Bäuerinnen und Bauern bangen auch deshalb um ihre Existenz, weil die Bodenpreise explodieren. Der Frust entlädt sich in wütenden Protesten – und die dringend nötige Agrarwende ist in Gefahr.
Die klapprige Tür zum alten Fachwerkhaus hat keine Klinke, Denis Hahn muss sie mit einer Zange öffnen. Die fehlenden Reihen Bodenfliesen im ersten Zimmer links wollte er eigentlich heute noch verlegen – kaum vorstellbar, dass er in wenigen Tagen mit seiner Frau und den drei Kindern hier einzieht. Die junge Familie hat sich auf die Aufzucht männlicher Kälber von Biomilchbetrieben spezialisiert. Nun muss sie ihren bisherigen Hof zwischen Bodensee und Schwäbischer Alb verlassen, weil der Pachtvertrag nach acht Jahren nicht verlängert wurde.
Hof Berenberg, das künftige Zuhause der Familie, liegt ganz in der Nähe. Dass sie hier bald wohnen und arbeiten, ist alles andere als selbstverständlich. Denn eine Übernahme außerhalb der Familie, ohne den Hof zu erben, ist teuer. „Den Kauf der Gebäude und die nötige Kernsanierung können wir mit einem Kredit finanzieren“, sagt Hahn. „Den Preis für die knapp zehn Hektar Grün- und Ackerland, die zum Hof gehören, hätten wir allein nicht stemmen können.“ Möglich machen das Unterstützerinnen und Unterstützer.
Familie Hahn hatte Glück – viele andere nicht. Seit 1995 hat sich die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland auf 263.000 mehr als halbiert. Gleichzeitig werden die verbleibenden Betriebe immer größer. „Die Politik nennt das Strukturwandel“, sagt Denis Hahn. „Aber letztendlich ist es ein Höfesterben.“
35.000 Euro kostete ein Hektar Agrarland in Baden-Württemberg zuletzt im Schnitt, in den Preishochburgen Bayern oder Nordrhein-Westfalen waren es sogar 80.000 Euro. Der steile Trend nach oben ist einer der Gründe für die tiefsitzende Existenzangst vieler Landwirte und Landwirtinnen, die zuletzt die wütenden Proteste gegen Subventionskürzungen befeuerte.
Bundesweit haben sich die Kaufpreise seit 2005 verdreifacht. Kaum anders sieht es bei Pachtpreisen aus. Der Grund: Der Boden, Basis unserer Lebensmittelversorgung, wird zur Mangelware. Jeden Tag gehen der Landwirtschaft etwa 54 Hektar allein für den Bau von Siedlungen, Gewerbegebieten und Verkehrswegen verloren – die Fläche von 77 Fußballfeldern. „Auch lässt sich mit dem Anbau von Mais für Biogas oder mit einer Fotovoltaik-Freiflächenanlage mehr Geld verdienen als mit der Produktion von Nahrungsmitteln“, sagt Andreas Tietz vom Thünen-Institut für Ländliche Räume. Das treibe die Pachtpreise in den umliegenden Gebieten in die Höhe. Hohe Preise wiederum machen Boden als Anlage für Investoren attraktiv, die mit Landwirtschaft eigentlich nichts am Hut haben.
Flächen als Finanzanlage
Die Landwirtschaft stellt das vor riesige Probleme. Existenzgründer und junge Landwirtinnen mit frischen Ideen haben kaum Zugang zu bezahlbarem Ackerland. Und etablierte Betriebe sehen sich gezwungen, Flächen zuzukaufen, um kostendeckend arbeiten zu können, was wiederum die Preise treibt. „Wachse oder weiche“ heißt es in der Branche – eine Entwicklung, die auch von der Agrarförderung der EU befeuert wird. Denn die wird zum größten Teil pauschal pro Hektar ausgezahlt – große Betriebe bekommen also insgesamt mehr. In der Folge liegt immer mehr Boden in den Händen weniger, inzwischen werden 62 Prozent der Äcker von nur 14 Prozent der Betriebe bewirtschaftet. Mehr als die Hälfte der Flächen ist im Besitz „nichtlandwirtschaftlicher Akteure“, oft ehemalige Landwirte und deren Erben, aber auch Kommunen und Kirchen.
Und: Immer wieder sichern sich Investoren riesige Flächen. Vor allem seit der Finanzkrise vor 15 Jahren mischen sie auf dem Bodenmarkt mit, insbesondere in den östlichen Bundesländern. Dort bewirtschaften große Agrarbetriebe teils mehrere tausend Hektar Land, ein Erbe der DDR. In diese Betriebe kaufen sich etwa Versicherer, Möbelkonzerne und Immobilienunternehmen ein, auch der Discounter Aldi ist dabei. Sie erwerben selten einzelne Flächen, sondern ganze landwirtschaftliche Betriebe oder Anteile daran. Die seien Millionen wert, sagt Andreas Tietz vom Thünen-Institut.
„Die Übernahme können sich nur Investoren und die großen industrialisierten Betriebe leisten.“ Für die Region hat das fatale Folgen. Denn die Gewinne fließen ab – zu den Firmensitzen in die Städte, meist im Westen der Republik.
Die Preisspirale sei eine Bedrohung für die Agrarwende, erklärt Reiko Wöllert von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), die sich für eine naturverträgliche Landwirtschaft jenseits der Konzerne einsetzt. Aufgrund der hohen Preise seien Bäuerinnen und Bauern gezwungen, größtmögliche Erträge aus dem Boden zu holen. „Das erhöht den Druck auf die Fläche, Bodengesundheit und Artenvielfalt leiden“, sagt Wöllert. Auch konventionell wirtschaftende Bauern beklagen, dass sie zwar gern mehr Fläche für die Regeneration des Bodens stilllegen oder Blühstreifen anlegen würden, sich dies aber selten leisten könnten. „Das ist eine Katastrophe“, sagt Wöllert. „Der Boden ist unsere Lebensgrundlage.“
Die Folgen der hohen Boden- und Pachtpreise für die Ökowende sind bislang wenig erforscht. Frank Eulenstein vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung bestätigt aber: „Die Preise lassen sich in vielen Fällen nicht mit Biolandwirtschaft finanzieren.“ Beim Wettbewerb um Flächen hätten Ökobetriebe oft das Nachsehen, insbesondere gegenüber Biogaserzeugern und „Veredelungsbetrieben“, wie in der Branche Fleischproduzenten genannt werden. Auch sie gehören zu den Preistreibern. In einigen Landkreisen im Westen Niedersachsens, Hochburgen der Schweinemast, kostet ein Hektar bereits bis zu 100.000 Euro.
Böden sichern für Bio
Zur Finanzierung ihres neuen Biohofs musste sich Familie Hahn Unterstützung von außen holen. Ihre Rinder brauchen Futter und Platz. Neugierig laufen sie Denis Hahn entgegen, als er den Stall betritt. Sie leben schon seit ein paar Monaten leben die Rinder auf dem neuen Hof, im Winter sind sie dort im Stall untergebracht und fressen hauptsächlich Heu von eigenen Wiesen. Die zehn Hektar Land, die zu Hof Berenberg gehören, wurden bisher konventionell bewirtschaftet. Hahn muss die Flächen nun über mehrere Jahre hinweg auf Bio umstellen, um sicherzustellen, dass sie keine Rückstände von Pflanzenschutzmitteln mehr enthalten.
„Das geht nur mit der Gewissheit, dass der Pachtvertrag nicht jederzeit gekündigt werden kann“, sagt Stephan Illi. Er hat vor zehn Jahren die „Kulturland Genossenschaft“ mitgegründet. Sie soll Boden langfristig und zu bezahlbaren Preisen für ökologische Landwirtschaft sichern. „Boden sollte wieder als Gemeingut und nicht als Quelle von Profit und Vermögensbildung behandelt werden“, sagt Illi. Die Idee: Bürgerinnen und Bürger erwerben Anteile der Genossenschaft. Die wiederum kauft Land und verpachtet es günstig und auf unbegrenzte Zeit an Bäuerinnen und Bauern – wie an Familie Hahn. Auf ähnliche Weise sichert die „BioBoden Genossenschaft“ Flächen für den Ökolandbau.
Solche gemeinwohlorientierten Initiativen sind aber noch eine Nische. Den eigentlichen Handlungsbedarf sehen Fachleute im Großen, etwa bei der Reform der EU-Agrarförderung – eine Abkehr von der Flächenprämie ist aber trotz jahrelanger Diskussionen nicht in Sicht. Das Netzwerk Neue Ökonomie fordert überdies Kommunen dazu auf, eigene Flächen nicht mehr an Höchstbietende zu verpachten, sondern an die mit den besten Umweltstandards.
Immerhin: Der Flächenfraß ist seit 2005 zurückgegangen, wenngleich der Trend zuletzt stagnierte. Bis 2030 soll der Verbrauch auf dreißig Hektar pro Tag sinken, so steht es in der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie. Die AbL fordert außerdem eine Verschärfung des Grundstücksverkehrsgesetzes. Dieses räumt Bauern schon jetzt ein Vorkaufsrecht für Äcker ein, hat aber viele Schlupflöcher – was die Investorenkäufe in Ostdeutschland ermöglicht. Zwischen Bund und Ländern laufen Gespräche, um die großen Deals zu regulieren – seit Jahren. „Dabei liegen in Brandenburg und Sachsen bereits sehr gute Gesetzesentwürfe vor“, findet Reiko Wöllert. „Sie würden Großkäufe per Obergrenze unmöglich machen.“
Auf Hof Berenberg ist die Familie froh, weiter eine Zukunft im Stall und auf dem Acker zu haben. Auch die Kinder sind mittlerweile eingetroffen, die Schule ist zu Ende. Der elfjährige Emil schnappt sich gleich eine Heugabel und verteilt das Futter an die Rinder. „Wir sind froh, dass die Kinder das alles miterleben können“, sagt Hahn. „Denn was ist schon wirksamer gegen die ökologischen Krisen als Biolandwirtschaft?“
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 2.24 "Böden". Das Greenpeace Magazin erhalten Sie als Einzelheft in unserem Warenhaus oder im Bahnhofsbuchhandel, alles über unsere vielfältigen Abonnements inklusive Prämienangeboten erfahren Sie in unserem Abo-Shop. Sie können alle Inhalte auch in digitaler Form lesen, optimiert für Tablet und Smartphone. Viel Inspiration beim Schmökern, Schauen und Teilen!