Als Phyllis Omido im Jahr 2009 einen Job in der Öffentlichkeitsarbeit einer neuen Fabrik im Hafen von Mombasa bekommt, ist sie überglücklich. Die Stelle bei „Metal Refinery“ ist herausfordernd, ihre indischen Auftraggeber zahlen gut und sie kann ihren kleinen Sohn mit zur Arbeit bringen – für die alleinerziehende 31-Jährige eine große Erleichterung. Dass die Fabrik, in der aus alten Autobatterien der Rohstoff Blei gewonnen wird, keine hinreichende Umweltprüfung durchlaufen hat, stellt Omido rasch fest. Auch, dass über dem angrenzenden Slum Owino Uhuru dauerhaft dunkle, beißend riechende Rauchwolken hängen und ihre Chefs daran nichts ändern wollen. Doch erst, als ihr Sohn starkes Fieber und Hautausschläge bekommt, erkennt Phyllis Omido: Der neue Job ist ein Alptraum.
Mütter demonstrierten gegen die Bleiverschmutzung – mit spätem Erfolg
Ihr Sohn erleidet eine schwere Bleivergiftung, sein zentrales Nervensystem wird geschädigt, die Ärzte sagen, er wird nie wieder derselbe sein. Omido beschließt, die Anwohner zu warnen, organisiert gemeinsam mit den Müttern der Gemeinde Demonstrationen, warnt Politik und Verwaltung vor den Auswirkungen der Bleiverschmutzung – doch bis die Fabrik im März 2014 schließt, sterben unzählige Menschen. Genaue Zahlen fehlen, da die Slumbewohner kein Geld für eine Autopsie haben. Omido selbst schildert, dass rund 300 Kinder durch Bleivergiftungen in Owino Uhuru gestorben sind. „Das Blei, dass in Owino Uhuru recycelt wurde, war für den Export bestimmt, für Autobatterien auf der ganzen Welt. „Die Menschen in Europa sollen wissen, dass für ihre Autobatterien Kinder sterben mussten“, sagt Phyllis Omido.
Die Deutsche Akademie für Technikwissenschaften geht davon aus, dass 25 bis dreißig Prozent des in Europa anfallenden Elektroschrotts illegal exportiert werden - inklusive der Autoakkus. Viele davon landen in afrikanischen Ländern, in denen Blei-Säure-Batterien recycelt werden. Das Öko-Institut schätzt die Zahl auf 1,2 Millionen Tonnen jährlich, die Recyclinginitiative REDIN geht von jährlich rund 500.000 Bleibatterien aus, ein großer Teil davon Autobatterien. Das Geschäft mit dem Sondermüll boomt: Die Nachfrage nach dem Rohstoff Blei steigt weltweit, besonders in den Industrieländern. Doch es ist ein hochgiftiges Unterfangen, das Schwermetall aus den alten Batterien herauszulösen. Die Arbeiter sollten eigentlich von Kopf bis Fuß in Schutzanzüge gehüllt sein, die Fabriken mit speziellen Filtersystemen von der Umwelt abgeschirmt. In vielen Ländern Afrikas werden diese Auflagen aber umgangen.
Am Blei klebt Blut
Am Ende gelangt das Blei über Umwege und Zwischenhändler in Form von Schredder, Paste oder Barren zurück nach Europa. Was die meisten Konsumenten hierzulande nicht wissen: Hochgiftiges Blei, das in Afrika Menschen vergiftet, könnte unter jeder Motorhaube stecken. „Niemand weiß, welche Last die Arbeiter und ihre Familien tragen, dass an dem Blei Blut klebt“, sagt Phyllis Omido. Sie will, dass die Konsumenten von den Umständen des Bleirecyclings erfahren und sich ihren Forderungen anschließen und dass deutsche Investoren verantwortungsvolle Recyclingprozesse einfordern. „Viele meiner ehemaligen Mitstreiter sind mittlerweile gestorben – sie haben mir mitgegeben, dass ich ihren Kampf fortsetzen soll. Die Bewohner von Owino Uhuru hoffen noch immer auf Gerechtigkeit.“
„Troublemaker“, so wurde Omido wegen ihres Engagements lange genannt. Warum sie den langen und gefährlichen Kampf gegen das giftige Elektroschrott-Business aufgenommen hat, erklärt sie selbst so: „Fast immer bin ich diejenige, die für die Dinge kämpft, die wir als Familie brauchen. Diese Rolle hat mir meine Mutter schon sehr früh zugewiesen.“ Als ihr Vater noch zuhause gewohnt habe, sei stets sie dafür zuständig gewesen, ihn in seine Schranken zu weisen. „Ich denke, aus dieser schwierigen Zeit rührt auch meine Unfähigkeit, Ungerechtigkeiten zu tolerieren. In meiner Jugend habe ich viel zu viel erleben müssen, so viel, dass es mir für den Rest meines Lebens reicht“, schreibt sie in ihrem Buch „Mit der Wut einer Mutter“, das Ende September auch in Deutschland erschienen ist.
Omido wurde festgenommen und eingesperrt
Tatsächlich hat der Kampf gegen die „Metal Refinery“ Phyllis Omido viel abverlangt: Sie wurde unzählige Mal festgenommen und eingesperrt, ihr wurde gedroht, sie wurde angegriffen, öffentlich diffamiert. „Nicht mal meine Familie konnte verstehen, warum ich die Dinge nicht einfach bewenden ließ“, sagt Omido heute, „es gab eine Zeit, wo meine Verwandten mir sogar damit drohten, mir meinen Sohn wegzunehmen.“ Erst als Omido Unterstützung von internationalen Nichtregierungsorganisationen bekam, wendete sich das Blatt. Die junge Frau gewann ein Gerichtsverfahren, das sie eigentlich zur Kapitulation hätte bewegen sollen. Die öffentliche Aufmerksamkeit für die Zustände im Slum von Owino Uhuru wuchs daraufhin. 2015, knapp ein Jahr, nachdem die „Metal Refinery“ schließen musste, erhielt Omido für ihr Engagement den weltweit wichtigen Goldman Environmental Prize. Ihr und der von ihr gegründeten Organisation „Center for Justice Governance and Environmental Action“ gab das weiteren Auftrieb im Kampf für die Rechte von Slumbewohnern und Arbeitern gegen die toxische Industrie.
Phyllis Omidos Buch ist keine klassische Heldinnengeschichte – das ist es auch, was diese Biografie sehr lesenswert macht. Denn Omido zeigt sich als Mensch, der zunächst nicht mehr will als die Genesung ihres Kindes, die die Konfrontationen zunächst meidet und zeitweise auch geneigt ist, trotz besseren Wissens nichts gegen ihre Arbeitgeber zu unternehmen. In den ersten Kapiteln folgt man gespannt ihrem Ringen mit sich selbst, dem Abwägen zwischen Moral und Anstand und monetären Zwängen. Omido beschreibt schließlich eindringlich ihre Verwandlung von der Angestellten zur Aktivistin.
Ihr Engagement braucht keinen Vergleich
Vielleicht ist gerade das die Heldengeschichte, die es in dieser polarisierten Zeit braucht. Schade nur, dass der Verlag dieses Buch mit dem Untertitel „Die Geschichte der afrikanischen Erin Brockovich“ versieht. Omidos Engagement steht für sich und hätte keines prominenten Vergleichs bedurft. Recherchen der internationalen Menschenrechtsorganisation Global Witness zufolge werden jedes Jahr rund 200 Menschenrechts- und Umweltaktivisten weltweit ermordet – im Schnitt vier Personen pro Woche. Vielerorts werden Aktivisten zudem massiv bedroht, erleiden physische Gewalt oder werden inhaftiert. Es wird dabei oft die gesamte Familie bedroht, sei es durch die Entführung von Angehörigen oder andere Formen der Einschüchterung und Gewalt. Auch bei Phyllis Omido war das so: Es gab immer wieder Übergriffe gegen sie und ihre Mitstreiter, immer wieder stand zu befürchten, dass Omidos Sohn entführt wird. Das Kind eines Mitstreiters war kurz vor dem Beginn des Prozesses gegen die „Metal Refinery“ in Mombasa entführt und nur auf Druck eines UN-Berichterstatters und der medialen Aufmerksamkeit schnell wieder freigelassen worden.
Omido sagt, sie habe das Unrecht einfach nicht stehen lassen können, dass Unternehmen aus Profitgier andere Menschen zugrunde richten. Bis heute muss ihr Sohn mit den Spätfolgen der Bleivergiftung leben. „Er ist ein großer Junge, auch gesund, aber eben langsamer als andere Kinder in seinem Alter“, sagt Omido. Ihr Junge hat überlebt. Den Kindern und Erwachsene in Owino Uhuru, die an der Bleiverseuchung gestorben sind, hat die Aktivistin ihr Buch gewidmet.
Phyllis Omido, Andrea C. Hoffmann: Mit der Wut einer Mutter. Die Geschichte der afrikanischen Erin Brockovich. Europa Verlag 2019