Natacha Aguilar de Soto spricht über ihre zoologischen Forschungsobjekte mit liebevoller Begeisterung. „Sie sind magisch, wie Feen, die plötzlich auftauchen und dann wieder verschwinden“, sagt sie über die rätselhaften Blainsville-Schnabelwale, denen sie vor der kleinsten Kanareninsel El Hierro nachstellt. Nur an wenigen Orten der Welt lässt sich die Art überhaupt erforschen. „Hier kann man sie vom Strand aus sehen“, berichtet die Meeresbiologin von der Universität La Laguna auf Teneriffa. „Entdecken wir eine Gruppe, steigen wir sofort ins Boot und fahren zu ihr hinaus.“
Meist geht die Suche dann erst richtig los, denn Blainsville-Schnabelwale verbringen mehr als neunzig Prozent ihrer Zeit unter Wasser. Der Meeresboden fällt vor El Hierro steil in die Tiefsee ab – der Grund, weshalb sich Vertreter der Art Mesoplodon densirostris hier so küstennah blicken lassen. Die elefantengroßen Tiere jagen in mehreren hundert bis weit über tausend Metern Tiefe Tintenfische und verweilen zwischen den Tauchgängen, die bis zu zwei Stunden dauern, nur wenige Minuten an der Oberfläche. „Dann nähern wir uns ihnen vorsichtig“, so Aguilar de Soto, „und versuchen, mithilfe eines langen Stabes einen Datenlogger mit Saugnapf am Rücken der Tiere zu befestigen.“
Es vergehen schon mal zwei Wochen, bis das klappt, doch die Geduld zahlt sich aus. Wenn sich die handygroßen, mit GPS versehenen Geräte nach einigen Stunden wieder gelöst haben und aus dem Meer gefischt wurden, kann Aguilar de Soto die erstaunlichsten Verhaltensweisen daraus ablesen. „Beim Abtauchen sind die Wale bis in 700 Meter Tiefe ganz still“, erklärt sie, „erst dann beginnen sie, mit Klicklauten ihre Beute zu orten.“ In völliger Dunkelheit jagen sie zwar für sich allein, mit zehn bis 200 Metern Abstand voneinander, tun sich aber zum Aufstieg, der schräg erfolgt, wieder zusammen. „Wiederum verstummen sie bei rund 700 Metern Tiefe“, sagt die Biologin. An einem nicht vorhersehbaren Ort im Umkreis von einem Kilometer zu den letzten Klicklauten erscheinen sie wieder an der Oberfläche.
Nun hat Aguilar de Soto mit ihrem Team im Online-Fachblatt „Scientific Reports“ eine Erklärung für das eigentümliche Verhalten geliefert: Offenbar steckt eine tiefsitzende Angst vor Orcas dahinter. „Schnabelwale sind nicht sehr wehrhaft“, erklärt sie. Durch den konsequenten Zusammenhalt in der Gruppe und das heimliche Auftauchen im schrägen Winkel reduziere sich zwar die Zeit zum Beutemachen – aber auch die Wahrscheinlichkeit, von Killerwalen entdeckt zu werden, die an der Oberfläche lauschen.
„Dieses Verhalten hat die Schnabelwale wahrscheinlich seit Millionen Jahren geschützt“, sagt Aquilar de Soto – doch nun bringe es auch Nachteile mit sich. Denn die akustisch supersensiblen ängstlichen Gruppentiere reagieren extrem empfindlich auf Unterwasserlärm. Immer wieder kommt es zu Massenstrandungen, die offenbar durch Sonarübungen von Kriegsschiffen ausgelöst werden. „Solche Übungen gibt es weltweit“, sagt Aquilar de Soto. „Wir sollten sie unbedingt auf militärische Gebiete beschränken.“