Jamie Oliver hat es getan, Sarah Wiener hat es getan und auch der Granstubben-Kindergarten im norwegischen Henning: Sie haben Kinder bei der Schlachtung von Tieren zusehen lassen. Und ob Huhn, Kaninchen oder Rentier, stets war danach aus Sorge um die Kinderseelen die Empörung groß. Das Argument, die Kleinen, denen wir Fleisch auftischen, sollten auch erfahren, wo dieses denn eigentlich herkommt, leuchtet nicht allen ein, die Welt ist ja grausam genug. Der Trend geht zur Realitätsverweigerung.
Deutschlands zweitgrößter Fleisch- und Wurstkonzern „The Family Butchers“ (er heißt wirklich so) treibt nun mit der Werbung für seine bekannteste Marke die Entfremdung von Produkt und Tier auf die Spitze. 73-mal (!) fällt in einem Imagefilm, den man sich im Internet anschauen kann, das Wort „Bärchen“, aber kein einziges Mal das Wort „Schwein“. Die Moderatorin im Holzfällerhemd, die Firmenchefs und ins Studio geladene „Experten“ plaudern da scheinbar frei von der Leber weg über die Entwicklung des Verpackungsdesigns – und schweigen die Tiere, aus deren Fleisch und Organen ihre Produkte bestehen, nun ja, einfach tot.
Es ist ein Video zum Gruseln – und zum Fremdschämen. „Diese Wurst schmeckt auch ohne Brot“, scherzt ganz ungezwungen CEO und Bärchenwursterfinder Hans-Ewald Reinert, und erzählt, es sei „ganz süß“, was die „Marktforschung mit Müttern und Kindern“ ergeben habe: Die Kleinen begännen „immer mit den Tatzen, links, rechts – und dann arbeiten sie sich sozusagen vor bis zum Kopf.“ Iih! Aber die Rede ist ja nicht vom Schweinekopf.
Die 1998 eingeführte Bärchenwurst ist ein gesellschaftliches Phänomen. Den einen gilt sie als Gipfel der Geschmacklosigkeit – die anderen kaufen sie. Viele Menschen nehmen offenbar keinen Anstoß daran, dass das Fell des lachenden Teddys auf der Verpackung schweinchenrosa ist, und finden es auch nicht makaber, dass „Mutter und Kind“ – Väter haben in der Bärchen-Welt nichts mit der Versorgung der Kinder zu tun – auf der Werbeanzeige fleischfarbene Ringelshirts tragen. Auf so eine Idee muss man erstmal kommen: Die Farbe der Masse, die entsteht, wenn man die Körper intelligenter Säugetiere zermalmt, zum Markenerkennungszeichen zu machen. Sogar das Plastikförmchen für den „Bärchen-Streich“ ist rosa, man bekommt die Leberwurst aus den Tatzen und Ohren mit dem Messer kaum heraus.
Das alles kann man eklig finden oder nicht, aber richtig ärgerlich ist: „Kinderwurst“ dient nicht dem Kindeswohl, obwohl der Grinsebär genau diesen Anschein erweckt. Denn zu viel Fleisch, vor allem in hochverarbeiteter Form, ist laut Weltgesundheitsorganisation WHO ungesund, und falsch ernährte Kinder leiden unter den Folgen ihr Leben lang. Seit Jahren warnen Verbraucherschützerinnen vor sogenanntem Kindermarketing und mahnen strikte Beschränkungen für Lebensmittelwerbung an, die mit Comicfiguren, Gimmicks, Onlinespielen und dergleichen zum Kauf lockt. Einer aktuellen Foodwatch-Studie zufolge enthalten 86 Prozent der für Kinder beworbenen Lebensmittel „zu viel Zucker, Fett und/oder Salz“. Die Zahl ergibt sich aus Richtwerten der WHO, die vorgeben, welche Lebensmittel keinesfalls für Kinder beworben werden sollten.
Fast alle „Bärchen“-Produkte, ob Mortadella, „Schla-Wiener“, Geflügelwurst oder Salami, enthalten demnach zu viel Salz, die meisten – vor allem „Bärchen-Streich“ – auch zu viel Fett. Das heißt nicht, dass Kinder, denen es schmeckt, nicht auch mal Fleisch und Wurst essen dürfen, die ja auch wertvolle Inhaltsstoffe wie Proteine und Eisen enthalten. Unethisch ist es jedoch, sie mit Werbetricks und lustigen Figuren zum übermäßigen Konsum zu verführen, was übrigens auch die Ampel-Parteien so sehen, die in ihrem Koalitionsvertrag Beschränkungen für an Kinder gerichtete Werbung angekündigt haben. Wenn man ihnen Fleisch und Wurst auftische, dann „nicht mehr als zwei bis drei Portionen pro Woche“, rät die Verbraucherzentrale. Die Nachhaltigkeits-Plattform Utopia urteilt: „Ob in Gesichtsform, Bärchengestalt oder in bunter Verpackung mit Comicfiguren“, Kinderwurst verniedliche den Fleischkonsum „auf dämliche Art und Weise“ – und setzt sie auf eine Liste der „10 Dinge, die Eltern ihren Kindern nicht geben sollten“.
Vor allem sollte man sie nicht für dumm verkaufen. Kinder lieben Schweine, und wenn sie Wurst mögen, können sie auch mit der Information umgehen, dass die aus Fleisch gemacht ist. Allerdings bestehen Kinder darauf, dass Tiere stets gut behandelt werden. Auf der Family-Butchers-Website ist jedoch über die Haltung der Schweine und Puten, die in der Bärchenwurst landen, kaum etwas herauszufinden. In einer seltsamen „Marktstudie“ erfährt man nur, „etwas Idylle“ dürfe bei der Vermarktung noch sein, und: „Bei der Abbildung von Schweinen“ sei Naturnähe willkommen. Offenbar wollen die Family Butchers die ganze Familie für dumm verkaufen.
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