Traditionell halten sich amerikanische Wissenschaftsmagazine mit Wahlempfehlungen zurück – doch auch das war bei der zurückliegenden Abstimmung zur US-Präsidentschaft anders. So gab die renommierte Zeitschrift „Scientific American“ erstmals in ihrer 175-jährigen Geschichte eine Empfehlung ab, das medizinische Fachblatt „The New England Journal of Medicine“ zog nach und rief ebenfalls dazu auf, eine zweite Amtszeit Donald Trumps zu verhindern.
Laura Helmuth ist seit März vergangenen Jahres Chefredakteurin des „Scientific American“, vorher hat sie in kognitiven Neurowissenschaften an der Universität U.C. Berkeley promoviert und als Wissenschaftsredakteurin für „The Washington Post“, „National Geographic“ und „Science“ gearbeitet. Im Gespräch mit dem Greenpeace Magazin erzählt sie, warum Joe Biden die richtige Wahl war und worauf es in der US-Politik jetzt ankommt
Frau Helmuth, der „Scientific American“ hat zum ersten Mal einen Präsidentschaftskandidaten unterstützt. Wie kam es dazu?
Wir haben uns zwar vorher auch schon politisch geäußert, etwa das Wettrüsten im Kalten Krieg kritisiert oder ein Plädoyer für Stammzellenforschung gehalten. Aber wir haben uns mit unseren Empfehlungen immer auf Sachthemen konzentriert – bis zu dieser Präsidentschaftswahl. Das war das erste Mal, dass es dabei auf eine so klare Entscheidung hinauslief: Für die Realität und gegen die Lüge!
Donald Trump war einfach nicht qualifiziert für den Job. Er hat immensen Schaden angerichtet, gerade auch in Umweltfragen und der Wissenschaft, hat Verschwörungsmythen und Fehlinformationen verbreitet und bei so vielen Themen gelogen. Wir hatten zwar schon andere Präsidenten, die bei Wissenschaftsthemen nicht geglänzt haben, wie George W. Bush, aber so eine Katastrophe wie Trump war selbst der nicht.
Und von Joe Biden versprechen Sie sich mehr?
Ja, er war schon in der Regierung von Barack Obama für seine Pro-Wissenschafts-Haltung bekannt, hat gute Leute berufen und sich für eine Politik auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse ausgesprochen. Wenn Biden hält, was er verspricht, wird er mit seinem Engagement für Gesundheit, Klimaschutz und Wissenschaft einiges reparieren können, was Trump in den Sand gesetzt hat.
Sie nennen Umweltschutz und Wissenschaft in einem Atemzug, muss man diese beiden Bereiche zusammen denken?
Das wird besonders beim Klimaschutz deutlich. Die wissenschaftlichen Belege für den menschengemachten Klimawandel sind erdrückend. Genauso wie die Belege dafür, dass wir massive Änderungen, beispielsweise in der Energieversorgung, sofort umsetzen müssen. Wenn nicht, werden die Folgekosten, auch in wirtschaftlicher Hinsicht, immer weiter steigen. Alle wissenschaftlichen Erkenntnisse deuten darauf hin, dass dies das wichtigste Thema der Menschheitsgeschichte wird. Wer den Klimawandel leugnet, leugnet damit auch Wissenschaft an sich.
Welche konkreten Schäden an Wissenschaft und Umwelt hat die Trump-Regierung hinterlassen?
Wissenschaft ist so ziemlich das Internationalste, was Menschen machen. Labore weltweit tauschen Ergebnisse aus, Forschende treffen sich auf Konferenzen und arbeiten zusammen an Projekten. Aber dieser Austausch hat unter Trump gelitten: Eine seiner ersten Amtshandlungen war es, die Einwanderung aus muslimischen Ländern einzuschränken. Und wegen seiner rassistischen und homosexuellenfeindlichen Haltung haben sich viele Forschende in den USA nicht mehr willkommen gefühlt – und gingen lieber nach Kanada, Deutschland oder Australien.
Hatte Trump auch Einfluss auf die Inhalte der Forschung?
Ja, die Regierung hat Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den USA direkt daran gehindert, bestimmte Forschung zu betreiben oder Ergebnisse zu publizieren. Zum Einen gibt es bei uns eine Menge Institutionen, die viel Macht im Wissenschaftsbetrieb haben, wie die Environmental Protection Agency, also die Umweltschutzbehörde, und das Innenministerium. Hier hat Trump Leute eingesetzt, die gegen Umweltschutz und wissenschaftliche Standards gearbeitet haben – wie Scott Pruitt, der als Leiter der EPA Öl- und Gasbohrungen in Schutzgebieten vorangetrieben und Maßnahmen gegen Luftverschmutzung zurückgenommen hat.
Zum Anderen gab es nach Trumps Amtsübernahme den sogenannten „chilling effect“, das ist eine Art Selbstzensur: Forschende, die staatliche Gelder beantragt haben oder bei der Regierung angestellt waren, haben bestimmte Wörter wie Klimawandel und Abtreibung einfach nicht mehr verwendet, um keine Karrierenachteile zu erleiden.
Welchen Einfluss hatte das auf die Bevölkerung? Denken Sie, dass diese wissenschaftlichen Erkenntnissen vertraut? Oder hat Forschung jetzt ein Imageproblem?
Ich glaube, die Mehrheit der Leute steht heute Wissenschaft sogar ein bisschen wertschätzender gegenüber als vorher. Das hat angefangen, direkt nachdem Trump gewählt wurde. Ich habe damals noch bei der Washington Post gearbeitet. Hier hatten wir plötzlich viel mehr Zugriffe auf unserer Seite, besonders bei den Klimageschichten stieg das Interesse enorm. Wissen Sie, unter Obama grassierte so eine Bequemlichkeit, weil die Menschen gedacht haben, die Regierung wird sich schon um die ganzen Probleme mit Klima, Umwelt, Gesundheit und so weiter kümmern. Aber unter Trump ging das nicht mehr, da haben die Leute realisiert, dass die Wissenschaft in Gefahr ist und sie sich engagieren müssen. Der klarste Ausdruck davon war der „March for Science“, wo Menschen weltweit, aber besonders in den USA, durch die Straßen zogen, um zu zeigen, dass sie an Forschung, Fakten und Wissen glauben. Das war das erste Mal, dass es das Bedürfnis gab, für die Realität zu demonstrieren. Und die Pandemie hat klar gezeigt, dass es Menschen umbringen kann, wenn man die Realität ignoriert.
Aber wenn die Realität so umstritten ist, muss es ja auch andere Meinungen geben, oder nicht?
Es gibt eine Minderheit, aber eine stetig wachsende, die beispielsweise glaubt, dass die Erde eine Scheibe sei oder dass eine Elite ihnen den Klimawandel und die Pandemie nur einzureden versucht oder dass es einen Komplott gegen Trump gab und er deswegen die Wahl verloren hätte. Sozialwissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass ein Großteil der Fehlinformationen direkt von Donald Trump und dem Weißen Haus kam oder von ihnen geteilt wurde, was zur Folge hatte, dass gerade seine Anhängerinnen und Anhänger es geglaubt und weiterverbreitet haben. So sind aus kleinen Mythen die ganz großen Lügengeschichten geworden.
Was denken Sie, wie kann die Wissenschafts-Community diese Leute zurückgewinnen?
Das ist eine gute Frage. Wenn jemand eine falsche Überzeugung hat, ist es sehr schwierig, diese zu korrigieren. Entscheidend ist, dass neue Informationen von Personen kommen, die man kennt und denen man vertraut. Außerdem ist es wichtig, alte Informationen mit neuen zu ersetzen. Also zu erklären, wo eine Fehlinformation herkommt und herzuleiten, was der aktuelle und korrekte Kenntnisstand ist, beispielsweise, dass Händewaschen alleine nicht gegen das Coronavirus hilft, weil sich herausgestellt hat, dass es nicht nur auf Oberflächen, sondern auch in der Luft überlebt – und dass deshalb das zusätzliche Tragen von Masken wichtig ist.
Aus Umfragen wissen wir, dass es in den letzten zehn, zwanzig Jahren einen Trend bei uns gibt: Demokratisch oder liberal eingestellte Menschen vertrauen wissenschaftlichen Erkenntnissen eher, während Konservative sehr viel skeptischer sind und die Wissenschaft aus politischen Entscheidungen heraushalten möchten. Und gerade in den vergangenen vier Jahren unter Trump hat sich diese Entwicklung verstärkt. Überraschend ist das nicht, schließlich hat Trump während seiner Amtszeit immer wieder Forschungsergebnisse in Zweifel gezogen, er hat quasi dazu aufgerufen, der Wissenschaft zu misstrauen.
Glauben Sie, dass mit der neuen US-Regierung alles besser wird?
Mit Biden sind wir gerade in den Flitterwochen, diese euphorische Anfangszeit, wo alle denken, es wird immer so wundervoll bleiben und nie Streit geben. Aber auch ohne die rosarote Brille sieht die Zukunft gut aus: So hat sich Biden verpflichtet, politische Entscheidungen immer auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse zu treffen und den neuen Leiter des US-Amtes für Wissenschaft- und Technologiepolitik, Eric Lander, an den Kabinettstisch geholt. Das ist ein sehr gutes Zeichen für die Wissenschaft, denn es ist entscheidend, welche Leute im Raum sind, wenn die große Politik gemacht wird. Einige Fehler aus Trumps Amtszeit hat die neue Regierung schon in ihren ersten Tagen rückgängig gemacht. So sind die USA wieder dem Pariser Klimaschutzabkommen beigetreten, Biden hat angeordnet, keine neuen Genehmigungen für Öl- und Gasbohrungen auf bundeseigenem Land auszustellen, den Mauerbau an der mexikanischen Grenze gestoppt und das Ölpipeline-Projekt Keystone XL eingefroren. Auch künftig will er einen Fokus auf Umweltprobleme setzen, wie die Langzeitfolgen von Treibhausgasemissionen, globale Ausmaße und soziale Folgen von Umweltzerstörung und Artenvielfalt.
Ist Biden also wirklich die beste Wahl als US-Präsident oder einfach nur die bessere Alternative zu Trump?
Vielleicht war er nicht die erste Wahl der meisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, das war eher Elizabeth Warren, weil sie progressiver ist und wirklich sehr klug. Aber eine Sache muss man Biden zugutehalten: Er lernt aus der Vergangenheit. Er ist über die Jahre immer progressiver geworden, das hat sich gerade im letzten Wahlkampf gezeigt.
Jetzt muss er erstmal den Schaden der Vorgängerregierung beheben, die internationalen Beziehungen wiederaufbauen, den Wissenschaftskurs der Regierung auf Linie bringen. Und dann muss er einlösen, was er versprochen hat: Nicht nur den Status quo der Obama-Regierung wiederherstellen, sondern darüber hinausgehen. Umweltschutz, Gesundheit und Wissenschaft zur Priorität seiner Regierung machen und gerade Klimaschutz aggressiver angehen.
Was denken Sie, wird er das schaffen?
Ja, ich denke, er kann schon einiges in den ersten Jahren umsetzen. Mit Präsidialverordnungen lässt sich viel erreichen und er kann bei Gesetzesvorhaben auf den Kongress setzen, wo er zumindest für die nächsten zwei Jahre faktisch die Mehrheit hat. Auch in der Bevölkerung lässt sich in Umfragen eine große Unterstützung für Maßnahmen gegen Klimawandel und Pandemie erkennen. Also hoffe ich, Biden findet einen Weg, seine Politik so nachhaltig umzusetzen, dass kein neuer Donald Trump einfach ankommen und alles wieder kaputt machen kann – so wie damals nach Obama.
Aber was mich wirklich optimistisch stimmt, ist, dass der neue Präsident wirklich gute und erfahrene Leute an seiner Seite hat, die wissen, wie man den Job erledigt. Außerdem hat er sich selbst sein ganzes Leben lang auf diese Aufgabe vorbereitet. Ich glaube, Joe Biden ist startklar.
Donald Trump versus Joe Biden – die zurückliegende Präsidentschaftswahl in den USA war an Dramatik kaum zu überbieten. Es ging um die ganz großen Fragen: Wie geht es mit der amerikanischen Demokratie weiter, was zählen dabei Menschenrechte und Umweltschutz und auf welcher Grundlage werden künftig politische Entscheidungen getroffen? Hier finden Sie unsere Beiträge zum Thema