Ab diesem Mittwoch, dem Equal Pay Day, werden Frauen in Deutschland für ihre Lohnarbeit bezahlt. Bis dahin arbeiten sie praktisch umsonst, denn der Zeitraum zwischen dem 1. Januar und dem 10. März steht symbolisch für die durchschnittliche Gehaltslücke zwischen Mann und Frau: 18 Prozent laut aktueller Zahlen des Statistischen Bundesamts. Ein Riesenunterschied, seit Jahren schon.
Überhaupt sind die Fortschritte in Richtung Gleichberechtigung in letzter Zeit eher trippelig als massiv – vom jüngst verabschiedeten Entwurf des Lieferkettengesetzes, das Frauenrechte und übrigens auch Umweltschutz nur sehr eingeschränkt einfordert, bis zum gescheiterten Versuch, einen höheren Frauenanteil in der Politik gesetzlich zu erzwingen. So hatte im Oktober 2020 – wie zuvor in Thüringen – das Brandenburger Verfassungsgericht das Paritätsgesetz gekippt. Es sah vor, dass Parteien bei künftigen Landtagswahlen ihre Listen mit gleich vielen Kandidatinnen wie Kandidaten besetzen müssen. Und erst im Februar dieses Jahr hatte das Bundesverfassungsgericht eine Wahlprüfungsbeschwerde von zehn Frauen zurückgewiesen, die die paritätische Besetzung von Wahllisten im Bundestag zum Ziel hatte.
Während Frauenverbände weiter für eine verbindliche Regelung für die Parlamente kämpfen wollen, fordern andere Stimmen die Parteien auf, selbst zu handeln. Der Vorschlag ruft im fränkischen Erlangen nur ein müdes Lächeln hervor, denn hier gehören quotierte Wahllisten schon lange zum guten Ton. „In Erlangen denken wir Gleichstellung von Anfang an mit, indem beispielsweise die Parteien ihre Wahllisten zum Großteil paritätisch besetzen“, schreibt die Gleichstellungsbeauftragte von Erlangen, Katharina Pöllmann-Heller. Sie sei wegen des Weltfrauentags am 8. März und „des Programms drumherum“ telefonisch schlecht zu erreichen, weswegen sie per E-Mail beschreibt, warum in Erlangen vielleicht nicht alles, aber doch einiges ein bisschen besser ist als im Rest von Deutschland.
So besteht der Erlanger Stadtrat zu 45 Prozent aus Stadträtinnen, bundesweiter Durchschnitt sind 27 Prozent. Im sogenannten Genderranking der Heinrich-Böll-Stiftung von 2017 belegte Erlangen den ersten Platz. Damals waren auch die zweite und dritte Bürgermeisterin weiblich und Frauen leiteten sämtliche Ausschüsse, bei denen nicht der Oberbürgermeister den Vorsitz hatte. Seit der Kommunalwahl letztes Jahr ist das zweite Bürgermeisteramt wieder männlich besetzt und nur noch ein Drittel der Ausschüsse stehen unter weiblicher Führung. Aber der Anteil weiblicher Stadträtinnen blieb stabil.
In der aktuellen Ausgabe des Greenpeace Magazins gehen wir auf eine Reise zu den vorbildlichsten Kommunen im Lande. Beim Thema Gleichstellung steigen wir in Erlangen aus – im bildhaften Sinne – und fragen den Oberbürgermeister, was in seiner Stadt richtig läuft und was nicht. Fangen wir mit dem Privaten an: Florian Janik (SPD) räumt ein, dass bei ihm Zuhause eine traditionelle Rollenaufteilung herrsche. „Oberbürgermeister ist kein 40-Stunden-Job. Ich habe definitiv einen geringeren Anteil an der Kindererziehung“, sagt er und sieht hier auch die entscheidende Hürde für Frauen, sich auf politische Ämter zu bewerben. „Wenn wir Frauen für Wahllisten angefragt haben, kam als häufigstes Gegenargument, es sei gerade eine schwierige Familienphase.“
Auf die Frage, woher denn der überdurchschnittliche Anteil von Stadträtinnen in Erlangen kommt, überlegt er kurz und sagt dann: „Das liegt daran, dass die drei großen Gruppierungen im Stadtrat, also CSU, SPD und Grüne, alle quasi paritätisch im Stadtrat vertreten sind. Bei der CSU sind es sieben Frauen von 15, bei der SPD fünf von elf und bei den Grünen sieben von elf.“
Auch wenn die CSU keine formale Quote hat, hatte sie bei der letzten Wahl sehr viel mehr Frauen auf aussichtsreiche Positionen gesetzt. Bei den anderen beiden Parteien hat die Quote Tradition. So ist die grüne Fraktion seit 1984 im Stadtrat vertreten und hat seitdem auch immer eine quotierte Wahlliste aufgestellt, bei der mindestens jeder zweite Platz mit einer Frau besetzt ist, die SPD tritt seit 1990 mit solch einer Liste an. Und auch andere Strukturen zur Frauenförderung sind fest in der Geschichte von Erlangen verankert. 1986 startet die Gleichstellungsstelle, als zweite in ganz Bayern. Und auch Einrichtungen wie das Frauenhaus, das Frauenzentrum sowie der Frauennotruf sind in dieser Zeit entstanden – alles unter dem Erlanger Motto „offen aus Tradition“ – und heute noch aktiv.
Neben der frauenpolitischen Tradition und dem gleichstellungspolitisch engagierten Stadtrat führt die Gleichstellungsbeauftragte Pöllmann-Heller noch jüngere Entwicklungen an, wie Awareness-Arbeit, Maßnahmen gegen Sexismus und regelmäßig stattfindende Netzwerktreffen für Frauen sowie ein Fachforum zu emanzipatorischer Mädchenarbeit. Und auch wichtig: männliche Solidarität. So habe Erlangen einen Oberbürgermeister, der die Arbeit zur Geschlechtergerechtigkeit voll unterstütze.
Dieser erklärt das gute Abschneiden von Erlangen bei Gleichstellungsfragen mit den kontinuierlichen Strukturen bei der Frauenförderung und hebt die Strahlkraft von Frauen in Führungspositionen hervor. „Wir haben eine lange Liste von Bürgermeisterinnen, die als Vorbilder gezeigt haben, dass Frauen den Job genauso gut machen können – und das in Zeiten wie den Siebzigerjahren, als das noch sehr komisch beäugt wurde“, so Janik. Wenn seine Frau sein Amt innehätte, könnte sich der aktuelle Oberbürgermeister gut vorstellen, einen Großteil der Arbeit zu Hause zu übernehmen. „Ich habe die Elternzeit mit den Kindern jedes Mal sehr genossen“, sagt Janik und schiebt nach: „Das waren insgesamt zehn Monate bei zwei Kindern.“ Dann eilt er zum nächsten Termin.
Beim Oberbürgermeisteramt sieht es in Deutschland besonders mau in punkto Gleichstellung aus, der Anteil der rund 11.000 Städte und Gemeinden, die von einer Frau geführt werden, ist sogar nochmal gesunken: von elf Prozent im Jahr 2015 auf neun Prozent 2020. Auch Erlangen wird bis mindestens 2026 warten müssen, bis eine Oberbürgermeisterin regieren könnte. Erst in fünf Jahren finden die nächsten Kommunalwahlen statt.
Allerdings sieht Gleichstellungsbeauftragte Katharina Pöllmann-Heller auch Gründe, warum es Frauen weniger in die Kommunalpolitik zieht. Viele würden sich repräsentative Ämter aufgrund ihrer geschlechtsspezifischen Sozialisation nicht zutrauten. „Ein weiterer Grund sind männlich dominierte Netzwerke und bestimmte männlich geprägte Verhaltensweisen, die abschrecken“, schreibt Pöllmann-Heller und ergänzt: „Sexistische Strukturen gibt es auch in Erlangen, wie überall“.
Hierzu hat auch Kathrin Mahler Walther, Geschäftsführerin des Forschungsinstituts EAF Berlin, viel zu sagen. „Es geht auf jeden Fall um sexistische Strukturen. Es geht um die Art der Kommunikation. Es geht um Professionalität in der Kommunikation, um Wertschätzung, um Anerkennung und dass die Bemerkungen dazu eben nicht unter der Gürtellinie sind“, so Mahler Walther im Gespräch mit dem Greenpeace Magazin. Im letzten Jahr hatte die EAF mithilfe des Meinungsforschungsinstituts Forsa die bisher größte Umfrage in Deutschland zum Thema Frauen in kommunalpolitischen Führungspositionen vorgelegt und mit vielen Bürgermeisterinnen gesprochen.
Darin identifizieren sie als Ursache, dass der Anteil von Bürgermeisterinnen seit Jahren auf niedrigem Niveau stagniert, die erschwerten Bedingungen für Frauen in solchen Ämtern. So seien diese im Zuge ihrer Kandidatur stärker mit Widerständen konfrontiert (50 Prozent der Frauen und 37 Prozent der Männer) und müssten Vorbehalte aufgrund ihres Geschlechts (27 Prozent der Frauen) erleben. Außerdem seien Bürgermeisterinnen in höherem Maße Beleidigungen und Bedrohungen (76 zu 67 Prozent) bis hin zu sexueller Belästigung (13 Prozent) ausgesetzt.
Laut Mahler Walther wird das Problem durch informelle Settings verstärkt, wie sie häufig mal abends nach der offiziellen Sitzung im Hinterzimmer oder in einer Kneipe stattfinden. „Da wird dann Bier getrunken und das gleitet dann schnell auf das Niveau eines Stammtischs ab, was häufig mit Sexismus und sexistischen Witzen verbunden ist. Das ist traditionell ein Rahmen, in dem Frauen nicht vorgesehen sind“, so die EAF-Geschäftsführerin.
Gegen eine hohe Frauenbeteiligung in der Kommunalpolitik arbeitet auch, dass die Arbeit im Stadtrat ehrenamtlich ist. Die Tätigkeit ist sehr fordernd und vor allem zeitintensiv, was schlecht mit einem Beruf, noch schlechter aber mit Beruf, Haushalt und Familie vereinbar ist. „Da Frauen den Großteil der privaten unbezahlten Fürsorgearbeit übernehmen, kann sich das indirekt auf ihre Zeitressourcen auswirken, und damit darauf, sich politisch zu engagieren“, so Gleichstellungsbeauftragte Pöllmann-Heller. Aber zumindest vom Equal Pay Day sind Stadträtinnen nicht direkt betroffen: Denn für Ehrenämter gibt es keinen Lohn, sondern nur eine Aufwandsentschädigung.
Ob Gleichberechtigung, Jugendbeteiligung oder die kleine Stromrevolution: Mit vielen Ideen gestalten Kommunen die Zukunft des Landes. Für unsere aktuelle Ausgabe haben wir uns auf die Reise gemacht, hier sind wir an einigen Stationen ausgestiegen und haben uns das Ganze mal genauer angesehen