Die Mineralwassermarke präsentiert sich als Verbündete von Marienkäfer, Eichhörnchen und Co., der die Gesundheit von Mensch und Natur am Herzen liegt. Das sehen wir in unserer Gegenanzeige – naturgemäß – anders.
Wer gerade nicht flüssig ist, hat zwei Optionen: Sparsamer leben – oder sich von anderen etwas pumpen. Das gilt fürs Portemonnaie, erst recht aber fürs Leitungswasser. Und so steht auch das französische Örtchen Vittel vor der Wahl: Weniger Wasser aus der Quelle entnehmen, der der Thermalkurort seine Bekanntheit verdankt – oder Leitungswasser aus einer kilometerweit entfernten Region herüberpumpen. Glasklare Sache, denken Sie? Warten Sie’s ab.
Der Grundwasserspiegel des Ortes nahe den Vogesen sinkt seit dreißig Jahren stetig. Anwohnerinnen und Anwohner sind bereits angehalten, Wasser zu sparen. Doch Vittel wäre niemandem ein Begriff, gäbe es da nicht einen weiteren Wassergroßverbraucher: Nestlé Waters, das vor Ort jährlich rund eine Million Kubikmeter Grundwasser fördert, in Flaschen abfüllt und europaweit verkauft. „Wir pumpen mehr Wasser ab, als sich natürlicher Weise regenerieren kann, wodurch der Grundwasserspiegel seit dreißig Jahren jedes Jahr ständig sinkt“, sagte kürzlich der Leiter der Fabrik, Ronan Le Fanic, gegenüber dem ZDF. Das sei nichts Neues. Allerdings entnehme man mittlerweile weniger als erlaubt. Apropos Erlaubnis: Umweltverbände und eine Verbraucherschutzorganisation sehen das anders. Sie haben Nestlé Waters im Sommer angezeigt, weil die Wasserförderung ihrer Ansicht nach teils nicht genehmigt ist.
Wasser zu sparen scheint demnach nicht als Lösung für das Vittelsche Liquiditätsproblem in Frage zu kommen. Bleibt die andere Möglichkeit – das Pumpen: Vittel, den Mineralwasserverkäufer, weiterhin Wasser entnehmen lassen, dafür aber eine Pipeline bauen, um Leitungswasser für Vittel, den Ort, aus einer anderen Region über mehrere Kilometer herüberzupumpen. Kaum zu glauben, aber wahr: Die lokale Wasserkommission entschied sich für die Pipeline. Gegen die damalige Leiterin ermittelt inzwischen die Staatsanwaltschaft wegen illegaler Parteinahme.
Inzwischen allerdings haben die Wasserschutzbehörde und die zuständige Bezirkspräfektur das Projekt Pipeline abgesagt. Eine Befragung der Bürgerinnen und Bürger habe „zahlreiche Bedenken“ zutage gefördert. Und beim Greenpeace Magazin häuften sich die Bedenken, ob man bei all dem eine aktuelle Werbeanzeige unkommentiert stehen lassen kann, die prahlt: „In Vittel ist Wasser seit jeher eine natürliche Quelle der Vitalität.“ Das stimmt zwar, ist aber auch wenig aussagekräftig. Denn wo ist Wasser nicht seit jeher ein Quell des Lebens?
„Deshalb tragen wir seit beinahe 30 Jahren zum Schutz der biologischen Vielfalt bei“, schreibt Vittel weiter und unterstreicht diese Botschaft mit einem durch die Luft hechtenden Eichhörnchen, das mit einer Haselnuss in der Pfote wie ein Basketballer kurz vor dem Korbwurf aussieht. Wer wissen will, wie genau das Unternehmen die biologische Vielfalt schützt, muss auf dessen Webseite nachschauen – und erfährt, dass Vittel insgesamt 150.000 Euro an fünf Artenvielfaltprojekte spendet. Bei einem operativen Ergebnis von rund 855 Millionen Euro, die Nestlés Wassersparte 2019 erzielte, sind das nicht einmal 0,018 Prozent.
Konflikte zwischen Konzernen auf der einen und Anwohnerinnen und Anwohnern auf der anderen Seite sind leider keine Seltenheit: Neben Nestlé und seiner Marke Vittel stehen auch Danone mit Volvic sowie Coca-Cola mit Vio in der Kritik, weil sie sich an denselben Grundwasserreservoirs bedienen wie die örtlichen Wasserversorger.
Doch die Mineralwasserfirmen müssen sich nicht nur den Vorwurf gefallen lassen, den Menschen vor Ort das Wasser abzugraben. Wie das Greenpeace Magazin 2017 in der „Keine Anzeige“ des Adelholzener Mineralwassers bemängelte – und dies bei anderen Marken ebenfalls tun könnte – wird Wasser an einem Ort abgezapft, um andernorts getrunken zu werden. Und das, obwohl hierzulande die Qualität des Leitungswassers keineswegs den Griff zur Flasche rechtfertigt – im Gegenteil, wie die aktuelle Ausgabe des Magazins beleuchtet. Zudem verbrauchen die Abfüllung und vor allem der Lkw-Transport von einem Liter Mineralwasser in der Einwegplastikflasche mindestens 400-mal so viel Energie wie die gleiche Menge Leitungswasser, hat eine Berechnung des Umweltinstituts ESU-services von 2017 im Auftrag des Greenpeace Magazins ergeben.
Vor einiger Zeit brüstete sich Vittel übrigens noch online damit, 1968 als erste Mineralwassermarke weltweit Plastikflaschen eingesetzt zu haben. Auch deshalb erschien es uns passend, die Nuss des Eichhörnchens gegen ein zerknülltes Exemplar einzutauschen.
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