Premiere, Premiere! Der norwegische Kreuzfahrtanbieter Hurtigruten schickt das weltweit erste „Expeditionsschiff“ mit Hybridantrieb, die „MS Roald Amundsen“, auf vermeintlich nachhaltige Antarktis-Reise. Blöd nur, dass die 500 Passagiere dazu ans Ende der Welt fliegen müssen – wir haben uns erlaubt, die Werbeanzeige einmal zurechtzurücken.
Eines muss man Hurtigruten zugutehalten: Wenigstens scheint bis in die Konzernzentrale in Tromsø durchgedrungen zu sein, dass Kreuzfahrten erhebliche Umweltschäden anrichten. Die vier Dieselmotoren des neuen Hybrid-Flaggschiffs „MS Roald Amundsen“ erzeugen nicht nur den Strom für den elektrischen Antrieb und die übrige Schiffstechnik. Sie laden auch Batterien, die den Antrieb unterstützen und ihn immerhin für dreißig Minuten sogar allein versorgen können. Im Schnitt sollen so zwanzig Prozent Treibstoff gespart werden. Aber ob das schon für den selbstverliehenen Titel „Pioniere der Nachhaltigkeit“ genügt?
Angesichts der Tatsache, dass die meisten Kreuzfahrtschiffe noch giftiges Schweröl verbrennen, ist es jedenfalls nicht allzu schwer, Vorreiter für umweltfreundliche Kreuzfahrt zu sein. Thor Hakon Bakke von den norwegischen Grünen bezeichnet das Ganze als „reinen Technologie-Optimismus.“ Das Geschäftsmodell der Kreuzfahrtbranche sei schlicht nicht vereinbar mit den weltweiten Klimazielen. Laut des Klimarechners von „Myclimate“ verursacht ein Passagier auf einer 18-tägigen Kreuzfahrt wie mit der „Roald Amundsen“ rund 8,6 Tonnen CO2 (bei einem Schiff mit bis zu 500 Passagieren und belegter Doppelkabine). Bei einer Ersparnis von 20 Prozent wären das noch immer knapp sieben Tonnen pro Kopf.
Jeder Passagier überziet sein CO2-Konto um Jahre
Das „Premierenangebot“ zum „Problemangebot“ machen überdies die Flüge, die im Preis von 8699 Euro für die Reise inbegriffen sind. Für den Transfer von Frankfurt am Main nach Punta Arenas in Süd-Chile und zurück sind vier Flüge nötig. Und die verursachen pro Person Klimagase mit der Wirkung von rund zehn Tonnen CO2. Bei 500 Passagieren ergibt das 5000 Tonnen – allein für die An- und Abreise. Wenn man nun noch die Emissionen der Kreuzfahrt addiert, wären das insgesamt 8500 Tonnen CO2. Jeder von ihnen verursacht also auf der gesamten Reise 17 Tonnen – und hat damit sein persönliches CO2-Konto für Jahre überzogen.
Dabei wendet sich Hurtigruten offensichtlich an ein wissenschafts- und naturaffines Publikum. „Spüren Sie das wahre Abenteuer einer Expeditionsreise“, heißt es auf der Webseite. Der „Entdeckergeist“ solle geweckt werden, die „Roald Amundsen“ wird als „Expeditionsschiff“ bezeichnet. Und zwar eines mit drei Edelrestaurants, Panorama-Sauna und Luxussuiten. Sagen wir so: Der namensgebende Polarforscher kam seinerzeit mit weniger aus. Im bordeigenen „Science-Center“ und auf Exkursionen mit dem Schlauchboot sollen den Passagieren Wissenschaft und Forschung nähergebracht werden. Das wäre doch eine prima Gelegenheit, ihnen vorzurechnen, dass laut Berechnungen des Klimaforschers Dirk Notz vom Max-Planck-Institut für Meteorologie für jede Tonne CO2 drei Quadratmeter Meereis in der Arktis schmelzen. Macht bei 8500 Tonnen rund 25.500 Quadratmeter – also fast vier Fußballfelder Packeis, die Eisbären und Walrossen als Lebensraum fehlen.
Kreuzfahrten boomen, die Antarktis schmilzt dahin
Da wirkt es geradezu kaltschnäuzig, dass die Route der „Roald Amundsen“ in Eiswelten führt, die durch die Erderwärmung stärker tauen als jemals zuvor. Fahrtziel ist die Antarktische Halbinsel, an deren Flanken seit der Jahrtausendwende auf spektakuläre Weise das Larsen-Schelfeis zerfällt. Weiter südlich liegt die Amundsen-See, in welche die kilometerdicken Eisschilde immer schneller fließen. Wissenschaftler sehen die Region, die nach dem gleichen Mann benannt ist wie das Hurtigruten-Schiff, als Achillesferse der Antarktis: Sie fürchten, dass bald ein sogenannter Kipppunkt überschritten wird, ab dem das Abschmelzen des westantarktischen Eisschildes nicht mehr aufzuhalten ist. Der Meeresspiegel würde jahrhundertelang steigen. Hitzigruten statt Hurtigruten.
Derweil boomen Kreuzfahrten. Allein 2018 gingen weltweit 28 Millionen Menschen an Bord, beinahe jeder Zehnte davon aus Deutschland. Die weltweite Flotte zählt bereits mehr als 600 Schiffe. Nur zwei davon fahren mit Flüssiggas, der Rest mit Schiffsdiesel und Schweröl. Einen Abgasfilter haben die wenigsten. Der Nabu hat ausgerechnet, dass eines von ihnen im Schnitt pro Tag so viel CO2 wie 84.000 Autos ausstößt – neben Schwefel, Feinstaub und Stickoxiden. Die Werften kommen mit dem Bau neuer Schiffe kaum hinterher: Bis 2025 sollen laut Schätzungen des Nabu rund hundert neue dazukommen, darunter Megaliner für mehr als 6500 Passagiere.
Bei dieser Entwicklung weiter auf Kreuzfahrten mit Interkontinentalflügen setzen, noch dazu unter dem Motto Nachhaltigkeit? Das können nur Pioniere der Unstimmigkeit. Daher lautet unser Vorschlag an Hurtigruten: Warum empfiehlt der Anbieter mit dem sympathischen Postschiff-Image seinen umweltbewussten Passagieren nicht die Anreise per Bahn? Das nördlichste Ziel europäischer Nachtzüge ist das norwegische Städtchen Narvik, jenseits des Polarkreises. Das eignet sich doch bestens als Ausgangspunkt für Arktisexpeditionen.
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