Gleich zwei neue Regelungen werden sich künftig auf jeden Ihrer Einkäufe auswirken: Sie werden mehr Kassenbons in ihr Portemonnaie zwängen müssen – einen für jeden Einkauf, sei es nun ein Brötchen oder ein Fernseher. Keiner dieser Kassenbons soll aber künftig noch die giftige Substanz Bisphenol A enthalten, dafür aber andere gesundheitsschädliche Chemikalien. Aber der Reihe nach.
Seit Anfang Januar dieses Jahres muss jeder Einzelhändler bei jedem Kauf einen Bon ausstellen. In vielen anderen europäischen Staaten ist das schon seit Längerem Pflicht, wie etwa in Österreich, Italien, Portugal, Schweden, Slowenien oder Tschechien. Die neue Gesetzesregelung soll Steuerbetrug eindämmen – und löste direkt einen heftigen Streit aus.
Zum einen versuchte sich der Einzelhandel erfolglos gegen die neue Regelung zu wehren, er empfindet die neue Bonpflicht als bürokratische Zumutung. Teil der neuen Regelung ist auch, dass sich die Einzelhändler bis September dieses Jahres neue manipulationssichere Kassen zulegen müssen, denn umrüstbar ist der Großteil der derzeit genutzten Kassensysteme laut dem Fachverband für Kassen- und Abrechnungssystemtechnik nicht. Die neuen Kassen sind teuer – und die lupenreine Abrechnung auch. Einige Kiosk-Besitzer fürchten die Verpflichtung deshalb gar als finanziellen Genickbruch.
Zum anderen entfachte die Bonpflicht auch einen innerpolitischen Streit: Zwei Wochen vor Einführung der Pflicht meldete sich Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) zu Wort und forderte Finanzminister Olaf Scholz (SPD) auf, diese zu streichen. Sie würde die Umwelt stark belasten, da die zwangsweise ausgedruckten Bons zu Milliarden „direkt im Müll“ landen würden. Der Einwand, die Bons könnten auch per App oder E-Mail übermittelt werden, löste den nächsten Streit aus, diesmal ging es um Datenschutz. Denn um digitale Bons zu erhalten, müsste jeder Kunde in jedem Geschäft persönliche Daten angeben.
Und so häufen sich seit Anfang des Jahres bundesweit die Zettelberge. Die Handelskette Rewe etwa rechnet mit 140.000 Kilometern zusätzlichen Kassenbons im Jahr. Das Foto eines Bäckers verbreitete sich im Netz, auf dem er die Zettelflut zeigt, die sich seit der Bonpflicht an nur einem Tag ansammelt – der komplette Boden der Bäckerei ist damit übersät.
Hinzu kommt, dass es sich bei den Kassenbons um kein gewöhnliches Papier handelt. Um Drucker und Tinte zu sparen, wird in Kassensystemen ein Hitzeverfahren verwendet. Das dafür notwendige Thermopapier ist mit einer Chemikalie beschichtet. Kommt diese nun mit Hitze in Kontakt, verändert sich ihre Farbe. Überall, wo das Papier weiß bleibt, haftet die Chemikalie aber unverändert an. In die Kritik geriet dieses Verfahren deshalb, weil die dafür verwendeten Chemikalien gesundheitsschädlich sind.
2011 testete das Greenpeace Magazin acht Thermopapiere von Supermarktketten, der Deutschen Bahn und der Deutschen Post und fand in drei der Proben die hoch umstrittene Chemikalie Bisphenol A (BPA). Viele Studien haben gezeigt, dass BPA die menschliche Gesundheit gefährdet, vor allem die von Kindern. BPA wirkt ähnlich wie das weibliche Sexualhormon Östrogen und beeinflusst Fortpflanzung und Gehirnentwicklung. Forscher fanden Indizien, dass es Männer unfruchtbar macht und die Reifung des Gehirns von Ungeborenen und Kleinkindern irreversibel schädigt. Weitere Studien bringen BPA auch mit Herzerkrankungen, Brust- und Prostatakrebs, verfrühter Pubertät, Insulin-Resistenz, Diabetes, Fettleibigkeit und Ejakulations- und Erektionsproblemen in Verbindung.
Wegen ihrer Gefahr für Kinder hat die EU-Kommission die Chemikalie schon 2011 in Plastikflaschen für Babys verboten. Im Papier ist BPA aber nicht nur viel höher konzentriert, sondern auch deutlich weniger fest gebunden als in Plastik. Über das Altpapier kann der Stoff in Recycling-Toilettenpapier gelangen und dadurch in den Wasserkreislauf. Das Umweltbundesamt riet Herstellern deshalb schon 2011, die Chemikalie vorsorglich zu ersetzen. Ein Jahr später testete das Greenpeace Magazin dieselben acht Unternehmen erneut und fand nur noch in den Kassenbons der Supermarktkette Edeka den giftigen Farbentwickler.
Zu Beginn dieses Jahres verschärfte die Europäische Union nun den Grenzwert für BPA: Ab sofort darf die Konzentration des Stoffes in Thermorollen nicht mehr als 0,02 Prozent betragen – das kommt einem Verbot der Chemikalie gleich. Ist also jetzt alles gut? Ja, findet der SWR und schreibt auf seiner Webseite: „Kassenbons und Quittungen aus künftig Bisphenol A-freien Thermopapier können dann nach Auskunft des Verbands Deutscher Papierfabriken bedenkenlos ins Altpapier geworfen werden.“
Leider ist die Schlussfolgerung vorschnell, denn auch die Ersatzstoffe für den Farbentwickler sind nicht unbedenklich. Im ersten Test des Greenpeace Magazins fand sich in vier Kassenbons der ebenso kritische Stoff Bisphenol S (BPS). Er unterscheidet sich chemisch nur geringfügig von BPA. Untersuchungen deuten darauf hin, dass BPS ähnlich stark hormonell wirksam ist. Im Folgetest fanden sich dann die Ersatzstoffe Pergafast 201 und der Phenolether D-8. Beide sind zwar für den Menschen weniger bedenklich als BPA, allerdings auch nicht risikofrei. Für den Umweltschutz bringen sie laut der US-Umweltbehörde EPA keinen Fortschritt. Gelangen sie in Gewässer, kann vor allem Pergafast Wassertiere schädigen. Laut EU-Verordnung zur Kennzeichnung gefährlicher Stoffe sind sowohl Pergafast 201 als auch D-8 „giftig für Wasserorganismen, mit langfristiger Wirkung“. Einen vollkommen unbedenklichen Alternativstoff zu BPA fand das Greenpeace Magazin in seinen Tests nicht.
Für Ihren Einkauf bedeutet das: Fassen Sie Kassenbons nicht länger an als unbedingt nötig, geben Sie die Zettel nicht Kindern zum Spielen und werfen Sie die Bons nicht ins Altpapier, sondern in den Restmüll.
Und verfolgen Sie, ob die Petition beim Bundestag, die die Freie Apothekerschaft nun angekündigt hat, erfolgreich ist. „Wir reden über Umweltschutz und produzieren hier Milliarden von Bons, die teilweise als Sondermüll entsorgt werden müssen“, sagte deren Vorstandsmitglied Reinhard Rokitta der Deutschen Presse-Agentur. Die Freie Apothekerschaft will die Bonpflicht abwenden und hofft innerhalb von vier Wochen die 50.000 Unterstützer zu erreichen, die normalerweise zur Behandlung im Petitionsausschuss nötig sind. Dann könnte die Bonpflicht neu verhandelt werden.