DPA Ticker
Heftige Kritik an Agrar-Kompromissen: Auf Kosten von Klima und Natur
«Systemwechsel» oder verpasste Chance? Die EU-Staaten haben sich auf eine gemeinsame Linie bei der Reform der Agrarpolitik verständigt. Landwirtschaftsministerin Klöckner sieht «stärkere Umwelt- und Klimaambition». Umweltschützer hingegen sind entgeistert.
Luxemburg (dpa) - Die mühsam erzielten EU-Kompromisse zur milliardenschweren Agrarpolitik der kommenden Jahre sind nach Ansicht von Umweltschützern völlig unzureichend. Klima- und Umweltbelange würden ungenügend berücksichtigt, teilten mehrere Organisationen am Mittwoch mit. Der Deutsche Bauernverband sprach hingegen von einem «tragbaren europäischen Kompromiss».
Die EU-Staaten hatten sich am frühen Mittwochmorgen nach fast zweitägiger Verhandlung auf eine gemeinsame Position der geplanten EU-Agrarreform geeinigt. Kurz zuvor hatte auch das Europaparlament Eckpunkte festgelegt. Beide Seiten werden in Kürze Verhandlungen miteinander aufnehmen. Eine endgültige Reform steht also noch nicht.
Für eine grünere Landwirtschaft sollen vor allem sogenannte Öko-Regelungen (Eco-Schemes) sorgen - ein Knackpunkt in den Marathon-Verhandlungen. Das sind Umweltmaßnahmen, die über die verpflichtenden Anforderungen für Bauern hinausgehen. Ursprünglich hatten etliche Staaten dies abgelehnt. Dem Kompromiss zufolge müssen die EU-Staaten nun künftig mindestens 20 Prozent der Direktzahlungen dafür reservieren. Erfüllt ein Landwirt sie, bekommt er zusätzliches Geld. So soll klima- und umweltfreundliche Landwirtschaft für die Bauern attraktiver werden.
In Deutschland wäre zusätzlich eine Milliarde Euro im Agrarbudget für die sogenannten Eco-Schemes vorgesehen, wie Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) sagte. Was genau Bauern dafür tun müssen, steht noch nicht fest. Es dürften vor allem Maßnahmen für den Artenschutz sein, etwa sogenannte Blühstreifen mit Blumen am Rand der Felder, um Insekten Nahrung zu bieten. Wer so etwas macht, kann dann Geld dafür beantragen - ob Biobauer oder konventionell arbeitender Landwirt.
Die EU-Kommission hatte 2018 eine umfassende Agrarreform für die Jahre 2021 bis 2027 vorgeschlagen. Mittlerweile gilt für die nächsten zwei Jahre eine Übergangsphase, so dass neue Regeln erst ab 2023 in Kraft treten würden. Das Budget für die Agrarpolitik ist der größte Posten im EU-Haushalt. Bis 2027 haben die EU-Staaten dafür rund 387 Milliarden Euro vorgesehen. Viele Landwirte sind auf die Zahlungen aus Brüssel angewiesen, fürchten aber zugleich neue Umweltauflagen. Umweltschützer hingegen fordern eine viel umwelt- und klimafreundlichere Agrarpolitik, auch angesichts des Artensterbens.
«Die heutigen Beschlüsse des EU-Agrarrates und die ersten Abstimmungen im Europaparlament sind enttäuschend», sagte Olaf Bandt, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland. «Die dringend notwendige Reform der EU-Agrarpolitik wird nicht grüner und gerechter - sie scheint im Gegenteil erneut zu scheitern.» Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, sagte: «Der Kompromiss zur Gemeinsamen Agrarpolitik geht auf Kosten des Klima-, Natur- und Tierschutzes.» Der WWF sprach davon, dass die «zerstörerische Subventionspolitik» fortgesetzt werde.
Auch Grünen-Chef Robert Habeck kritisierte die Einigung scharf: Die Beschlüsse «reichen hinten und vorne nicht, um die selbstgesteckten Ziele der EU zu erreichen und den Bäuerinnen und Bauern Sicherheit zu geben».
Klöckner sprach hingegen von einem «Systemwechsel» in der EU-Agrarpolitik. «Wir zeigen, dass eine stärkere Umwelt- und Klimaambition zusammengeht mit Ernährungssicherung und der notwendigen Einkommensstützung für die Betriebe», sagte sie. Weil Deutschland derzeit den Vorsitz der EU-Staaten innehat, leitete Klöckner die Verhandlungen.
Bereits am späten Dienstabend hatte das Europaparlament Eckpfeiler seiner Position für die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) festgelegt - und fordert für die Öko-Regelungen einen Anteil von mindestens 30 Prozent der Direktzahlungen. Seine endgültige Linie will das Parlament bis Ende der Woche festlegen. Anschließend könnten die Verhandlungen zwischen Parlament und den EU-Staaten beginnen.
Etliche EU-Staaten hatten die verpflichtenden Öko-Regeln im Laufe der Verhandlungen abgelehnt. Deshalb ging Klöckner in der Nacht zum Mittwoch mit einem Kompromissvorschlag in die Ministerrunde. Demnach ist nun unter anderem eine zweijährige «Lernphase» für die Öko-Regelungen vorgesehen. Sie soll sicherstellen, dass Geld aus diesen Umweltprogrammen für die EU-Staaten nicht verloren geht, falls das für die Öko-Regelungen vorgesehene Budget nicht ausgeschöpft wird. Zudem sollen die Länder auch Umweltleistungen, die in der sogenannten zweiten Säule erbracht werden, bei den Eco-Schemes anrechnen lassen können.
Neu ist dem Kompromiss zufolge auch, dass die Hauptstädte künftig nationale Strategiepläne erstellen müssen, die von der EU-Kommission genehmigt werden müssten. Darin sollen sie darstellen, wie sie eine Reihe vorgegebener Ziele erreichen wollen - etwa die Erhaltung der Natur, den Klimaschutz und die Sicherung der Lebensmittelqualität.
Der Deutsche Bauernverband hält die Kritik von Naturschützern, die ein «Weiter so» beklagten, für unbegründet. Dies entbehre «jeder Grundlage», teilte Bauernpräsident Joachim Rukwied mit. «Der Weg zu einer grüneren Agrarpolitik geht weiter und bringt für die Landwirte neue Herausforderungen, denen wir uns stellen.» Die bisherige Struktur der Agrar-Subventionen werde «deutlich verändert».
Bislang geht ein Großteil des Geldes in der sogenannten ersten Säule als Direktzahlungen an die Bauern. Die Summe richtet sich vor allem nach der Größe der bewirtschafteten Fläche - größere Höfe bekommen also besonders viel Geld. Ein kleinerer Teil des Geldes geht in der zweiten Säule unter anderem in die Entwicklung des ländlichen Raums.