Es ist die letzte Chance, das Leben auf unserem Planeten zu retten, und diese Zahlen könnten den Ausgang der Geschichte entscheidend verändern.

Die Klimakrise ist vieles zugleich: ein Test, ob wir die tiefe Kluft zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden überwinden können, eine Herausforderung für ein politisches System, das auf kurzfristiges Denken ausgerichtet ist, und eine Linse, die vergangenes Unrecht und zukünftige Entbehrungen schärfer in den Blick rückt.

Aber vor allem ist sie auch eine mathematische Rechnung, und nicht einmal eine besonders schwierige: Die Atmosphäre kann nur eine bestimmte Menge an CO₂ aufnehmen, bevor sich die Erde überhitzt. Man kann es sich wie einen Fünf-Liter-Eimer vorstellen: Wenn man mehr als fünf Liter Wasser hineinschüttet, läuft er über. Das wäre also dumm.

Vor mehr als zehn Jahren habe ich einen Artikel geschrieben, der ziemlich viral ging („Es wird heiß“, Greenpeace Magazin 6.12, wie dieser Text zuerst in den USA im Rolling Stone erschienen). Damals schätzten Forschende, dass unser atmosphärischer Eimer Platz für etwa 585 Gigatonnen zusätzliches CO₂ hätte, wenn die Chance auf das Erreichen der globalen Klimaziele gewahrt werden sollte, auf die sich die Welt geeinigt hatte. Neue Daten zeigten damals auch, dass die fossile Brennstoffindustrie Reserven – also das, was sie den Aktionären und Banken zu fördern und zu verbrennen versprochen hatte – von etwa 2795 Gigatonnen CO₂ hatte. Fünfmal zu viel.

Aus dieser Rechnung ergab sich klar: Die fossile Industrie war ein Schurkenverein. Wenn die Konzerne (und Ölstaaten wie Saudi-Arabien, die wie Konzerne agieren) ihre Pläne umsetzten, würde die Erde, wie wir sie kennen, aufhören zu existieren. An ihre Stelle würde etwas viel Heißeres und Gefährlicheres treten.

Das gilt heute noch mehr als damals. Mark Campanale von der Carbon Tracker Initiative, einer in London ansässigen NGO, die die Zahlen damals veröffentlicht hat, führt weiterhin Buch. Der aktuelle Stand: Die fossile Brennstoffindustrie hat ihre Explorationen fortgesetzt und kontrolliert jetzt Reserven an Kohle, Gas und Öl, die, würden sie verbrannt, 3700 Gigatonnen CO₂ freisetzen würden. Das ist das Zehnfache der Menge, die laut Wissenschaft zum Überschreiten der Temperaturziele des Pariser Klimaabkommens führen würde.

Anders ausgedrückt: Wollen wir die Klimaziele einhalten, müssen wir neunzig Prozent der entdeckten fossilen Brennstoffe im Boden lassen – das entspricht bei den aktuellen Preisen etwa 100 Billionen US-Dollar an Vermögenswerten. Wer verstehen will, warum der Kampf um Klimafortschritte so intensiv ist – warum die fossile Brennstoffindustrie mit aller politischen Einflussnahme, die sie sich kaufen kann, so hart kämpft –, muss diese 100 Billionen Dollar im Kopf haben. Sie sind ein gewaltiger Anreiz.

Auf den ersten Blick sind wir dabei, diesen Kampf zu verlieren. Doch es gibt einige neue Zahlen, die den Ausgang der Geschichte vielleicht noch ändern könnten – echte Joker. Während einige unser Problem verschärfen, liegen in anderen mögliche Lösungsansätze. Die Zahlen der letzten zehn Jahre sind so bedeutend, dass sie genauer betrachtet werden sollten.

 

Das sind laut der Investmentbank Lazard die aktuellen Durchschnittskosten für die Stromerzeugung mit großen Solaranlagen. Mit anderen Worten: So viel kostet die Solarenergie, wenn man viele Solarpaneele auf einem Feld installiert hat. Um zu verstehen, warum diese Zahl die Welt verändern könnte, muss man zwei Dinge wissen.

61 US-Dollar

pro Megawattstunde

Erstens sind die Kosten weit niedriger als noch vor zehn Jahren. Der Preis für erneuerbare Energie ist seitdem um bis zu neunzig Prozent gefallen. Und zweitens ist der Preis niedriger als bei fast jeder anderen Energieerzeugungsmethode. Nur Windkraftanlagen sind mit 50 US-Dollar pro Megawattstunde noch günstiger. Der Betrieb eines Gaskraftwerks – in Amerika noch die gängigste Lösung – kostet 77 US-Dollar pro Megawattstunde, Kohlekraftwerke 119 US-Dollar, und Atomkraft noch mehr.

Dieser tiefgreifende Wandel könnte es uns in recht kurzer Zeit erlauben, die 700.000 Jahre alte menschliche Gewohnheit abzulegen, Dinge zu verbrennen. Wir betrachten saubere erneuerbare Energien oft als „alternative Energie“, wie exklusive Produkte aus einem Bioladen, während Gas und Kohle eher als Massenware aus dem Supermarkt erscheinen. Doch das hat sich drastisch verändert. Und der Preisvorteil der erneuerbaren Energien wird noch wachsen. Eine bemerkenswerte Studie der Universität Oxford von 2021 zeigt, dass Solar- und Windenergie (sowie die Batterien, die diese Energie speichern, wenn die Sonne untergeht oder der Wind nachlässt) sich in einer deutlichen „Lernkurve“ befinden: Je mehr man sie ausbaut, desto effizienter werden sie, wodurch die Kosten weiter sinken. Wenn die Anzahl der Solaranlagen sich verdoppelt, verringert sich der Preis derzeit um ein Drittel.

Eine Lernkurve ist etwas Bemerkenswertes – sie hält sich längere Zeit, was bedeutet, dass die Preise für erneuerbare Energien voraussichtlich weiterhin zurückgehen werden. Die Kosteneinsparungen finden teilweise im Labor statt – Forschende entdecken ständig neue und effizientere Methoden zur Umwandlung von Sonnenstrahlen in Strom. Und teilweise auf Dächern – wenn zahlreiche Menschen Solarpaneele installieren, entwickeln sie neue Lösungen und Arbeitsweisen. Auch sinken die Kosten für Genehmigungen, je mehr Erfahrung die Behörden mit neuer Technologie sammeln. Die Lernkurve ist so kraftvoll, dass sie generell alle Hindernisse überwindet.

Aber nicht alle Energiequellen profitieren von Lernkurven. Fossile Brennstoffe waren von Beginn an relativ günstig, doch ihre Kosten sind nicht erheblich geringer geworden. Das liegt daran, dass sie weniger eine Technologie als vielmehr eine Ware darstellen. Zudem wird es zunehmend schwieriger, diese Ware zu finden, da die leicht erreichbaren Vorkommen bereits erschöpft sind. Jetzt liegt die Kohle tiefer im Bergwerk, das Öl befindet sich unter dem Meeresboden oder dem Polareis.

Also kann man erwarten, dass sich der Preisunterschied zwischen fossilen Brennstoffen und erneuerbaren Energien weiter vergrößern wird. Laut der Oxford-Studie sparen wir umso mehr Geld, je schneller wir auf Erneuerbare umsteigen, weil der Wechsel es uns ermöglicht, früher auf teure Kohlenwasserstoffe zu verzichten. Die Einsparungen könnten sich auf zig Billionen US-Dollar belaufen – eine Zahl, die zunächst unwahrscheinlich erscheint, bis man den Unterschied zwischen alten und neuen Technologien berücksichtigt.

Erneuerbare Energien benötigen zwar Rohstoffe wie Kobalt oder Lithium, aber einmal abgebaut, bleiben diese in Batterien oder Windturbinen über Jahrzehnte aktiv. Gas und Kohle hingegen werden verbrannt und müssen ständig neu beschafft werden. Vierzig Prozent des Schiffsverkehrs dienen dem Transport von Kohle, Gas und Öl für die Verbrennung. Im Gegensatz dazu liefern Sonne und Wind ihre Energie kostenlos.

Es ist daher verständlich, dass die fossile Brennstoffindustrie erneuerbare Energien ablehnt. Einfach auf den Sonnenaufgang zu warten, ist das schlechteste Geschäftsmodell überhaupt, wenn die Konzerne bisher enorme Gewinne damit erzielt haben, den Menschen Energie teuer zu verkaufen. Tatsächlich haben die Kohle-, Öl- und Gasindustrien täglich unglaubliche Summen verdient, nämlich:

 

2022 wurden wir mit einer atemberaubenden Zahl konfrontiert: 2,8 Milliarden US-Dollar – so viel Gewinn hat die fossile Brennstoffindustrie in den letzten fünfzig Jahren täglich erzielt. Und diejenigen, die dieses Geld verdienen, haben das Motiv und die Mittel, das Geschäft am Leben zu erhalten.

2,8 Milliarden

Dollar

„Das ist eine riesige Summe“, betont Aviel Verbruggen, der Wissenschaftler, der die Zahl berechnet hat. „Mit diesem Geld kann man jeden Politiker und jedes System kaufen. Es schützt (die Erzeuger) vor politischer Einmischung, die ihre Aktivitäten einschränken könnte.“

Man kann dies auf höchster Ebene beobachten: Bei der letztjährigen Weltklimakonferenz in Abu Dhabi waren 2456 Personen mit Verbindungen zur fossilen Industrie registriert, was die Delegationen fast aller Länder in den Schatten stellte. Auch im Kleinen wird der Einfluss deutlich. Anfang 2023 zeigte eine Studie, dass allein in den USA werden Hunderttausende Fälle von Kinderasthma durch Gasherde verursacht – was mit günstigen Induktionskochfeldern leicht vermeidbar wäre. Kurz darauf wurde berichtet, dass die Erdgasindustrie Millionen für „Influencer“ ausgab, die behaupteten, ein glückliches Leben brauche eine blaue Flamme.

Diese Gewinne können nicht ewig anhalten – irgendwann werden die wirtschaftlichen Vorteile der erneuerbaren Energien überwiegen. Tatsächlich zeigen sich bereits Veränderungen. Der fossile Brennstoffsektor schnitt im letzten Jahrzehnt unterdurchschnittlich ab, bis Putins Krieg den Ölpreis in die Höhe trieb und Exxon Rekordgewinne bescherte. Jede Verzögerung bei der Energiewende ist für die Ölkonzerne profitabel und schädlich für den Rest der Welt. Also müssen wir Bewegungen unterstützen, die die Energiewende vorantreiben. Daher:

Das ist die ungefähr die Zahl von Schülerinnen und Schülern weltweit, die 2019 die Schule schwänzten, um am „Klimastreik“ teilzunehmen, erreichte ihren Höhepunkt auf dem Höhepunkt der Klimabewegung, bevor die Pandemie sie nach drinnen drängte.

6

Millionen

Diese Millionen stehen wiederum für alle, die in den letzten zehn Jahren die größte Bewegung des Jahrtausends ins Leben gerufen und sich über Ländergrenzen hinweg zusammengeschlossen haben, um Maßnahmen gegen den Klimawandel zu fordern. Ihr Beitrag war ebenso wichtig wie jener der Ingenieurinnen und Ingenieure, die die Kosten für die Erneuerbaren gesenkt haben.

Es fing langsam an – 2008 half ich, 350.org zu gründen, der erste Versuch, durch Grassroots-Initiativen eine globale Klimabewegung anzustoßen. Bald schlossen sich weltweit Menschen an. Angeführt wurde die Bewegung meist von indigenen Aktivistinnen und Aktivisten sowie von Menschen, die bereits vom Klimawandel betroffen waren. Gemeinsam wehrten wir uns gegen Pipelines, Frackingbohrungen und Kohlehäfen. Unsere Stimme wurde so stark, dass Barack Obama und andere Staatschefs 2015 nicht wie 2009 mit leeren Händen aus Paris zurückkehren konnten.

Junge Menschen führten den Kampf gegen den Klimawandel an. Greta Thunberg würde betonen, dass es Tausende wie sie gibt. Deutschland hat Luisa Neubauer, in den USA gehört Varshini Prakash dazu, deren unermüdlicher Einsatz für den Green New Deal mit dem Sunrise Movement die US-Politik tiefgreifend beeinflusste. So eroberte das Thema Klimawandel 2020 endlich die politische Agenda: Laut Umfragen stand es für die Wähler der Demokraten ganz oben. Joe Biden reagierte, berief Prakash in ein kleines Team für Klimapolitik. Der Druck bewirkte schließlich, dass im August 2022 der Inflation Reduction Act verabschiedet wurde, das erste echte Klimagesetz – 34 Jahre, nachdem der Klimaforscher Jim Hansen vor dem Kongress erstmals vor der Erderwärmung gewarnt hatte. Und jetzt sind wir bei …

Das ist der Mindestbetrag, den der Kongress im Inflation Reduction Act für die Energiewende bereitgestellt hat – Geld, das den Übergang zu einem sauberen, elektrifizierten Amerika beschleunigen und weltweit ähnliche Entwicklungen anstoßen könnte.

369 Milliarden

Dollar

Das Gesetz wurde mit sehr knapper Mehrheit verabschiedet – Vizepräsidentin Kamala Harris, nun die demokratische Präsidentschaftskandidatin, entschied beim Patt von 50 zu 50 im Senat.

Das ist eine beachtliche Summe, und sie könnte noch wachsen: Die Ausgaben sind aufgrund der Struktur der Förderinstrumente praktisch unbegrenzt. Erfüllen genügend Projekte die Kriterien, könnte die Gesamtsumme am Ende sogar näher bei 800 Milliarden US-Dollar liegen. Das Geld stünde für die rasche Umrüstung von Häusern und Büros zur Verfügung. Eine Zukunft mit Wärmepumpen, Induktionsherden und Elektromobilität ist nun eine realistische Perspektive.

Doch die Herausforderungen sind riesig: In den USA gibt es 140 Millionen Häuser und Wohnungen. Sind wir nicht schnell genug, versorgen wir am Ende mit sauberer Energie einen kaputten Planeten. Entscheidend ist daher das Tempo: Gelingt es uns, mit dem physikalischen Wandel Schritt zu halten? Womöglich sind die maßgeblichen Zahlen solche wie:

Der Temperaturrekord des Landes wurde um 4,5 Grad Celsius überschritten – einige Forschende äußerten daraufhin die Befürchtung, wir seien in eine neue Phase der Erderwärmung eingetreten. Diese Überzeugung verstärkte sich sogar im Sommer 2023, als noch tödlichere Hitzewellen China und den indischen Subkontinent erreichten. Oder 780 Prozent – so viel von der durchschnittlichen Jahresniederschlagsmenge fiel in Teilen Pakistans im Jahr 2022 binnen weniger Wochen.

49,6°

So heiß wurde es in Kanada im Sommer 2021

Ein Regensturm epischen Ausmaßes, der die Lehmhäuser der Menschen wegspülte. Oder 313 Milliarden US-Dollar – so hoch war der wirtschaftliche Schaden durch klimabedingte Katastrophen im Jahr 2022.

Wir leben in einer Welt, in der die Vernunft – auch die wirtschaftliche – uns zwingt, so schnell wie möglich auf saubere Energie umzusteigen. Doch Trägheit und Eigeninteressen stehen dagegen. Ob diese Blockade durchbrochen wird, hängt von Faktoren ab, die kaum messbar sind: einer Mischung aus Angst, Hoffnung, Empörung und Solidarität. Diese Faktoren bestimmen den nötigen politischen Willen. Dass er entsteht, ist keineswegs sicher – entscheidend ist, dass wir uns dafür einsetzen.

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 6.24 "Das ist das Letzte". Das Greenpeace Magazin erhalten Sie als Einzelheft in unserem Warenhaus oder im Bahnhofsbuchhandel, alles über unsere vielfältigen Abonnements inklusive Prämienangeboten erfahren Sie in unserem Abo-Shop. Sie können alle Inhalte auch in digitaler Form lesen, optimiert für Tablet und Smartphone. Viel Inspiration beim Schmökern, Schauen und Teilen!

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