefredakteur“, sagt Schumacher.
Unruhen in Nordirland – Hanns-Jörg Anders
Hanns-Jörg Anders fotografierte 1969 für eine Stern-Reportage die Eskalation der Gewalt im Nordirlandkonflikt. Die Filme mit den Aufnahmen gab er einem Kollegen mit, der früher abreiste. So kamen die Fotografien vor dem Fotografen in Hamburg an. Als Anders nach seiner Dienstreise in die Redaktion kam, hatte die Bildredaktion die Auswahl längst getroffen, ohne ihn. Die Redakteure konzentrierten sich auf die Straßenschlachten in Belfast und Londonderry. Die Bilder, in denen Anders die sozialen Folgen des Bürgerkriegs dokumentiert hatte, blieben ungedruckt.
„Während der Stern nur die Gewaltbilder, die mehr Aufmerksamkeit versprechen, gedruckt hat, bildete Anders auch andere Facetten des Konflikts ab. Momente der Solidarität, in denen Protestanten und Katholiken Brot ausstauschen und sich gegenseitig helfen – über den Stacheldraht hinweg“, sagt Sven Schumacher und beschreibt damit die Straßenszene an der Lower Clonard Street.
Überlebende mit dem Foto einer Angehörigen – Ryuchi Hirokawa
Der japanische Aktivist und Fotograf Ryuchi Hirokawa fotografierte während des libanesischen Bürgerkriegs 1982 in den Flüchtlingscamps Sabra und Schatila, als libanesische Milizen Hunderte palästinensische Flüchtlinge töteten. Einige der Bilder zeigen unmittelbare und schockierende Gewaltszenen, was in dieser Drastik neu war: Man sieht verzweifelte Überlebende, auf der Straße liegende Leichen und die Gesichter einzelner getöteter Menschen. Dieser ungefilterte fotografische Blick auf Gewalt und Tod wirft die bis heute unbeantwortete Frage auf, wie brutal und direkt die mediale Berichterstattung sein darf oder muss. Die japanische Ausgabe des Playboy-Magazins bot Hiwokawa im Dezember-Heft von 1982 eine Plattform für die Bilder, ergänzt durch einen israelkritischen Artikel und einen persönlichen Erlebnisbericht des Fotografen.
„Bei Hirokawa sieht man, dass er nicht nur Fotograf, sondern auch Aktivist war. Seine Fotografie setze er als Instrument seiner politischen Agenda ein“, so Kurator Schumacher. Über das folgende Bild sagt er: „Dieses Bild gehört zur Serie von teils drastischen Aufnahmen unmittelbarer Gewalt, die sehr umstritten war.“
Slums in Montgomery, Alabama – Thomas Hoepker
Für das Magazin Kristall entstand 1963 Thomas Hoepkers epochaler Bildbericht über die USA. Viele der Fotografien dieser Reportage zeigen die Ausgrenzung und Armut von schwarzen Menschen. Gedruckt wurden allerdings andere Aspekte des amerikanischen Alltags: soziale Brutalität in Großstädten, Brennpunkte der Kohleindustrie, Tristesse der Kleinstädte sowie die Insignien amerikanischer Popkultur.
„Die meisten dieser Bilder von afroamerikanischen Kindern in desolaten Verhältnissen haben es nicht auf die gedruckten Seiten geschafft, vielleicht weil das damals in Deutschland noch nicht als relevantes Thema wahrgenommen wurde. Auch wenn das Thema in den USA hochbrisant war, hat man in der deutschen Publikation keinen Platz dafür gefunden“, so Sven Schumacher.
Die Freunde Mehri und Karlheinz beim Essen – Günter Hildenhagen
Den Auftrag der Diakonie und Caritas, die Häuser sozialer Einrichtungen zu fotografien, nahm der Fotograf Günter Hildenhagen in den Sechziger- und Siebzigerjahren zum Anlass, die Menschen in den Häusern zu fotografieren. Er wollte mit seiner Arbeit solchen Menschen auf Augenhöhe begegnen, die vom Rest der Gesellschaft kaum wahrgenommen werden. Das unten gezeigte Bild erschien als Symbolbild für einen Artikel im Magazin „Der Bote. Für die evangelische Frau“.
„Aber Hildenhagen interessierte sich für die Biografie und das Leben der Menschen auf seinen Bildern. Er sieht bei seinen Serien die Menschen hinter ihren vermeintlichen Defiziten – wie bei dem unten abgebildeten Liebespaar, das zusammen in Wittekindshof, einer sozialen Einrichtung der Diakonie, gelebt hat. Die Arbeit von Hildenhagen zeigt sehr berührend die Beziehung der beiden und wie sie zusammen den Alltag meistern. Weil solch eine Geschichte damals in den Medien nicht möglich gewesen wäre, erzählte der Fotograf sie durch seine Bilder in Ausstellungen“, sagt Sven Schumacher.
Auf die Frage, welche Auswahlkriterien ausschlaggebend in journalistischen Redaktionen seien, sagt Sven Schumacher: „Ich möchte hier nicht das letzte Wort haben.“ Die Antworten darauf sollen sich die Besucher in der „Delete“-Ausstellung selbst erschließen – anhand der Foto-Serien, der ausgestellten Reportage-Seiten, der Kontaktbögen, in denen Redaktionen die ausgewählten Bilder markieren, und der Video-Interviews mit den Fotografen.
Die „Delete“-Ausstellung ist noch bis diesen Sonntag (25. November) im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg zu sehen. Weitere Ausstellungen der 7. „Triennale der Photographie Hamburg“, die teilweise noch bis Januar 2019 laufen, sind die Personal-Icons-Ausstellung von Sven Jacobsen (bis 6. Dezember) und die Anton-Corbijn-Ausstellung (bis zum 6. Januar 2019).
Diese stellen wir teilweise auf greenpeace-magazin.de vor, zu finden in der Rubrik „Aktuelles“. Einen Überblick aller besprochener Ausstellungen gibt es im Dossier „Umweltzerstörung in der Kunst“. Als Auftakt unserer Artikelreihe zum Fotofestival erzählte der Kurator Krzysztof Candrowicz im Interview, warum er glaubt, dass bei der Umweltzerstörung der Breaking Point bereits erreicht ist – und wie Kunst beim Wandel helfen kann.