Der diesjährige Klimagipfel im schottischen Glasgow war für Klimaschützende ein Wechselbad der Gefühle: Zunächst viel Optimismus, als die Mächtigen der Welt Anfang November in ihren Auftaktreden große Worte fanden und mehr Tempo beim Klimaschutz forderten. Es stehe eine „umfassende Transformation“ unseres Lebens, Arbeitens und Wirtschaftens an, sagte zum Beispiel die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. Antonio Guterres, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, gab das Ziel aus: Alle Regierungen müssten ihre Subventionen für fossile Brennstoffe abschaffen, aus der Kohle aussteigen und einen Preis für sämtliche Treibhausgasemissionen festlegen.
„Jeder möchte Klimaschützer sein. Heutzutage gibt es niemanden mehr, der sich aufs internationale Parkett stellt und öffentlich etwas gegen Klimaschutz sagt“, sagt Lisa Göldner von Greenpeace, „aber wichtiger ist bei all den schönen Worten der Realitäts-Check: Was bedeutet welche Maßnahme für die Erderhitzung?“ Darum ging es dann in der zweiten Gipfelwoche, als sich die Delegierten der fast 200 Staaten in zähen Verhandlungen auf eine Abschlusserklärung einigen mussten – bei der am Ende zwar einige Fortschritte im Detail, aber auch viel Ernüchterung blieben.
Denn bei den Maßnahmen, die dort beschlossen wurden, ging es um nichts Geringeres als die Frage, ob das 1,5 Grad-Ziel noch zu halten sei. 2015 hatte sich die Staatengemeinschaft beim bisher wichtigsten Klimagipfel in Paris darauf geeinigt, die Erderwärmung bis 2100 auf deutlich unter zwei Grad, „möglichst“ aber 1,5 Grad zu begrenzen. Um die Erderhitzung einzudämmen, müssen alle Vertragsstaaten nationale Klimaschutzpläne (NDCs) vorlegen – die bisher aber beim weitem nicht ausreichen, um die Ziele von Paris zu erreichen. „Bisher steuerten wir auf 2,7 Grad Celsius zu“, sagte der britische Klimamodellierer Chris Smith dem Deutschlandfunk. Dabei bezieht er sich auf die prognostizierte Erderwärmung bis 2100, wenn wir die bereits in Kraft getretene Klimapolitik so beibehalten würden. „Wenn wir die nachgebesserten Klimaschutzpläne der Länder während der Konferenz berücksichtigen, kommen wir nur noch auf 2,4 Grad. Aber das sind immer noch schlechte Nachrichten“, so Smith.
Auf der fünften Klimakonferenz nach Paris, der COP26, einigten sich die Nationen nach tagelangem Ringen schließlich auf die finale Version der Abschlusserklärung. Aber war sie nun ein Erfolg? Während die Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer die Beschlüsse pauschal als „Betrug " bezeichnet, da sie die jungen Menschen dieser Welt um ihre Zukunft bringen würden, nennt Bundesumweltministerin Svenja Schulze den darin enthaltenden Beschluss zur Kohle „historisch“. Denn erstmals ist in der Abschlusserklärung einer COP das Bekenntnis zu einer weltweiten Abkehr von der Kohle und zum Ende fossiler Subventionen zu lesen. Außerdem werden fossile Energieträger klar als Hauptverursacher der Klimakrise benannt, auch das ein Novum.
„Man muss realistisch bleiben, was man von einer Konferenz, auf der ein Konsens zwischen fast 200 Nationen erreicht werden muss, erwarten kann“, sagt Greenpeace-Klimaexpertin Göldner. Dennoch ärgert sie, dass die Aussagen zur Kohle im Vertragstext im letzten Moment abgeschwächt wurden, weil einige Staaten wie China und Indien blockierten. „Da werden einfach neue Wörter erfunden“, sagt Göldner. „Aus ,phase out from coal‘, also dem eindeutigen Ausstieg, wurde mal eben ,phase down‘ – dafür gibt es gar keine wirkliche Übersetzung.“ Dennoch wertet sie es als einen großen Erfolg für die Antikohlebewegung, dass die Wörter Kohle und fossile Energieträger zum ersten Mal überhaupt in der Abschlusserklärung auftauchen.
Und noch ein weiterer Punkt zeigt, dass die Weltgemeinschaft die Dringlichkeit der Klimakrise inzwischen anerkennt. So war in Paris beschlossen worden, dass die Staaten alle fünf Jahre auf der Klimakonferenz darlegen müssen, was sie tun, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Diese Frequenz ist jetzt erhöht worden: Staaten, deren Klimaschutzmaßnahmen nicht ausreichen, müssen bis Ende 2022 nachgebesserte Pläne vorlegen. „Es ist wichtig, dass die riesige Lücke klar benannt ist, die aktuell noch zwischen dem Pariser Klimagrenzwert von 1,5 Grad und den bisher beschlossenen Maßnahmen klafft“, sagt Lisa Göldner.
Als enttäuschend beurteilt die Greenpeace-Expertin das Thema Finanzhilfen: „Es wird deutlich, dass die Industrieländer als Hauptverantwortliche der Klimakrise nicht bereit sind, das Überleben der ärmeren Staaten zu sichern.“ Die 2009 von den Industriestaaten zugesagten hundert Milliarden Dollar Finanzhilfe pro Jahr, die aber auch Kredite und Investitionen umfassen, seien bisher nicht erreicht worden. Geplant war, dass sie ab 2020 jährlich für Klimaschutzmaßnahmen in ärmere Länder fließen – nun sollen sie bis 2023 mit einem sogenannten Delivery-Plan garantiert werden. „Und ganz ehrlich, hundert Milliarden Dollar reichen bei Weitem nicht aus, um die Maßnahmen weltweit zu finanzieren, die man eigentlich für Klimaschutz und Anpassungsmaßnahmen bräuchte – Klimaschäden sind hier noch gar nicht eingerechnet“, so Göldner. Damit spricht sie das umstrittene Thema „Loss and Damage“ an, bei dem die bereits von den Klimafolgen betroffenen ärmeren Länder verbindliche Unterstützung von den Industrieländern fordern. „Doch die haben das Thema bei den Verhandlungen an den Rand gedrängt, zu einer konkreten Zahlungsverpflichtung für Klimaschäden kam es auch diesmal nicht“, sagt Göldner.
Auch außerhalb der zentralen Verhandlungen auf der COP26, in denen über jede Formulierung des Abschlussdokuments gerungen wurde, schlossen verschiedene Staaten oder andere Akteure wie Unternehmen eine Fülle von Abkommen. „Hier muss man immer genau unterscheiden: Wo geht es nur um schöne Worte für die Schlagzeilen, und welche Maßnahmen tragen wirklich etwas Neues bei“, so Göldner. Positiv hervorzuheben ist das Globale Methan-Versprechen – von den USA und der EU initiiert und von mehr als achtzig Ländern unterstützt –, den Ausstoß des zweitwichtigsten Treibhausgases bis 2030 um mindestens dreißig Prozent gegenüber 2020 zu senken. Wenn die Initiative erfolgreich umgesetzt wird, könnte die Klimaerwärmung der EU-Kommission zufolge bis 2050 um rund 0,2 Grad reduziert werden.
Eine wichtige Wirkung für künftige Klimaverhandlungen könnte auch die Initiative der Staatenallianz unter Führung von Dänemark und Costa Rica haben, einen schnelleren Ausstieg von Erdöl und Erdgas herbeizuführen. „Im besten Fall wird das ein eigener Punkt im Abschlussdokument der nächsten COP27“, sagt Göldner. Und auch die Initiative aus einem breiten Bündnis von Staaten und Unternehmen, die plant bis 2040 das Ende des Verbrenners einzuläuten, macht Hoffnung – nur die fehlende deutsche Beteiligung ist dabei ein Stimmungsdämpfer. Im Gegensatz dazu ist der Waldschutz-Plan, den die britische Regierung bekannt gab, kalter Kaffee. Die Rodung der Wälder bis 2030 zu stoppen, wurde schon 2014 versprochen und bei diesem Gipfel öffentlichkeitswirksam aus der Schublade gekramt – ohne dass die Ziele nachgeschärft wurden. Greenpeace kritisiert 2030 als viel zu spät.
Doch trotz aller Kritik an den Ergebnissen der COP26 stellt Lisa Göldner klar, dass wir ein Forum wie die Weltklimakonferenzen brauchen, um der Klimakrise gemeinsam zu begegnen: „Meiner Meinung nach ist es sehr wichtig, dass alle Länder gemeinsam am Tisch sitzen und der Vertreter oder die Vertreterin aus Tuvalu genauso Ideen einbringen kann wie der Delegationsleiter aus den USA“, sagt Lisa Göldner. Zentral sei hierbei, dass diese Länder sich am Ende zusammenraufen müssten, um gemeinsam eine Einigung zu erzielen: die Abschlusserklärung der COP.
Auch die Bewertungen, wie wirksam die getroffenen Beschlüsse des diesjährigen Klimagipfels sind, um die Pariser Klimaziele noch zu erreichen, fallen unterschiedlich aus. Während Klimaaktivistinnen wie Greta Thunberg oder Luisa Neubauer hauptsächlich die Versäumnisse thematisieren, unterstreicht Umweltbundesministerin Svenja Schulze, dass die Zielsetzungen des Pariser Abkommens immer noch in Reichweite liegen. Lisa Göldner stimmt da nur teilweise zu: „Das 1,5-Grad-Ziel lebt noch gerade so. Aber es zu erreichen, wenn alle aktuellen Prognosen von einer Erhitzung weit über zwei Grad ausgehen, wird schwer – das hängt jetzt vor allem davon ab, wie stark alle Staaten ihre nationalen Klimaschutzpläne bis 2022 nachbessern.“ Wie realistisch das 1,5-Grad-Ziel noch ist, wird sich dann also auf dem nächsten Klimagipfel zeigen – der COP27.