Die Malediven gelten noch immer als traumhaftes Reiseziel. Doch die Müllberge, welche die jährlichen 1,3 Millionen Besucher auf der Inselgruppe im Indischen Ozean hinterlassen, sind kaum noch zu übersehen. In der Ausgabe 2.19 „Tierrechte" des Greenpeace Magazins ziehen wir in unserer Reportage Bilanz.
Ich stehe auf einem Berg, doch ich habe keine Aussicht. Vor mir nur dunkler Rauch. Die heiße Luft ist stickig und riecht nach verbranntem Plastik. Immer wieder sehe und höre ich, wie Sachen explodieren. Das Feuer frisst sich unkontrolliert durch den Müll. Sobald ich stehen bleibe, bin ich gleich von einer Wolke aus Fliegen umgeben. Dreht sich der Wind, muss ich die Augen schließen und mir wird schwindelig vom Qualm. Ich bin in einem Paradies. Ich bin auf den Malediven. Sie ersticken im Müll. Die Inselgruppe gilt als Urlaubsparadies mitten im azurblauen Indischen Ozean.
Jedes Jahr kommen auf die 87 touristisch genutzten Eilande 1,3 Millionen Besucher. Die meisten reisen aus Europa und Asien an. Sie bringen nicht nur Sonnenhüte und Selfiesticks mit, sondern auch ihre Konsumgewohnheiten. Sie bestellen Fastfood, sie essen deutschen Joghurt, sie trinken Cola aus Plastikflaschen. Das alles bekommen sie auf den Malediven, es wird täglich in riesigen Containern angeliefert und bleibt als Touristenmüll zurück. Auf der gigantischen Müllkippe auf der Insel Thilafushi, dreißig Minuten mit dem Boot von der Hauptinsel Malé entfernt, finde ich Dinge aus meinem Alltag. Sogar eine Bonbonpackung aus Quickborn, ein paar Kilometer von meinem Wohnort Hamburg entfernt. Und da wird mir bewusst, wie sehr alles, was ich hier erlebe, mit meinem Lebensstil zu tun hat. Als ich gerade auf den nächsten Müllberg klettern will, sehe ich einen Jeep herannahen.
Durch die Lichthupe signalisieren die Insassen, dass ich stehen bleiben soll. Sie halten an und warten, bis ich heruntergeklettert bin. Ich verstaue die Kamera im Rucksack, nachdem ich die Speicherkarte herausgezogen habe. Ich stelle mich unwissend und sage, dass ich über Instagram von dem Müllberg gehört habe. Sie sagen mir, dass dies Privatbesitz sei und ich die Insel verlassen solle. Ich nicke, doch nachdem das Auto außer Sichtweite ist, stecke ich die Speicherkarte wieder in meine Kamera und fotografiere noch, wie ein weiteres Schiff mit Müll im Hafen von Thilafushi anlegt. Ziemlich eingeschüchtert gehe ich danach Richtung Fähre zurück. Die Regierung möchte nicht, dass Touristen nach Thilafushi kommen. Seit über 25 Jahren wird hier der Müll der anderen Inseln entsorgt. Von oben sieht das künstliche Eiland aus wie ein U.
Links wird der Abfall gelagert und verbrannt, rechts liegen die Unterkünfte der Arbeiter. Einen von ihnen lerne ich kennen, noch bevor ich am Anleger der Arbeiterfähre bin. Shualis* hält mit seinem Pick-up neben mir und fragt lächelnd, ob er mich zur Fähre mitnehmen soll. Er ist gebürtiger Malediver, 26 Jahre alt, und arbeitet seit einem halben Jahr als Vorarbeiter für eine staatliche Recycling-Firma, die die Müllberge der Malediven bewirtschaftet. Die Entsorgung kostet umgerechnet etwa fünfzig Euro für je vier Tonnen Abfall, ein Betrag, den die Hotels gern zahlen. Täglich von sieben Uhr bis Mitternacht wird der Müll hier angeliefert, pro Tag wächst die Inselfläche dadurch um einen Quadratmeter. „Die Arbeiter kommen vor allem aus Bangladesch und entsorgen den Müll im Schichtbetrieb“, erklärt er mir. Und dass er sehr stolz sei, für die Regierung zu arbeiten: „Der finanzielle Gewinn, den Thilafushi bringt, kommt allen zugute.“
Als wir die Arbeiterfähre betreten, fühle ich mich nicht wohl. Ich bin die einzige Frau, trage in diesem streng muslimischen Land kein Kopftuch und werde auffällig gemustert. Auch Shualis benimmt sich anders als im Pick-up. Um das Gespräch aufrechtzuerhalten, frage ich, wer seiner Meinung nach die anstehenden Präsidentenwahlen gewinnen wird. Keine gute Idee. Ich merke, wie nervös er wird. Er blickt sich um und sagt, dass er darüber nicht sprechen möchte. Die Malediven sind kein Rechtsstaat. Der frühere Präsident Mohamed Nasheed, der 2009 zu internationaler Bekanntheit gelangte, als er zum UN-Klimagipfel in Kopenhagen die Weltöffentlichkeit auf das Schicksal der vom Meeresspiegelanstieg bedrohten Malediven aufmerksam machte, saß einige Jahre später mehrmals im Gefängnis und lebt heute im Exil in London.
Seine Nachfolger maßen dem Umweltschutz wenig Bedeutung bei. Das mag auch daran liegen, dass Mitglieder der Regierung oft selbst in das Tourismusgeschäft investieren – es ist die wichtigste Einkommensquelle des Landes. Die ausländischen Arbeiter auf Thilafushi leben in Massenunterkünften, einige davon liegen direkt an den Müllbergen. An das Gelände grenzt das Wasser, in dem der Müll wie ein Teppich alles bedeckt. Die Menschen registrieren das kaum. Ohne Schutzkleidung und in Flip-Flops waten sie durch den Müll und suchen nach Wiederverwertbarem. Metalle von Wert gehen als Exportgüter nach Indien. Andere Arbeiter sortieren und laden den Müll von den Lkws ab, wieder andere zünden ihn unter freiem Himmel an. Dass es gefährlich ist, mit und in dem Müll zu leben, glauben die meisten nicht, mit denen ich spreche.
Ich lerne Saiful kennen. Er ist 32 Jahre alt. Seit mehr als fünf Jahren lebt er auf Thilafushi und arbeitetet hier als Sortierer. Um den Hals hat er ein Tuch gebunden, das er im Müll fand. „Die Arbeit auf Thilafushi ist sehr anstrengend, aber ich kann meine Frau und meine drei Kinder versorgen.“ Die wenige Freizeit nutzen die Arbeiter zum Fußballspielen, auf einem Regal in Saifuls Unterkunft stehen einige Pokale aus Plastik – oder sie baden zur Abkühlung trotz der vielen Plastikabfälle im Wasser. „Schlimm ist für mich, dass ich meine Kinder in Bangladesch nicht aufwachsen sehe“, sagt Saiful, als ich mich verabschiede. Es ist so absurd: Der Müll der Touristen, der Mangrovenwälder und Korallenriffe zerstört, ist zugleich für andere eine Lebensgrundlage. Die einzige Umweltorganisation auf den Malediven, „Bluepeace“, deren Arbeit immer wieder durch die Regierung behindert oder auch verboten wird, warnt vor Asbest und anderen Schadstoffen im Müll, die für Einheimische und Touristen gleichermaßen gefährlich sind.
Mittlerweile entsteht neben Thilafushi bereits eine weitere Müllinsel auf den Malediven. Solange die Touristen aber die Umweltschäden weiterhin so ausblenden, wie ich es erlebe, wird sich nichts ändern. Da ist das Pärchen, das an einem Teich voller Plastikabfall ungerührt den bunten Fischen zusieht. Da sind die vielen Touristen am Strand, die ihre Selfies konsequent nur in eine Richtung schießen, um auf Facebook Bilder frei von Hotelruinen und vermüllten Ecken zu posten, und da bin ich: eine Fotojournalistin aus Deutschland, deren Hin- und Rückflug mehr als doppelt so viele Emissionen verursacht haben als das klimaverträgliche Jahresbudget eines Menschen – und die hier den Müll aus ihrer eigenen Heimat findet. Auf der anderen Seite ist es das Geld des Tourismus, das zum Schutz des Ökosystems und der Natur beiträgt. Denn mit den Touristen kam überhaupt erst die Idee des Umweltschutzes auf die Malediven.
Unter den 1,3 Millionen ausländischen Gästen im Jahr steigt die Zahl derer, die bei einem um Umweltschutz bemühten Reiseveranstalter buchen. Tourismus ist hier Segen und Fluch zugleich. Ich frage mich, ob ich als Einzelperson eine Reise zu meinem Vergnügen vertreten könnte, selbst wenn ich als Touristin meinen Müll wieder mit nach Hause nehmen würde. Darauf gibt es eigentlich nur eine Antwort: „Nein.“ Was jeder Einzelne aus diesem „Nein“ macht, ist eine der schwierigsten Fragen dieser Zeit.
*Name von der Redaktion geändert
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