Seit Jahren klagt die Deutsche Umwelthilfe (DUH) für sauberere Luft. Bisher vergeblich, immer noch werden in mehr als siebzig Städten die EU-Grenzwerte für Stickstoffoxide deutlich überschritten. Auch die EU-Kommission hat das Problem erkannt, Deutschland droht eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof.
Doch es gibt neue Hoffnung für reinere Luft: Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat entschieden, dass Stuttgart und Düsseldorf Fahrverbote für Dieselfahrzeuge verhängen dürfen. Das Urteil hat jedoch für Städte, Fahrzeughalter und Millionen Betroffene in ganz Deutschland Folgen, denn es gilt als Präzedenzfall für alle folgenden Verfahren.
Über die Konsequenzen der Entscheidung sprachen wir mit Remo Klinger, der die Deutsche Umwelthilfe vor Gericht vertritt.
Worum ging es bei der Klage der Deutschen Umwelthilfe vor dem Bundesverwaltungsgericht?
Es ging um die Frage, ob die Kommunen schon jetzt die rechtliche Möglichkeit haben, bestimmte Dieselfahrzeuge aus hochbelasteten Straßen auszusperren. Das zugrundeliegende Problem ist die Grenzwertüberschreitung von Stickstoffdioxid. Die Grenzwerte gelten seit dem Jahr 2010 und werden in vielen deutschen Großstädten jedes Jahr immer wieder überschritten – teilweise auch sehr deutlich wie beispielsweise in Stuttgart. Auf der einen Seite müssen die rechtlichen Vorschriften eingehalten werden. Auf der anderen Seite beklagen sich die Kommunen, dass sie keine rechtliche Erlaubnis haben, um das effektivste Mittel gegen Luftbelastung zu verhängen – die Fahrverbote. Und hier hat das Bundesverwaltungsgericht ihnen heute das Mittel zugesprochen, ohne dass es einer Rechtsänderung bedarf. Das heißt, die Kommunen können jetzt handeln.
Wo ist denn die Signalwirkung des Urteils, von der alle sprechen. Die Klage beschränkte sich doch nur Dieselfahrzeuge und die Städte Stuttgart und Düsseldorf?
Dieselfahrzeuge sind in diesem Fall einfach das Hauptproblem: Der Straßenverkehr in vielen deutschen Städten ist zu etwa achtzig Prozent für die Grenzwertüberschreitungen verantwortlich. Und innerhalb des Straßenverkehrs werden rund 85 Prozent des Reizgases, das es zu vermeiden gilt, durch Dieselfahrzeuge verursacht.
Und wir beschränken uns mitnichten nur auf Stuttgart und Düsseldorf. Wir haben in 19 Städten im ganzen Bundesgebiet geklagt, und die Verwaltungsgerichte in Düsseldorf und Stuttgart waren einfach die ersten, die zur mündlichen Verhandlung geladen hatten. Mittels Sprungrevisionen sind wir jetzt von dort aus direkt vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig gelandet. Bei all den anderen Angelegenheiten, die noch gerichtlich anhängig sind, haben die Gerichte gewartet, wie das Bundesverwaltungsgericht in dieser Sache entscheidet. Das Urteil hat Signalwirkung für alle folgenden Verfahren, die jetzt noch zu Fahrverboten anstehen.
Das heißt?
Das heißt, mit dem aktuellen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts sind Fahrverbote das Mittel der Wahl, mit dem man Grenzwerte so schnell wie möglich einhalten kann – und zwar nicht nur in Stuttgart und Düsseldorf. Das ist jetzt das Präzedenzurteil, an dem sich die kommenden Verfahren orientieren werden. Und dann werden Fahrverbote in allen Städten kommen, die die Grenzwerte anders nicht einhalten können. Das ist wie so ein Besteckkasten, aus dem die Kommunen dann je nach Belastungsgrad auswählen können, welches Mittel notwendig ist: Manchmal muss man eben den Hammer holen und manchmal genügt die kleine Feile.
Können die jetzt anstehenden Fahrverbote denn die Luftbelastung so weit senken, dass die Grenzwerte künftig eingehalten werden?
In Stuttgart, der Stadt mit dem größten Stickstoffproblem in Deutschland, ist das vom Verwaltungsgericht durchgerechnet worden. Dabei kam raus, dass man mit den entsprechenden Fahrverboten den NO2-Grenzwert ganz knapp einhalten könnte. Und wenn Stuttgart das schafft, dann schaffen alle anderen Städte das auch.
Wie beurteilen Sie das Verhalten der alten und vielleicht bald neuen Bundesregierung, die Fahrverbote unbedingt vermeiden wollte, jetzt aber kurz vor dem Urteil eine Kehrtwende hinlegt und eine Rechtsgrundlage für Fahrverbote schaffen will?
Der Bund hat in dieser Angelegenheit versagt. Er hätte schon längst – seit zwei, drei, vier Jahren – ein sinnvolles Instrumentarium aufbauen können. Er hätte sagen können, wer ein sauberes Auto hat, bekommt eine blaue Plakette oder eine lila oder weiße oder wie auch immer man sie ausgestaltet. Und für die anderen Fahrzeuge gewähren wir Übergangsfristen von ein paar Jahren, sodass Autobesitzer wissen, was auf sie zukommt. Aber die Bundesregierung steckt schon seit Jahren den Kopf in den Sand mit dem ewigen Mantra „keine Fahrverbote“. Die vorgeschlagenen Maßnahmen wie Software-Updates reichen nicht aus. Ob der jüngste Vorschlag, nunmehr eine Rechtsgrundlage zur Sperrung bestimmter Straßen zu schaffen, mehr ist als eine relativ plumpe politische Einmischung in das Gerichtsverfahren, wird sich zeigen.
Aber nun ist der Weg für Fahrverbote ja frei. Wie geht es jetzt weiter?
Die Städte müssen jetzt in der vorgegebenen Frist die Luftreinhaltungspläne ändern – und in solchen Fällen Fahrverbote hinzufügen, in denen die Grenzwerte nicht anders eingehalten werden können. Dann muss die Verkehrsverwaltung in den jeweiligen Zonen die entsprechenden Verkehrsschilder aufstellen. Aber die Details kann jede Kommune von Fall zu Fall unterschiedlich entscheiden, das heißt, eine einheitliche Regelung mit Fahrverboten wird es in Deutschland nicht geben. Faktisch wäre jedoch ein einheitliches Konzept die beste Lösung, und dafür bräuchten wir die blaue Plakette. Aber die ist derzeit nicht vorgesehen, und wir können sie auch nicht einklagen.
Was sagen Sie zur Sorge von kommunalen Spitzenverbänden und Wirtschaftsvertretern, dass Fahrverbote das städtische Leben lahmlegen? Worst-Case-Szenario: Es brennt, und das Feuerwehrauto ist nicht klimafreundlich genug für die Innenstadt.
Das ist rechtlich gesehen Unsinn. Es steht jetzt schon im Gesetz, dass das nicht der Fall ist: Behörden können verfügen, dass Zulieferer, Handwerker, Ärzte und natürlich auch die Feuerwehr in die Stadt kommen. Da braucht es noch nicht einmal eine extra Ausnahmeregelung, das ist schon längst im Gesetz geregelt. Also, auch künftig muss der Klempner das Waschbecken nicht per Hand zum Kunden tragen.
Welche Auswirkungen hat das Urteil auf die drohende Klage durch die EU-Kommission?
Bezüglich ihres Vertragsverletzungsverfahrens muss die EU-Kommission jetzt entscheiden, wie sie damit umgeht. Das will ich nicht vorwegnehmen. Wenn die Grenzwerte tatsächlich in ganz Deutschland bis Ende des Jahres eingehalten werden, dann wird die Kommission wahrscheinlich nicht mehr klagen. Aber ob wir mit den Fahrverboten so schnell sind, das müssen wir erst einmal sehen.