„Geflügelreferendum“ – das klingt zunächst nach einer prima Idee, die dem Zentralverband der deutschen Geflügelwirtschaft da gekommen ist: Bei allen negativen Schlagzeilen und Diskussionen um die Geflügelhaltung fragen wir doch einfach einmal die, um die es schließlich geht: die Tiere.
Doch ein Schelm, wer Böses dabei denkt – interviewt wurden nicht die lieben Hühner, sondern 10.000 Bürgerinnen und Bürger. „Fänden Sie es ungerecht, wenn sich nur noch wenige Fleisch leisten könnten?“, wurden diese vom Lobbyverein der Geflügelwirtschaft ganz nonchalant gefragt. Das Ergebnis: 53 Prozent der Menschen in Deutschland finden das unfair. Überraschend, nicht wahr? So, nun ja, überraschend, dass der Verband die Antworten in einer multimedialen Werbekampagne – mit Verlaub – ausschlachtet.
Doch hätte man den Bürgerinnen und Bürgern nicht solch irreführende Suggestivfragen gestellt, sondern wirklich zugrunde gelegt, wie es den Hühnern und Puten in den Ställen ergeht, wäre das Ergebnis höchstwahrscheinlich anders ausgefallen.
Ein paar Beispiele gefällig?
Die Hochleistungszucht mästet ein Tier nach dem Schlüpfen 28 bis 42 Tage lang, bis es geschlachtet wird. In dieser Zeit nimmt ein Küken das 60-Fache seines Gewichts zu – ein kurzes, leidvolles Leben ohne Tageslicht. Auf einen Quadratmeter Stallfläche kommen 24 Tiere, in modernen Mastanlagen drängen sich so meist 40.000 Hühner. Der Trend geht über zu weniger, dafür noch größeren Betrieben: Im Januar wurde einem Mäster in Bayern ein Mega-Stall für 124.600 Hühner genehmigt, eine Million Tiere sollen darin pro Jahr für die Schlachtung gezüchtet werden.
Masthühner leiden aufgrund der Enge häufig unter Stress und verletzen sich gegenseitig. Spezielle Züchtungen erhöhen den Anteil des beliebten Brustfleischs so stark, dass die Tiere kaum stehen können. Unter solchen Bedingungen verbreiten sich Bakterien rasend schnell. Neun von zehn Masthähnchen bekommen Antibiotika. Trotzdem ist über die Hälfte der im Supermarkt verkauften Hähnchen mit Keimen belastet, ergab eine Stichprobe. Zunehmend sind diese multiresistent, sodass nicht einmal mehr Reserveantibiotika wirken, die man für Härtefälle zurückhält.
Wie da wohl eine echte Geflügel-Umfrage ausgefallen wäre? Wohl kaum ein Huhn würde dem Schlachter freudig entgegenlaufen, wenn es die Wahl hätte. Attraktiver wären da schon frische Luft, Auslauf und eine schöne Wiese zum Scharren und Picken.
Doch nicht nur das Geflügel hätte man „fragen” können. Auch die Stallbetreiberinnen und -betreiber haben es oft so schwer, dass vor allem kleinere Betriebe um ihre Existenz bangen müssen. Angesichts der Dumping-Fleischpreise – oft liegt der Erzeugerpreis von einem Kilo Hähnchenfleisch bei unter 90 Cent, was in vielen Fällen nicht einmal die Kosten deckt – bleibt ihnen kaum etwas anderes übrig als immer mehr Tiere auf wenig Raum unterzubringen. Der Wechsel zu bio mit deutlich besseren Bedingungen ist so für viele schlicht nicht zu stemmen.
Der begleitende Bericht zum „Geflügelreferendum“ verteidigt dieses kaputte System. „Aus unserer Sicht laufen wohlfeile Appelle, beispielsweise von einigen NGOs, den Fleischkonsum insgesamt schnellstmöglich zu halbieren, völlig ins Leere“, schreibt Präsident Friedrich-Otto Ripke im Vorwort des Branchenreports. Denn das Referendum finde auch durch den Konsum statt, und der gebe der Industrie Recht: Seit 1995 würden die Deutschen 66 Prozent mehr Geflügelfleisch essen – das Volk hat also gesprochen? Nach dieser Argumentation könnte man zuspitzen, dass Tierleid und prekäres Wirtschaften nun einmal gesellschaftlicher Konsens seien. Tja, da kann man wirklich nichts machen.
Das „Geflügelreferendum“ soll also vor allem eines: das Image deutscher Großbetriebe aufpolieren, denen man bloß keine Auflagen machen dürfe. „Wenn das Rad hierzulande überdreht wird, profitiert die Konkurrenz außerhalb Deutschlands, die Geflügelfleisch zum Teil unter deutlich weniger ambitionierten Haltungs-, Umwelt- und Arbeitsstandards erzeugt“, so die Argumentation von Friedrich-Otto Ripke. Heißt: Wir wollen es mit den Ambitionen hier in Deutschland mal nicht übertreiben.
Folgerichtig wehrt sich der Lobbyverband vehement gegen die Begrenzung der Bestände, man wisse schon selbst am besten, wie Tierhaltung abzulaufen habe: „Unsere Halter haben in den vergangenen Jahren längst für gute, tierwohlgerechte Weiterentwicklungen in ihren Ställen gesorgt.“ Man sei systemrelevant, es gehe schließlich um Ernährungssicherheit – und 57 Prozent der Befragten sähen das genauso. Warum der durchschnittliche Verzehr von knapp zwei Kilo Geflügelfleisch pro Kopf und Monat in Deutschland überlebensnotwendig sein soll, bleibt Herr Ripkes Geheimnis. Aber da kräht doch kein Hahn nach, oder?
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