Seit drei Monaten schwänzen Schüler weltweit jeden Freitag den Unterricht, um für eine bessere Klimapolitik auf die Straße zu gehen. „Fridays For Future“ ist eins der Schlagworte der inzwischen globalen Bewegung und ihr Vorbild kommt aus Schweden: Greta Thunberg, 16-jährige Schülerin und radikale Klimaaktivistin. In der Politik sind die Schülerdemos umstritten. An diesem Dienstag haben sich nun mehr als 12.000 Wissenschaftler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz mit den jungen Klimaschützern solidarisiert. Auf der Bundespressekonferenz in Berlin haben die Wissenschaftler unter dem Motto „Scientists For Future“ eine Stellungnahme veröffentlicht, in der sie ihre Unterstützung für den Protest bekunden.
„Als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erklären wir auf Grundlage gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse: Diese Anliegen sind berechtigt und gut begründet. Die derzeitigen Maßnahmen zum Klima-, Arten-, Wald-, Meeres- und Bodenschutz reichen bei weitem nicht aus“, heißt es im Schreiben. Es fordert die Politik auf, die Bedenken der jungen Generation ernst zu nehmen und effektive Maßnahmen für klimafreundliches und nachhaltiges Handeln einzuführen. Unter anderem fordern die Wissenschaftler, die Netto-Emissionen von CO2 und anderen Treibhausgasen schnell abzusenken und weltweit spätestens zwischen 2040 und 2050 auf null zu reduzieren. Außerdem müsste die Verbrennung von Kohle 2030 fast vollständig beendet sein, die Verbrennung von Erdöl und Erdgas gleichzeitig reduziert werden, bis alle fossilen Energieträger durch klimaneutrale Energiequellen ersetzt worden seien.
Wir haben im Vorfeld der Bundespressekonferenz mit der Klimaaktivistin Luisa Neubauer, 22, darüber gesprochen, welche Ziele die noch junge Bewegung hat und wie die Unterstützung aus der Wissenschaft dabei helfen kann.
Frau Neubauer, Sie organisieren seit Dezember 2018 die wöchentlichen Schülerdemos „Fridays For Future“ in Deutschland mit. Welche Motivation steht hinter Ihrem Protest?
Wir fordern eine Paris-kompatible Klimapolitik, die ihre Versprechen hält. Und uns garantiert, dass wir eine Zukunft auf einem intakten Planeten haben. Konkret: Wir wollen einen Kohleausstieg bis 2030. Und dass die Regierung ihre selbstgesteckten Ziele einhält, zum Beispiel die Klimaschutzstrategie 2050. Selbst die wird ja verfehlt. Wie sollen wir so unser Vertrauen in die Politik und ihre Versprechungen behalten?
An diesem Dienstag haben mehr als 12.000 Wissenschaftler ihre Unterstützung für die Schulstreiks öffentlich bekundet. Was versprechen Sie sich von der Aktion?
Die Wissenschaftler erklären öffentlich, dass unsere Streiks berechtigt sind, da sie die geophysikalischen Auswirkungen des Klimawandels auf den Planeten als gravierend einschätzen. Und deshalb machen sie auch darauf aufmerksam, was dazu auf politischer Ebene passiert, beziehungsweise nicht passiert. Diese Aktion war eine Eigeninitiative aus der Wissenschaft, damit hatten wir erst einmal gar nichts zu tun. Allerdings ist diese öffentliche Unterstützung für uns sehr wichtig. Mit unserem Protest für eine lebenswerte Zukunft argumentieren wir auf moralischer Ebene. Aber wir sagen auch, dass die Wissenschaft schon seit zwanzig Jahren aufzeigt, was getan werden muss und was passiert, wenn nichts getan wird. Und wir sagen: Bitte hört auf die Wissenschaft!
Und jetzt sagt die Wissenschaft: Bitte hört auf die streikenden Schüler. Nimmt das Kritikern wie dem FDP-Chef Christian Lindner den Wind aus den Segeln, der in einem Interview in der Welt am Sonntag Ihnen und ihren Mitstreitern die Kompetenz in Klimafragen abgesprochen hat?
Wenn Herr Lindner genau zugehört hätte, hätte er längst verstanden, dass wir einerseits sehr wohl in der Lage sind, die großen klimatischen Zusammenhänge zu verstehen. Und andererseits seit drei Monaten die Politik ermahnen, die Ergebnisse aus der Wissenschaft bei ihrem Handeln zu berücksichtigen, eben weil uns bewusst ist, dass genau dort die Fachkompetenz zu finden ist.
Was denken Sie, wird sich durch die Unterstützung der Wissenschaftler für Ihre Bewegung ändern?
Bisher sind die Reaktionen aus der Politik sehr unterschiedlich. Aber die meisten Politiker klopfen uns gerne auf die Schulter und fahren dann die gleiche zukunftszerstörende Politik wie in den letzten fünfzig Jahren. Und das geht jetzt nicht mehr, denn die Position der Wissenschaftler lässt sich nicht mehr so eben zur Seite wischen wie unsere Apelle. Wer als Politiker wissenschaftliche Fakten ignoriert, hält sich nicht langfristig an der Macht, zumindest nicht in Deutschland.
Auch von anderen Stellen gibt es Kritik. So hat die Tageszeitung FAZ Ihnen in einem Artikel vorgeworfen, dass Sie zwar für den Klimaschutz kämpfen, aber dabei mit vielen Flugreisen selbst zum Klimawandel beitragen. Wie begegnen Sie solcher Kritik?
Ich differenziere zwischen Kritik und Hate. Mit ersterem setze ich mich gerne auseinander, denn jede Person muss ihr eigenes Handeln kritisch hinterfragen. Das tue ich auch, deshalb kompensiere ich die CO2-Emissionen der Flüge, die ich in meiner Vergangenheit getätigt habe, so gut es eben geht und lebe nach jahrelanger vegetarischer Ernährungsweise heute komplett vegan. Aber an einem gewissen Punkt sage ich: „So what?“ Das Beste, was wir jetzt machen können, ist uns zu informieren, eine radikale Klimapolitik zu fordern, nicht aufzuhören selbstkritisch zu sein, aber dabei nicht den Blick für das große Ganze zu verlieren. Denn darum geht es: um die strukturellen Änderungen und politischen Rahmenbedingungen, die ermöglichen, dass wir als Land unseren CO2-Fußabdruck limitieren. Ich kritisiere den neoliberalen Diskurs, den wir über die individuellen Konsumentscheidungen führen. Denn damit verschieben wir Klimaschutz ins Private. Und das ist gefährlich, denn wir werden nicht durch Freiwilligkeit die Klimakrise lösen. Das haben wir schon in den letzten dreißig Jahren gesehen, in denen wir wussten, wie es ums Klima steht, und kaum etwas passiert ist.
Und wie gehen Sie damit um, wenn Kritiker im Netz versuchen, politisch engagierte Frauen wie Sie oder Greta Thunberg durch Anfeindungen oder Hatespeech zu diskreditieren?
Das fällt häufig in die Kategorie „whataboutism". Das kommt von Leuten, die sich nicht mit einer so komplexen Thematik wie der Klimapolitik beschäftigen wollen und deshalb Einzelne persönlich angreifen. Aber für irgendwelche Leute, denen jeden Nachmittag nichts Besseres einfällt, als vorm Rechner zu hängen und Personen wegen ihres Geschlechts auf Twitter & Co. anzugreifen, haben wir keine Zeit mehr. Hier müssen wir uns als junge Frauen gegenseitig bestärken und weitermachen. Gerade weil Klimaschutz immer auch feministisch ist. Denn die ersten, die von der Klimakrise betroffen sind, sind Frauen und das vor allem im globalen Süden. Und das sind die, die strukturell am wenigsten dazu beigetragen haben, dass wir in diese Krise gekommen sind. Wenn wir radikalen Klimaschutz fordern, geht es auch um den Schutz dieser Frauen.
Eine weitere Kritik an Ihrem Protest zielt auf das Fernbleiben vom Schulunterricht ab. Sehen Sie es als problematisch an, dass die Schüler Lernstoff verpassen, wenn sie nicht in die Schule gehen?
Wir würden wahrscheinlich nicht miteinander sprechen, wenn wir von Anfang an sonntags protestiert hätten. Denn wir drehen die moralische Fragestellung weiter: Warum soll ein junger Mensch in die Schule gehen und für eine völlig ungewisse Zukunft lernen? Was bringt alles Schulwissen der Welt, wenn wir in zwanzig, dreißig, vierzig Jahren ganz andere Sorgen haben werden. Solch ein Szenario baut Druck auf und ich bin überzeugt, dass dieser Druck bestehen bleiben muss. Und dafür brauchen wir eine gewisse Radikalität im Protest, dafür brauchen wir den Streik.
Ob Berlin, New York, Buenos Aires oder Kyoto: Für Freitag diese Woche (15.03.) sind weltweit Kundgebungen in mehr als tausend Städten geplant. Allein in Deutschland sind rund 140 Proteste angesetzt – so viele wie in keinem anderen Land. Die Organisatoren von „Fridays For Future“ wollen so umfassende internationale Schulstreiks fürs Klima auf die Beine stellen, wie es sie vorher noch nicht gab.