Wer fürs Klima etwas erreichen will, muss auf die Träume der Menschen eingehen, kurz: die bessere Party sein. Nur so lässt sich die fossile Vorherrschaft überwinden, schreibt Luisa Neubauer. Die weltbekannte Klimaaktivistin erinnert sich auch an ihre Zeit beim Greenpeace Magazin.
Vom Ende aus erzählt, ergeben Geschichten immer einen Sinn. Als wäre der Verlauf der Dinge unvermeidlich, als hätte es in keiner Welt anders sein können. Rückwärts erzählt könnte meine Geschichte zum Beispiel so aussehen: Bei einer Klimakonferenz in Polen im Jahr 2018 treffe ich eine junge Schwedin, sie erzählt etwas von einem Klimastreik. Ich fahre zurück nach Deutschland, schreibe einen Aufruf zum Klimastreik auf der Website vom Neon-Magazin, und weil es unangenehm wäre, einen Aufruf zu schreiben, dem niemand folgt, organisiere ich mit Freund kurzerhand selbst einen Klimastreik in Berlin. Wir waren nicht allein, im ganzen Land hatten sich Menschen zusammengetan, die Fridays-for-Future-Bewegung in Deutschland wurde geboren.
Wer vom Ende her denkt, der erzählt geschmeidige Geschichten. Die ehrlichen Geschichten aber sind voller Zweifel, Hadern, Zufälle. Die ehrlichen Geschichten sind Geschichten, die nicht vom Ende her gedacht sind, sondern erzählen, was passiert ist, bevor ein Ende überhaupt in Sicht war.
Wenn man nicht vom Ende aus, sondern von Anfang an auf meine Geschichte guckt, stellt man fest: Ich habe natürlich nicht einfach so Greta Thunberg bei einer Klimakonferenz getroffen, und man veröffentlicht auch nicht einfach so einen Text, weil ja niemand weiß, wer du bist, und es auch noch 2018 ist und die meisten Onlinemagazine mit Klima überhaupt nichts anfangen konnten. Wenn man von Anfang an drauf guckt, dann wollte ich was ganz anderes machen, nämlich Journalistin werden, und so fängt die ehrliche Geschichte gar nicht mit Greta an, sondern mit meinem Schulleiter, der mir auf einer Geografieexkursion zwischen Gesteinsproben herüberrief, ich solle mich doch mal bei diesem Hamburger Öko-Magazin bewerben.
Melden, ich würde doch so gerne schreiben. Und weil meine Mutter meinte, es sei ohne relevante Qualifikation unwahrscheinlich, dass meine Bewerbung überhaupt gelesen würde, radelte ich nach dem Abitur die Elbe runter nach Altona, um meine Unterlagen persönlich abzugeben. Die ehrliche Geschichte beginnt mit Luisa, 18, vor der großen Tür vom Greenpeace Magazin in Hamburg und der großen Frage im Kopf: Was macht man, wenn die Tür partout nicht aufgeht? Noch mal klingeln? Wäre das selbstbewusst oder unhöflich? Und: Warum habe ich ausgerechnet das nicht in der Schule gelernt?
Rückwärts erzählt sind Geschichten so schön, dass sie ungenau werden. Irgendwie brach eine Welle an deutschlandweiten Protesten los, und im Gegensatz zu vielen Bemühungen davor löste diese Welle etwas aus. Die Gründe? Es waren viele Menschen, unwahrscheinliche Gruppen wie Fußballclubs und große Bands unterstützten die Bewegung – und im Zentrum von allen: Die Wissenschaft, Unite behind the Science. Die Welt hörte Greta Thunberg zu, wie sie auf den größten denkbaren Bühnen die Erkenntnisse des Weltklimarates vortrug. Kurze Zeit später würde man Fridays for Future als eine „unideologische Bewegung“ bezeichnen, die Fakten im Zentrum.
Was wäre wohl die Antwort, wenn man Menschen danach fragt, welche der unzähligen Fakten ihnen besonders im Kopf hängen geblieben sind? Oder: Welche Studie es war, die sie vielleicht selbst motiviert hat, auf die Straße zu gehen?
Es ist das Ungenaue dieser Geschichten, das es so leicht macht, Erfolge als Glücksfall und Niederlagen als Schicksal zu sehen. Denn in gewisser Weise haben wir mit Fridays for Future einen gravierenden Fehler gemacht, und es ist nichts anderes als ein planetarer Zufall, dass er die Bewegung nicht im Keim erstickt hat. Dieser Fehler fällt erst auf, wenn man nicht länger schöne Geschichten sucht, sondern die ehrliche. Die wiederum fängt bei einem großen Missverständnis an. Wir sind – wie so viele andere Klimabewegte – davon ausgegangen, dass wissenschaftliche Erkenntnisse das stärkste Argument gegen Klimazerstörung sind.
Wir waren Teil einer langen Tradition. Schaut man auf die letzten Jahrzehnte der ökologisch Bewegten, blickt man auf Bücher über Bücher, Flyer über Flyer, Reden über Reden – die alle auf die wissenschaftliche Aufklärung der Öffentlichkeit gesetzt haben. Hunderte Seiten über Bienen, Bäume und Braunkohle, Hunderte Internetauftritte über Treibhausgase, Tierhaltung und Tiefseebohrungen. Die Idee: Würden die Menschen nur besser Bescheid wissen, dann würden sie sicherlich im Sinne des Klimaschutzes handeln, wählen und einkaufen. Oder halt: Unite behind the Science.
Es war logisch und verständlich, aber vor allem eben auch: zum Scheitern verurteilt. Man hat den großen Fehler gemacht, aus der wissenschaftlichen Natur des Problems an sich zu schließen, dass es durch wissenschaftliche Überzeugung gelöst werden könnte. Nicht dass Sie mich falsch verstehen: Natürlich ist die Wissenschaft, die evidenzbasierte Analyse der Lage des Planeten, entscheidend. Sie muss Grundlage für den Einsatz gegen die Klimakrise sein, sie verschafft die Legitimation. Die Klimawissenschaft wird nur vermutlich nie mehr das stärkste Argument sein.
Bruno Latour beschreibt die „präskriptive Potenz“ der Klimaforschung. Ihre Ergebnisse sind so klar, sie allein lesen sich eigentlich schon wie eine grobe politische Anleitung, was zu tun ist. Deshalb ließ die Reaktion der fossilen Konzerne und ihrer politischen Unterstützer (höchstpersönlich) nicht lange auf sich warten: Sie setzten mit Beginn der Veröffentlichung von Klimaergebnissen alles daran, die Klimaforschung zu delegitimieren.
Bei den überhöhten Erwartungen an das Faktische geht es aber um mehr. Wie und warum, das verrät der Blick auf die andere Seite. Wie konnte es denn sein, dass die Klimazerstörung seit siebzig Jahren auf Erfolgskurs ist?
Hätten die Automobilhersteller gehandelt wie die Ökologie, hätten sie also auf die Macht der Zahlen gesetzt, dann hätten sie potenziellen Kunden kleine Rechentabellen geschickt, auf denen kalkuliert wird, wie viel Zeit man angeblich spart, wenn man morgens nicht länger mit dem Bus zur Arbeit fährt, sondern mit dem eigenen Auto. Fossile Industrien hätten auf Grafiken die Entwicklung von Glückshormonen dargestellt, um das Sparen auf die All-inclusive-Mittelmeerkreuzfahrt anzufeuern. Fluggesellschaften hätten Statistiken produzieren lassen, die zeigen, dass die Buchung eines Langstreckenfluges den schnellen Erfolg im Privaten oder Beruflichen signifikant steigert.
Aber nein! Man bietet den Menschen doch keine Fakten an, um ein fossiles Leben, fossilen Konsum, fossilen Fortschritt zu rechtfertigen. Stattdessen: Sanfte Musik, der Wind rauscht, geschmeidig gleitet der Audi über die blitzsaubere Landstraße, der Blick ist weit, die Welt rollt sich vor uns aus, schneller, weiter, das süße Leben. Leuchtend geht die Sonne unter. Ja, das könntest du sein, dort am Steuer, das hast du dir verdient.
Natürlich rettete James Bond die Welt im Aston Martin, wie denn sonst? Rettung durch die U-Bahn? Verfolgungsjagd auf dem Fahrrad? Lächerlich! Ob auf der Kinoleinwand oder der Werbung: Echte Helden fahren mit richtig viel PS. Und niemals, absolut niemals, suchen die Männer in Autowerbungen nach einem Parkplatz.
Es ging in der Normalisierung eines abnormalen Umgangs mit den Ressourcen noch nie darum, Menschen allein bei der Rationalität oder den Fakten anzutreffen. Mit Fantastilliarden an Werbegeldern wurden Menschen in fossile Wohlstandsmodelle hineingetragen. Wie hat man Menschen für mehr Klimazerstörung gewonnen? Es ist banal und es ist bahnbrechend: Emissionen wurden Teil eines Lebensgefühls.
Was heißt das für den ökologischen Kampf? Wer gegen fossile Emissionen arbeitet, nimmt es nicht schlicht mit einem problematischen Energieträger wie Kohle, Öl und Gas auf, sondern mit einem Way of Life. Die Macht fossiler Energien gegenüber allen Alternativen beschreibt das Wort „Fossilität“. Man kann es mit dem Patriarchat vergleichen – jenseits von quantifizierbaren Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern gibt es immer noch eine kulturelle, emotionale, gewachsene Übermacht von Männern über alle anderen. Ähnlich verhält es sich mit fossilen Energieträgern, sie genießen ein Gewohnheitsrecht, geben ein Freiheits- und Sicherheitsgefühl. In keiner Welt ließe sich rational erklären, warum bis heute jedes Jahr mehr als vierzig Milliarden in die Subventionierung fossiler Energien in Deutschland fließen, warum diverse Parteien ihre Identität um die Bewahrung vom Verbrenner stricken, warum jeder Job in der fossilen Industrie im politischen Diskurs um ein Vielfaches wertvoller ist als ein Job in den Erneuerbaren.
Es war also ein Leichtes, Jahrzehnte der wissenschaftlichen Forschung und politischen Verhandlungen verstreichen zu lassen, ohne auch nur einen Bruchteil der notwendigen Klimaschutzmaßnahmen umzusetzen. Dafür war das fossile Verständnis der Welt, in uns individuell, aber eben auch in Wirtschaft und Politik, zu mächtig und zu lange ohne Konkurrenz.
Coolness fürs Klima
Und dann kam doch etwas ins Wanken. Denn während wir auf der Straße standen und „Unite behind the Science“ riefen, haben wir unbewusst etwas viel Wichtigeres gemacht: Wir haben auch ein Lebensgefühl erschaffen. Ein eigenes, neues, eine gelebte Alternative zur Fossilität. Denn Macht erwuchs auf einmal dort, wo Menschen in Opposition zum fossilen Leben zusammenkamen. Das, was bisher – unterm Strich – einseitig mit fossilen Energien verbunden war, politische Macht und gesellschaftliche Mehrheiten, aber auch etwas wie Coolness, Leichtigkeit, Aufstieg und Abenteuer, das alles gab es auf einmal auch in öko. Und wer mit auf die Straße kam, konnte Teil davon sein.
Paradoxerweise war es lange vor allem die fossile Fraktion, die darauf bestanden hat, keinen „Kulturkampf“ in Sachen Klimaschutz zu führen. Dabei waren sie es selber, die ihre fossile Politik schamlos kultiviert haben. Man stelle sich vor, noch im Jahr 2024 erklärte ein FDP-Politiker aus Berlin auf X (ehemals Twitter), Autobahnen seien „in Beton gegossene #Freiheit“. Friedrich Merz lässt sich bis heute gern im Privatjet fotografieren, Markus Söder präsentiert auf Instagram seine innige Beziehung zu heimischen Rostbratwürstchen. Das alles auch: Teil der Fossilität.
Ein fossiler Kulturkampf, der sich das Märchen vom Homo oeconomicus erzählt, während jedes bisschen Status, Erfolg und Lebensqualität in fossile Energien und ökologische Ausbeutungen betoniert wird. Argumente, Daten und Fakten, die all das infrage stellen, sind gut. Damit sie wirken können, darf das kulturelle Gegenangebot nicht fehlen.
Gewinnen wird die Ökologie – so stellt es sich heraus – nicht einfach, weil sie recht hat. Sie wird gewinnen, sobald sie Macht bei sich versammelt: politisch, gesellschaftlich, kulturell.
Fridays for Future wollte nie Teil eines Kulturkampfes sein und ist glücklicherweise dennoch einer geworden. Und vielleicht war gerade das die Magie des Jahres 2019. Denn nirgends wurde erzählt oder benannt, dass das gute Leben auf der ökologischen Seite der Geschichte stattfindet. Es wurde einfach gezeigt, was möglich ist, an Freiheiten und Selbstbestimmung, wenn die fossile Kultur eine Runde bestreikt wird. Wie der Kulturkampf zwischen Fossilität und Ökologie ausgeht, das wissen wir noch nicht. Gerade das halte ich für radikal hoffnungsvoll. Diese Geschichte hat noch kein Ende, denn sie ist wahr, und real, und noch – ist alles möglich.
Journalistin bin ich offensichtlich nicht geworden. Kurz nachdem ich mich als Praktikantin an meinen viel zu großen Schreibtisch beim Greenpeace Magazin gesetzt hatte, stellte ich fest, dass ich für gute Geschichten zum Klima eine Welt brauche, in der rund ums Klima gute Sachen passieren. Als ich dann für das Magazin ein Interview mit dem US-amerikanischen Umweltaktivisten Bill McKibben führte – im Zug, denn er war gerade in Europa unterwegs –, entschied ich, dass ich in diesem Gespräch schlicht auf der falschen Seite saß. Ich trat einer Divestment-Gruppe in Göttingen bei, und weil ich die einzige mit Smartphone war, begann meine Karriere als Klimaaktivistin fernab der Revolution – und zwar mit der Verwaltung unseres Facebook-Accounts.
Und doch kam später alles zusammen: Wenn ich heute Reden schreibe, Texte oder auch Bücher, dann stehe ich im Kopf wieder in Altona an der Elbe – mit hochgezogenen Schultern und kleinem Notizbuch neben dem Schreibtisch eines der Redakteure. Jeder einzelne meiner Artikel wurde hier in brutaler Präzision auseinandergenommen: Adjektive? Alle raus! Lange Substantive? Bloß nicht! Schreib mit Verben! Du schreibst „man sollte“, wer ist denn bitte „man“? Du musst mehr üben! Hast du schon den Kisch gelesen? Was, den kennst du nicht? Hier – lies das, von vorn bis hinten. Und dann vielleicht noch mal.
Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft ich „Schreib das auf, Kisch“ bis heute gelesen habe. Bis heute steht die zerfledderte Ausgabe neben meinem Schreibtisch. Übrigens auch eine gute, aber vor allem ehrliche Geschichte. Und gerade von denen brauchen wir in der Ökologie mehr. Dringend.
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 6.24 "Das ist das Letzte". Das Greenpeace Magazin erhalten Sie als Einzelheft in unserem Warenhaus oder im Bahnhofsbuchhandel, alles über unsere vielfältigen Abonnements inklusive Prämienangeboten erfahren Sie in unserem Abo-Shop. Sie können alle Inhalte auch in digitaler Form lesen, optimiert für Tablet und Smartphone. Viel Inspiration beim Schmökern, Schauen und Teilen!