Bei der Gestaltung einer Lebensmittelverpackung hat man unzählige Möglichkeiten. Viele Hersteller entscheiden sich aber dafür, das Produkt darauf abzubilden und es möglichst gut zu beschreiben – damit man weiß, was drin ist. Für die Hersteller von pflanzlichen Milchalternativen könnte das aber bald unmöglich werden. Und zwar in einer Zeit, in der die Getränke so beliebt sind, wie nie zuvor.
Die Nachfrage nach Getränken auf Basis von Hafer, Soja oder Mandeln boomt: Zwischen August 2019 und August 2020 wuchs ihr Absatz laut dem Marktforschungsunternehmen Nielsen um sagenhafte 47 Prozent, der Wachstumsgewinn von Hafergetränken betrug sogar 115 Prozent. Das sorgte dafür, dass Hersteller wie Oatly zwischenzeitlich kaum mit der Produktion hinterherkamen. Das schwedische Unternehmen ist auch deswegen so erfolgreich, weil es auf ein angriffslustiges Marketing setzt. Im Jahr 2015 etwa sorgte es für Furore, als es seine Produkte mit dem Slogan „Wie Milch, aber für Menschen“ bewarb. Die schwedische Milchindustrie klagte dagegen und erwirkte ein Verbot der Werbung. In anderen Ländern, darunter auch Deutschland, durfte Oatly mit dem Spruch weiterhin Plakatwände beschriften.
Schon bald könnte derartige Werbung aber in der gesamten Europäischen Union Geschichte sein. Verantwortlich dafür ist ein sogenannter Änderungsantrag, der die Nummer 171 trägt. Mit Änderungsanträgen können die EU-Abgeordneten Gesetzesvorschläge durch Umformulierungen verändern. In diesem Fall wird die EU-Agrarpolitik reformiert, der Änderungsantrag 171 soll die Verordnung mit der Nummer 1308/2013 über eine gemeinsame „Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse“ abändern. Laut dieser Verordnung dürfen schon jetzt Bezeichnungen wie „Milch“ oder „Käse“ nur für Produkte verwendet werden, die von Tieren stammen. Ein Getränk auf der Basis von Hafer etwa, darf deswegen nicht „Hafermilch“ genannt werden, sondern zum Beispiel „Haferdrink“.
Kommt der Änderungsantrag 171 durch, dann darf auf den Packungen bald noch sehr viel mehr nicht stehen. Zum Beispiel dürften sich pflanzenbasierte Milchalternativen dann nicht mehr als solche bezeichnen: als „Alternativen“ zu Milchprodukten. Auch Anspielungen wie „à la“, „Typ“, „Verfahren“, „Fasson“, „Nachahmung“, „‑geschmack“, „‑ersatz“, „Art“ wären dann verboten. Auf den Packungen dürfte selbst „enthält keine Milch“ oder „sahnige Konsistenz“ nicht mehr stehen, ein Vergleich des CO2-Fußabdrucks mit dem tierischen Pendant wäre untersagt, womöglich dürfte nicht einmal die Verpackung gleich aussehen. Das alles soll für weniger Verwirrung beim Einkauf sorgen.
Clara Hagedorn, Referentin der Nichtregierungsorganisation ProVeg, befürchtet aber genau den gegenteiligen Effekt: „Diese Einschränkung würde Verbraucherinnen und Verbraucher unnötig verwirren, da ihnen Informationen über Konsistenz, Geschmack, Verwendung, Klimafreundlichkeit oder Allergien verwehrt würden.“ Sogar Abbildungen wie weißer Schaum auf einem Cappuccino könnten auf Verpackungen verboten werden, so Hagedorn – „da Schaum aus Hafermilch ja genauso aussieht wie der aus Kuhmilch.“
Gemeinsam mit anderen NGOs, Forschenden sowie Herstellern von pflanzlichen Alternativprodukten hat ProVeg letztes Jahr die Europäische Allianz für pflanzenbasierte Lebensmittel (EAPF) gegründet, mit der sie versucht, den Änderungsantrag abzuwenden. Und zusammen mit Oatly startete sie eine Petition an die EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten, die fast 400.000 Menschen unterschrieben haben.
Doch das EU-Parlament stimmte letzten Oktober für den Antrag. Nun liegt es am EU-Ministerrat und der EU-Kommission, die voraussichtlich am 24. März darüber abstimmen werden.
Ob ProVeg mit ihrem Protest Erfolg hat, ist fraglich. Sie steht einer großen Lobbymacht gegenüber, angeführt von dem Europäischen Milchindustrieverband EDA. Dessen Generalsekretär Alexander Anton hatte nach der Abstimmung im Oktober verkündet: „Dies ist ein guter Tag für die EU-Laktosphäre, für unsere europäischen Verbraucher und Bürger und für Europa. Nicht-Molkereiprodukte können uns nicht die Milchbegriffe und den wohlverdienten guten Ruf von Milch und Molkereiprodukten kapern.“ Dass sich der Verband dabei nicht nur um das Ansehen seines Produktes sorgt, liegt auf der Hand. In Deutschland ist der Pro-Kopf-Konsum von Kuhmilch zwischen 2013 und 2019 von 54,1 auf 49,5 Kilogramm gesunken, das ist ein Rückgang von mehr als acht Prozent. Da kommt die Hilfe aus Brüssel gerade recht.
Auch Udo Hemmerling, stellvertretender Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, befürwortet den Änderungsantrag: „Der Bezeichnungsschutz für Milch muss im Sinne der Wahrheit und Klarheit für die Verbraucher erhalten bleiben“, sagte er dem Greenpeace Magazin. „Einige Anbieter erhoffen sich einen Vorteil davon, so aufzutreten wie das Original und dabei zu suggerieren, man sei besser als das Original. Das ist werblich unlauter und verdreht auch die Tatsachen.“ Aus seiner Sicht hinke der Vergleich zwischen pflanzlicher und tierischer Milch: „Niemand sagt ernsthaft, das Fahrrad sei ein Flugzeug oder eine Flugzeugalternative, nur weil es das bessere Fortbewegungsmittel ist.“
Was er nicht sagt: Bei einem Vergleich des ökologischen Fußabdrucks zwischen tierischen Milchprodukte und ihren pflanzlichen Alternativen schneiden letztere deutlich besser ab. Alle pflanzlichen Getränke verbrauchen weniger Land und Wasser und verursachen weniger CO2-Emissionen. Selbst Mandeldrinks, die für ihren hohen Wasserverbrauch kritisiert werden, verbrauchen nur etwa sechzig Prozent der Wassermenge, die tierische Milch verbraucht (siehe Greenpeace Magazin 4.19).
ProVeg sieht den Änderungsantrag 171 deswegen im Konflikt mit den Nachhaltigkeitszielen der Europäischen Union, etwa mit der Initiative „From Farm to Fork“ (Vom Hof auf den Tisch), mit der unter anderem eine pflanzliche Ernährung gefördert werden soll. „Änderungsantrag 171 würde Verbraucherinnen und Verbrauchern die Umstellung erschweren“, kritisiert Clara Hagedorn von ProVeg. „Der Antrag widerspricht damit den Ambitionen der Nachhaltigkeitsstrategie der EU.“
Vegane Burger und Steaks dürfen übrigens auch weiterhin so heißen. Ein entsprechendes Verbot hatte das EU-Parlament am selben Tag abgelehnt, an dem es für Änderungsantrag 171 gestimmt hatte. „Wir halten die ganze Debatte für völlig überflüssig“, sagte EU-Parlamentarier Jan-Christoph Oetjen von der FDP nach der Abstimmung. Er sei überzeugt, die Menschen könnten sich ihr eigenes Bild machen – schließlich wüssten sie ja auch, dass man Scheuermilch nicht trinken kann.