Es wäre falsch zu sagen, sie hätten gar nichts verändert. Dank der internationalen Klimabewegung ist nun der breiten Masse das Pariser Klimaabkommen ein Begriff und fast jeder hat verstanden, dass es besser wäre, möglichst bald deutlich weniger CO2 in die Atmosphäre zu blasen, als wir es heute tun. Die SchülerInnen-Generation hat im Klimawandel ihr Protestthema gefunden, so wie die Generationen vor ihnen in der Abschaffung der Atomkraft oder in der Friedensbewegung. Vor allem Greta Thunberg brachte Millionen Menschen weltweit dazu, für eine radikalere Klimapolitik zu demonstrieren. Mit ihrem Schulstreik inspirierte sie Gleichgesinnte zur Bewegung Fridays for Future, in der sich heute Tausende SchülerInnen engagieren.
Trotzdem sagte Thunberg bei der Weltklimakonferenz letztes Jahr in Madrid: „Wir haben nichts erreicht.“
Denn so hoch die Welle auch war, die die Klimabewegung verursachte, so klein war die, die in der Politik darauf folgte. Die Weltgemeinschaft ist weit davon entfernt, die globale Erwärmung auf maximal zwei Grad zu beschränken. Das deutsche Klimapaket etwa, mit dem die Große Koalition die Klimaziele 2030 erreichen will, reicht laut der von der Bundesregierung selbst in Auftrag gegebenen Gutachten dafür nicht aus.
Unter den AktivistInnen sorgt das für Frust. „Wir haben als Fridays for Future bitter feststellen müssen, dass die Regierung trotz aller Warnungen und Proteste nicht handelt“, sagt Jakob Blasel, ehemaliger Bundessprecher der Klimabewegung. „Ich glaube, dass wir extrem viel verändert haben und dass wir auf einem sehr guten Weg sind, aber es gibt immer noch keine Bewegung in den Parlamenten, und da sollten wir ansetzen.“ Das will der 19-Jährige nun höchstpersönlich machen: Vor kurzem kündigte er in einem Interview auf Zeit Online an, für die Grünen in Schleswig-Holstein bei der nächsten Bundestagswahl zu kandidieren. Ab sofort spricht er also nicht mehr im Namen von Fridays for Future, sondern in seiner neuen Rolle als Jungpolitiker.
Blasels MitstreiterInnen bei Fridays for Future sehen das gemischt. „Viele finden es sehr toll und glauben, dass das der richtige Weg ist um etwas zu verändern, so wie ich auch“, erzählt er. „Aber andere haben natürlich auch Zweifel, ob wir das schaffen können im Parlament. Da schwingt dann auch manchmal genereller Zweifel am Parlamentarismus mit.“ Damit meint er: Die AktivistInnen wollen nicht Teil des politischen Systems werden, in das sie das Vertrauen verloren haben.
So hat auch mal eben jene Partei gedacht, für die Blasel nun kandidieren möchte. Die Grünen nannten sich selbst in ihren Anfangszeiten die Antipartei, Protestpartei oder Bewegungspartei. Sie speisten sich aus dem Unmut der 68er, radikalisiert durch den Tod Benno Ohnesorgs, der auf einer Demonstration gegen das Establishment von dem Polizisten Karl-Heinz Kurras erschossen worden war. Sie riefen auf zum „Marsch durch die Institutionen“, auf keinen Fall wollten sie so werden, wie die anderen Parteien.
Heute sind sie genau das: eine etablierte Partei. Als sie Anfang dieses Jahres ihr 40. Jubiläum feierten, saß das Establishment in Person des Vizekanzlers und Bundespräsidenten mit am Geburtstagstisch. Vom einstigen revolutionären Geist war nicht mehr viel übrig. Mit Luisa Neubauer luden sie sich das prominenteste Gesicht der deutschen Fridays for Future ein. Sie – die ebenfalls Mitglied bei den Grünen ist – durfte sich dann mit Hans Christian-Ströbele auf der Bühne unterhalten, der Funke zur gemeinsamen Revolution sprang da aber nicht über. Die Grünen sind eine Partei geworden, die politische Kompromisse eingeht, zu denen die AktivistInnen auf der Straße nicht bereit sind.
Jakob Blasel glaubt dennoch daran, die Partei von innen verändern zu können. „Gleichzeitig glaube ich, dass ich das nur schaffen kann, wenn ich nicht der einzige bin, der kandidiert. Da freue ich mich schon über ganz viele junge Leute, die ihre Kandidaturen angekündigt haben“, sagt er. So tritt etwa in Magdeburg der 25-jährige Fridays-for-Future-Aktivist Urs Liebau ebenfalls für die Grünen an.
Auch der amerikanische Aktivist Micah White wirbt für den Schritt in die Politik. White ist einer der Mitbegründer von Occupy Wallstreet, die Bewegung zur Besetzung des New Yorker Bankenviertels 2011, der sich weltweit AktivistInnen in fast 1000 Städten anschlossen. Und er ist einer der schärfsten Kritiker der Bewegung, wie auch Greta Thunberg sagt er: Wir haben nichts erreicht. „Mit dem erzwungenen Konsens zu brechen, [...] dass Occupy, Black Lives Matter, Standing Rock, Charlottesville und die unzähligen Proteste, die täglich weltweit stattfinden, Siege sind, obwohl sie ihre erklärten Ziele nie erreichen, ist nicht leicht“, schreibt er in einem Gastbeitrag in der britischen Zeitung The Guardian. „Die Art und Weise, wie AktivistInnen heute protestieren, sowohl online als auch auf der Straße, ist ineffektiv und führt nicht zu dem transformativen sozialen Wandel, den wir uns wünschen.“
Der Grund dafür: Der Wille des Volkes sei nicht mehr Grundlage der Autorität der gewählten VolksvertreterInnen, so Micah White. Den Ausweg sieht er darin, selbst VolksvertreterIn zu werden: „Ich glaube, dass die Konzentration auf das Gewinnen von Wahlen der richtige Weg ist.“ Er warnt aber davor, sich geräuschlos in das politische System einzufügen: „Stattdessen müssen wir unsere Bewegungen als Protestparteien – als Anti-Parteien-Parteien – positionieren, deren Aufstieg der Tod der etablierten Parteien sein wird.“ Eine Formulierung, die dann doch wieder stark an die Anfänge der Grünen erinnert.
Als solch eine Protestpartei dürfte wohl „radikal:klima“ gelten, die sich Anfang August in Berlin gründete. Auch sie speist sich aus dem Aktivismus, namentlich der Volksinitiative „Klimanotstand Berlin“ und Fridays for Future. Nächstes Jahr will sie bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl antreten. Ihr Ziel: Sie wollen Berlin bis 2030 klimaneutral machen – etwa mit einem kompletten Umstieg auf erneuerbare Energien und einer weitgehend autofreien Innenstadt. Moritz Ellenberg, Vorstandsmitglied der jungen Partei, wirft den Grünen in der Zeitung Neues Deutschland vor „von Lobbying und BerufspolitikerInnen durchsetzt“ zu sein, die Partei habe „jede Agilität und Radikalität verloren“.
Auf die selbst erklärten Radikalen angesprochen, sagt Jakob Blasel: „Ich freue mich über alle Leute, die sich für radikale Klimapolitik in Deutschland einsetzen, und das auch in anderen Parteien.“ Das hätte wohl auch jeder Berufspolitiker nicht diplomatischer ausdrücken können.