Plötzlich tauchten Anfang des Jahres diese seltsamen Sprüche in den Leuchtkästen an Bus- und U-Bahnhaltestellen auf: „Wir finden Plastik okay“, stand da in fetten Buchstaben neben dem Logo mit dem Vogelnest, und darunter: „Wenn’s weniger wird.“ Die jüngste Nestlé-Kampagne sollte wohl witzig sein. Wer so locker und selbstironisch daherkommt, so die Werbebotschaft, ist vielleicht wirklich ganz „okay“ – auch wenn er Nestlé heißt.

Der schweizerische Nahrungsmittelriese hat seit Jahren ein miserables Image und steht immer wieder in der Kritik von Umwelt- und Menschenrechtsgruppen – mal, weil er kostbares Grundwasser in Plastikflaschen füllt und teuer verkauft, mal, weil er in Entwicklungsländern Babynahrung mit Zuckerzusatz vertreibt, was Erinnerungen an den Nestlé-Babymilchskandal in den Siebzigerjahren weckte. Damals starben Tausende Babys, weil Mütter aggressiv als gesund beworbenes Milchpulver nutzten und mit verunreinigtem Wasser anrührten, anstatt ihre Kinder weiter zu stillen.

Im April, als die aktuelle Imagekampagne schon lief, erschien nun in der Fachzeitschrift „Science Advances“ ein Artikel, der Nestlé überdies als einen Hauptverantwortlichen der globalen Plastikkrise identifiziert. Über mehrere Jahre hatten Freiwillige bei Sammelaktionen der Organisation „Break Free from Plastic“ auf allen Kontinenten Plastikteile in der Umwelt aufgelesen und die aufgedruckten Marken ausgewertet. Das Ergebnis: Nach Coca-Cola und PepsiCo belegt Nestlé weltweit den dritten Rang der Plastikverschmutzer. Der Konzern allein ist für drei Prozent des gesammelten kompromittierenden Materials verantwortlich.

Dabei ist Nestlé bei Thema Plastik nicht untätig. „Smarties“ zum Beispiel seien inzwischen komplett von Pappe statt Plastik umhüllt, erfuhren die Wartenden in der bizarren Haltestellenwerbung. Auch seien viele Verpackungen dünner geworden, so habe man seit 2018 insgesamt 1,1 Millionen Tonnen Material eingespart. „Warum wir besser werden wollen?“, fragte Nestlé schließlich demonstrativ bescheiden, und gab die Antwort selbst: „Weil Plastik in den Kreislauf gehört, nicht in die Natur.“

Doch genau von diesem Ziel ist der Konzern meilenweit weit entfernt. Aus Verpackungen, die zum Beispiel deutsche Verbrauchende im Gelben Sack sammeln, werden nämlich kaum neue Lebensmittelhüllen hergestellt, vielmehr werden sie in der Regel verbrannt oder zu minderwertigen Produkten „downgecycelt“. Und wie die aktuelle Studie zeigt, landen weltweit noch immer unzählige Verpackungen in der Umwelt. Neben Plastikflaschen sind vor allem kleine Plastikbeutel in Portionsgröße ein Problem, auf Englisch „sachets“ genannt, die überwiegend in Ländern des Globalen Südens verkauft werden, deren Entsorgungssysteme noch deutlich schlechter sind als in Europa. Laut der britischen Umweltgruppe „A Plastic Planet“ gehen weltweit jährlich 855 Milliarden der Kleinstverpackungen über den Ladentisch – genug, um damit den ganzen Erdball zu bedecken. Unzählige Kunststoffreste verschmutzen die Strände entlegenster Inseln und sogar den Tiefseeboden. Zu kleinsten Teilchen zerrieben, gefährdet Mikroplastik Ökosysteme und die menschliche Gesundheit.

Längst gilt die Plastikverschmutzung neben der Erderhitzung und dem Artensterben als planetare Umweltkrise. Noch in diesem Jahr wollen deshalb die Vereinten Nationen ein globales Plastikabkommen verabschieden – doch die Verhandlungen stocken, auch weil Länder wie Indien, China, Russland und einige Erdölstaaten blockieren und Lobbyisten Delegierte bedrängen. Das zentrale Ziel des Abkommens, die nach Ansicht von Fachleuten dringend nötige verbindliche Reduktion der Plastikproduktion, droht zu scheitern.

Umweltgruppen hatten auf die Unterstützung durch eine Initiative von Industrieunternehmen gesetzt, die „Business Coalition for a Global Plastics Treaty“, der auch Nestlé angehört. Die Koalition distanziert sich von der Petrochemie, für die eine hohe Plastikproduktion in Zeiten des Klimawandels eine Art Lebensversicherung ist, und setzt auf Planungssicherheit bei der Reduktion. Greenpeace Schweiz hatte Nestlé dazu aufgefordert, sich klar zu positionieren und mit ehrgeizigen Zielen voranzugehen – etwa indem sich der Konzern dazu verpflichtet, den Verkauf von „sachets“ bereits 2025 zu beenden, und sich für Reduzierung der globalen Plastikproduktion um 75 Prozent bis 2040 starkmacht. Doch entsprechende Selbstverpflichtungen lehnt Nestlé ab: Ein zuletzt auf LinkedIn veröffentlichtes Statement von CEO Mark Schneider blieb in den Augen der Umweltschutzorganisation enttäuschend vage.

Und so ist zu befürchten, dass in den kommenden Jahren weiterhin riesige Mengen Plastikmüll mit dem Vogelnest-Logo in der Natur, in Flüssen und Meeren landen – und in klimaschädlichen Müllverbrennungsanlagen. Die Haltestellewerbung, mit der Nestlé auf lustig-lockere Art Besserung gelobt, bevor der Konzern seine Probleme annähernd in Griff bekommen hat, ist so gesehen eine zynische Verbrauchertäuschung.

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