Auf Fleisch zu verzichten, um das Klima zu schützen? Vielen Menschen leuchtet nicht ein, was das sommerliche Wurst-Grillen mit dem Klimawandel zu tun haben soll. So auch Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands. In einem Interview Anfang Juli erklärte er, Fleischverzicht sei nur eine Version des modernen Ablasshandels: „Der größte Anteil der Emissionen kommt aus der Industrie, aus der Wärmeerzeugung und dem Verkehrssektor”, sagte er, deshalb könne Vegetarismus oder Veganismus auch keinen signifikanten Beitrag zum Klimaschutz leisten.
Nun zeigt eine neue Studie das Gegenteil: Deren Ergebnisse besagen, dass die Klimabilanz von Steak- und Milchkonsum sogar Öl-Multis wie Exxon-Mobil, Shell oder BP in den Schatten stelle. Das US-amerikanische Institute for Agriculture and Trade Policy (IATP) hat gemeinsam mit der internationalen Umweltorganisation GRAIN einen Report veröffentlicht, in dem sie den Klima-Fußabdruck der 35 größten Fleisch- und Milchprodukt-Konzerne untersucht haben. Dabei zeigte sich: Die fünf größten Fleisch- und Molkereiproduzenten der Welt emittieren gemeinsam mehr Treibhausgase als Öl-Multis wie Exxon-Mobile, BP oder Shell. 2016 emittierten die Top 5 Unternehmen der globalen Fleisch- und Milchindustrie wie JBS, Tyson Food, Cargill, Dairy Farmers of America und Fonterra 578 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent, der Ölkonzern Exxon lag 2015 mit 577 knapp dahinter, gefolgt von Shell (508) und BP (448).
Laut der Studie beschönigen die Lebensmittelkonzerne ihre CO2-Bilanzen. Über ihre Emissionen machten sie entweder gar keine Angaben oder sparten dabei die Lieferkette aus, die bis zu neunzig Prozent ihrer Gesamtemissionen ausmachen, so die Verfasser der Studie. Nur vier von 35 Konzernen – NH Foods (Japan), Nestlé (Schweiz), FrieslandCampina (Niederlande) and Danone (Frankreich) – stellten umfassende, glaubhafte Emissionsschätzungen zur Verfügung. Die fehlenden Daten errechneten die Autoren der Studie, indem sie die länderspezifischen Emissionsfaktoren der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen mit den Produktionsvolumen der Konzerne korrelierten und die geschätzten Emissionen aus Produktion und Transporten addierten. Die Ergebnisse sollten ein Alarmsignal für die Branche und die Verbraucher sein.
Doch die Transformation der Landwirtschaft ist leichter gefordert als umgesetzt. Anders als in der Energiewirtschaft und der Industrie, wo es zentral steuerbare, klimaschonende Alternativen gibt, ist der Umbau zur klimafreundlichen Landwirtschaft komplexer: Wenn Vattenfall ein Kohlekraftwerk abschaltet, sinken die Emissionen auf einen Schlag – doch was heißt das für den einzelnen Bauern und seinen Viehbestand? Hier gibt es einen neuen Ansatz, der nun von Forschern vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) untersucht wurde.
Löst Astronautennahrung für Kühe das Klimaproblem?
„Weniger tierische Produkte zu essen ist natürlich der erste Schritt“, sagt Benjamin Bodirsky, Agrarökonom am PIK. „Wir haben in den letzten acht Jahren zahlreiche Studien durchgeführt, die alle die Klimaschädlichkeit von Fleisch- und Milchkonsum sowie von Lebensmittelverschwendung belegen.“ Natürlich brauche es einen Wandel in der Essenskultur, weg von tierischen Proteinen wie Würstchen und Käse, hin zu Gemüse und Nüssen. Doch was, wenn die Menschen ihre Essgewohnheiten nicht schnell genug ändern und der Klimawandel vor dem Nahrungswandel zu Buche schlägt?
In einer Studie, die im Juni in der Fachzeitschrift „Environmental Science & Technology“ erschien, untersuchte Benjamin Bodirsky als Teil einer internationalen Forschergruppe eine Technologie, mit der sich die Tierwirtschaft emissionsärmer gestalten lassen würde – eine Art Übergangstechnologie zur klimafreundlichen Landwirtschaft. Die Idee: Statt Kraftfutter wie Soja sollen die Tiere zukünftig proteinreiche Mikroben zu fressen bekommen. Diese werden mit Energie, Stickstoff und Kohlenstoff kultiviert, um daraus Proteinpulver herzustellen – Astronautennahrung für Kühe, wie die Forscher es scherzhaft nennen.
Mit Simulationen ermittelten die Forscher, dass ein geringer Einsatz des Mikroben-Viehfutters gewaltige Auswirkungen hätte: Ersetzt man zwei Prozent der herkömmlichen Kraftfutters mit mikrobiellem Kraftfutter können bereits sieben Prozent der landwirtschaftlichen Treibhausgasemissionen und sechs Prozent des globalen Ackerflächenverbrauchs vermieden werden. „Die neue Studie von IATP zeigt, dass die großen Fleisch- und Molkerei-Unternehmen gefragt sind: Sie müssen umdenken, damit die Klimaziele erreicht werden können“, sagt Bodirsky. Die Zukunft bringe entweder eine veränderte Tierhaltung mit verbesserten Futtermittel, einem klügeren Gülle- und Dünge-Management und mehr Qualität statt Quantität – oder eben eine veränderte Produktpalette, so der Agrarökonom.
Dass die Landwirtschaft erheblich zum Klimawandel beiträgt, ist kein Geheimnis
Die Veränderung der Produktionsbedingungen in Fleisch- und Milchindustrie ist lange überfällig. Denn dass die Landwirtschaft zum Klimawandel beiträgt, ist ausreichend bekannt: Kein Konsumgut benötigt so viel Fläche wie die Herstellung von Milch und Fleisch. Die Futtermittelherstellung braucht Platz, dafür wird auf der ganzen Welt Regenwald gerodet und Wiesen werden zu Äckern gemacht. Die Landwirtschaft ist für sechzig Prozent des weltweiten Verlusts von Biodiversität verantwortlich. 2014 machte in Deutschland die Landwirtschaft – inklusive Energieverbrauch, aber ohne Emissionen aus Futtermittelherstellung und Transport – knapp 8,2 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen aus. Der Wert speist sich vor allem durch Methan-Emissionen aus der Tierhaltung, das Ausbringen von Gülle und Lachgas-Emissionen aus der Stickstoff-Düngung.
Dabei wächst der Milch- und Fleisch-Hunger der Menschen stetig weiter: Der brasillianische Fleisch-Konzern JBS, seines Zeichens globaler Marktführer, kündigte an, bis 2030 den weltweiten Fleischkonsum weiter befeuern zu wollen. Das Unternehmen stellt seinen Investoren für die kommenden 12 Jahre eine Steigerung von 48 Prozent Fleischkonsum pro Jahr pro Kopf in Aussicht. Für das Weltklima wäre das verheerend, die Autoren der aktuellen Studie zur CO2-Bilanz der Milch- und Fleischindustrie warnen davor, dass die Viehhaltung bei den jetzigen Wachstumsraten bis 2050 für achtzig Prozent der anfallenden Treibhausgase verantwortlich sein könnte.
Bereits im November 2017 hatten die Organisationen IATP und GRAIN, die hinter der Studie stehen, gemeinsam mit der Heinrich Böll Stiftung in einem Factsheet das Problem auf den Punkt gebracht: Die zwanzig größten Fleisch und Milchkonzerne stießen 2016 nach Kalkulationen des Bündnisses 932 Millionen Tonnen CO2-Äquvivalente aus – die gesamte Bundesrepublik brachte es 2015 nur auf 902 Millionen Tonnen. „Es gibt keine andere Möglichkeit: Die Fleisch- und Milchprodukt-Herstellung in den Ländern, in denen die Top 35 Konzerne den Markt dominieren, muss deutlich reduziert werden”, sagt Devlin Kuyek von der Umweltorganisation GRAIN. „Andernfalls drücken diese Unternehmen weiter Handelsabkommen durch, die dazu beitragen, dass ihre Exporte und die Emissionen weiter steigen und erschweren den Umbau zu einer Landwirtschaft, die den Landwirten, Arbeitern und Konsumenten dient.”
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