À la Saison
Ruchloses Radieschen
Kein Wurzelgemüse, aber radikal – die rote Radieschenfraktion geht über Leichen, wenn man sie lässt. Es ist an der Zeit, Raphanus sativus var. sativus mit Haut und Laub in die Pfanne zu hauen
„Randel sagte kein Wort, packte den rechten Arm seines Mitarbeiters und zog ihn zu sich rüber. Aus der Maische ragte ein menschlicher Kopf hervor.“ In einem fiktiven fränkischen Dorf findet der Schnapsbrenner Matthias Randel eine Leiche im Maischefass: Johann Kunrath, Mitglied des Obst- und Gartenbauvereins, ist in seiner eigenen Kirschernte ertrunken – geknebelt mit einem Radieschen.
Gärten sind unheimlicher, als viele glauben. Es wuchert von Radieschenpistolen wie Bernd Flessners Roman „Der Radieschenmörder“. Was zum Tatort Garten und zur Hauptrolle dieses Gemüses inspiriert, ist so offenkundig, dass mehrere Gartenkrimis unverblümt „Radieschen von unten“ heißen. Wer das Gemüse aus dieser Perspektive sieht, ist auf gut Deutsch über den Jordan gegangen. Die botanische Beschönigung des Todes, die in jede Gangsterkomödie gehört, wurzelt in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs, wo die Soldaten den Tod zumindest sprachlich zu entschärfen versuchten.
Nur warum ausgerechnet mit Radieschen? Es hätte Alternativen gegeben. In England heißt es „to push up the daisies“, die Gänseblümchen hochdrücken, und in Frankreich „manger les pissenlits par la racine“, den Löwenzahn von der Wurzel her essen. Sprich: ins Gras beißen. Dann vielleicht doch lieber in Radieschen? Die Franzosen müssten für eine kulinarische Aufwertung der Totenruhe offen sein. Gehörten sie im 16. Jahrhundert doch zu den ersten Europäern, die den wohl aus Fernost stammenden radis aßen. Auch ihren knallroten Knubbel verdankt die ehedem weiße, längliche Rettichart unter anderem französischer Gartenbaukunst. Eine Wurzel ist sie übrigens nicht. Zwar kommt ihr Name vom lateinischen radix, verspeist wird aber ihre grotesk verdickte Sprossachse. Wurzeln sind extra, was bestätigen wird, wer les radis von unten anschaut.
Auf keinen Fall sollte man den Löffel abgeben, ohne Radieschensuppe gegessen zu haben. Die Senföle des kleinen Scharfen sorgen mit mildem Frischkäse, saurer Sahne und frischer Kresse für das Frühlingserwachen der Küche. Das Radieschen hat jedenfalls mehr verdient, als einen Platz in der Garnitur. Es sucht Herausforderungen jenseits des Tellerrands. So ist es geröstet oder karamellisiert ein süßer Genuss. Im Land des Butterbrots steht zugleich außer Frage, dass Radieschen mit etwas Salz die Krönung dieser kleinen Mahlzeit sind. Die Butter darf man sich gönnen. Radieschen enthalten nämlich kaum Kalorien, dafür Kalium, Kalzium, Eisen und die Vitamine A, B1, B2 und C.
Trotzdem sind sie mit Vorsicht zu genießen, denn Mord ist ihr Hobby und selbst vor politischer Gewalt schrecken sie nicht zurück. 1893 ging ein versuchter Paketbombenanschlag auf Kaiser und Reichskanzler als „Radieschenattentat“ in die Geschichte ein: Die Sprengstoffpäckchen waren als Radieschensamen-Proben getarnt. Nein, harmlos ist etwas anderes. Schon aus diesem Grund verbietet sich Kurt Tucholskys SPD-Spöttelei: „harmlos, doof und leis wie bescheidene Radieschen: außen rot und innen weiß“. Und sprach Rio Reiser wirklich von „Radieschenkommunisten“, als er 1975 aufs Land zog? Aufs Land?! Wo doch jeder weiß, dass dort scharfe Waffen im Gemüsebeet stecken!
Radieschen-Topping
Ein Rezept von Karin Midwer
Für 4 Personen:
2 Bund Radieschen mit jungem Grün
1 kleiner säuerlicher Apfel
Salz, Pfeffer, Olivenöl, 1 EL Honig
1 TL Paprikapulver edelsüß
Saft einer kleinen Zitrone
Zubereitung:
Backofen auf 200°C vorheizen. Apfel entkernen und in Spalten schneiden. Radieschen waschen, das Grün abschneiden, grob hacken. Radieschen vierteln, mit den Apfelspalten, etwas Olivenöl, Paprikapulver und Salz vermengen, auf ein Backblech geben. Honig und Zitronensaft darüberträufeln. 15 Minuten im Ofen leicht bräunen. Mit dem Radieschengrün vermengen, mit Olivenöl, Salz und Pfeffer abschmecken.
Tipp: Passt als Topping zu Schwarzbrot mit Frischkäse oder als Beilage zu Omelett.