Leon Windscheid, 34, Psychologe und Autor,
aktuell mit dem Bühnenprogramm „Gute Gefühle“ unterwegs
„Ich merke, dass bei all den Krisen, die es auf diesem Planeten gerade auszuhalten gibt – wie Krieg, Inflation oder die Pandemie, die ganz vielen Leuten bestimmt noch in den Knochen steckt, – die Klimakatastrophe immer wieder diejenige ist, die alles andere überlagert. Damit meine ich nicht, dass das eine schlimmer ist, als das andere, sondern dass ich das Gefühl habe, dass in absehbarer Zeit alles verloren ist, wenn wir uns nicht um das Klima kümmern und es in den Griff bekommen.
Dadurch nimmt die Klimakrise einen ganz großen Raum in meinem Kopf ein. Das ist psychologisch deswegen spannend, weil wir aus der psychologischen Wissenschaft natürlich wissen, dass ein Mensch, um im Alltag klarzukommen, nicht die ganze Zeit im Krisenmodus sein kann und sich auch nicht ausschließlich mit Untergangsszenarien beschäftigen kann. Ich stelle daher häufig bei mir selber fest, dass ich in so ein Verdrängen hineingerate und dann versuche, nicht daran zu denken, mich nicht damit auseinanderzusetzen, obwohl ich weiß, wie dringlich es ist und wie viel mehr ich auch selber noch verändern und tun müsste. Ich glaube, es ist ein ganz zentraler Punkt bei allen Bestrebungen, die wir angehen, um diese Krise vielleicht doch noch abzuwenden, nicht zu unterschätzen, dass Menschen auch in ihrem Alltag irgendwie gut weiterleben sollen, dürfen und müssen.
Mir macht Angst, dass ich das Gefühl habe, dass wir manchmal mit unserer Angst vor der Klimakatastrophe und den Problemen auf dieser Welt, völlig falsch umgehen. Wir tun so, als wäre die Angst, vielleicht auch die Wut, die Verzweiflung und die Hoffnungslosigkeit dabei etwas Falsches, etwas das schlecht ist. Das stimmt nicht, negative Gefühle haben in so einem Moment einen Wert, weil sie uns anspornen, etwas zu verändern, Motivation in uns auslösen, unseren Fokus scharf stellen und uns dazu treiben, Dinge anzugehen. Die Angst an sich ist in dem Moment eine richtige und ganz natürliche Reaktion und die Frage ist, wie wir damit umgehen. Können wir sie in etwas Konstruktives umwandeln oder verlieren wir uns in irgendeiner Panik? Oder, was ich an vielen Stellen beobachte und für fast noch viel schlimmer halte, gehen wir in so einen Freeze-Modus? In der Psychologie nennen wir diesen Zustand „Eingefroren sein“ – wie das Kaninchen, das vor der Schlange sitzt und plötzlich nichts mehr macht.
Wütend macht mich, wenn so getan wird, als könnten wir nichts verändern und wenn die Verantwortung immer nur auf Einzelpersonen geschoben wird. Ich glaube, dass genau das der Trick der größten Klimasünder auf diesem Planeten ist, so zu tun, als hätte man eh keine Chance, weil Einzelpersonen sich nicht verändern werden. Wenn wir uns als Gruppe zusammentun und versuchen, die großen Strukturen anzugehen, die ja auch den größten Hebel auf das Klima haben, besteht vermutlich eine große Chance, sehr wohl etwas zu verändern. Die Ignoranz und die Annahme, uns Einzelpersonen für dumm verkaufen zu können, die manche Konzerne an den Tag legen, die macht mich tatsächlich wütend.
Hoffnung gibt mir, zu sehen, wie viele Menschen doch aktiv werden, damit sich etwas tut. Früher dachte ich immer, das wären eher die Jungen, mittlerweile scheint es aber generationenübergreifend zu sein. Wenn ich mir etwa meine Eltern angucke, die jetzt Rentner sind, die durch die Nachbarschaft ziehen und Flyer verteilen zum Thema Klimaaufklärung, die sich eine Solaranlage aufs Dach gebaut haben und versuchen, immer mehr autark zu sein. Es scheint in dieser Hinsicht quer durch die Gesellschaft eine große Bewegung zu geben. Natürlich weiß ich, dass noch sehr viel Strecke vor uns liegt, aber mich inspirieren ganz oft einzelne Menschen, die etwas geschafft haben und wenn es nur Kleinigkeiten sind. Wir Menschen sind Geschichtenerzähler und ich glaube, wir brauchen die, die uns eine Geschichte vorleben, wie es auch anders geht. Das ist etwas, was mir Hoffnung macht, weil ich es immer wieder von kleinen bis zu großen Beispielen sehe.
Wenn ich mich in der Natur aufhalte, habe ich oft das Gefühl, das ich wieder mit beiden Füßen auf dem Boden stehe. Wir leben in einer sehr hektischen und technischen Welt, und manchmal gehen wir dann mit unserem Körper so um, wie mit einem Mantel, den wir morgens ablegen, wenn wir ins Büro kommen und von dem wir genervt sind, wenn er sich dann wieder mit Rückenschmerzen oder dem Bedürfnis nach frischer Luft meldet. In dem Moment, wo man in die Natur geht, legen sich die Ebenen im Kopf wieder so ein bisschen mehr übereinander und man findet zu sich zurück. Das Spannende ist, dass ich das immer wieder fühle, wenn ich durch die Natur gehe. Vor allem, wenn ich mal so zwei Stunden im Wald wandern war. Im Deutschen fehlt uns zu diesem Gefühl, das da entsteht ein Wort, im Japanischen gibt es eins: ,Shinrin-Yoku‘. Das wohltuende Gefühl des Waldbadens. In Japan ist das auch Teil der medizinischen Versorgung, dass man sagt: ,Leute, geht in die Natur!‘ Ich versuche das selbst immer wieder umzusetzen, weil dieses Shinrin-Yoku für mich immer wieder ein sehr schönes Gefühl ist.“