Claire Thomas, 34, stammt aus Großbritannien und studierte Politik, bevor sie Fotografin wurde. Die ersten Aufnahmen eines Konflikts machte sie in Israel. Sie lebt in Erbil im Irak. Im Gespräch mit dem Greenpeace Magazin erzählt Claire Thomas, was sie mit ihrer Kriegsfotografie bewirken möchte.
Frau Thomas, Sie waren in Mossul, während ein internationales Militärbündnis die Terrororganisation IS aus der Stadt vertrieb. Viele Ihrer Bilder zeigen verletzte Zivilisten in einer Krankenstation. Wie sind sie entstanden?
Das war in den letzten drei Wochen der Schlacht. Ich war jeweils fünf Tage am Stück in einer mobilen Klinik der irakischen Armee, die dort mit zwei NGOs zusammenarbeitete. Die Klinik lag einen Kilometer hinter der Frontlinie, man hörte die Bomben in der Nähe einschlagen. Zu Dutzenden wurden schwerverletzte Menschen gebracht, die zuvor vom IS in der Altstadt von Mossul monatelang als Geiseln festgehalten worden waren. Viele waren nach all der Zeit ohne ausreichend Wasser und Nahrung nicht nur verletzt, sondern auch körperlich geschwächt. Mich hat beeindruckt, wie ruhig und professionell die Ärzte und Pfleger der US-Organisation „Global Response Management“ und ihre slowakischen Kollegen von der „Academy of Emergency Medicine“ rund um die Uhr arbeiteten.
Sie konnten trotz ihrer begrenzten Mittel viele Leben retten. Die Ärzte versorgten auch das kleine Mädchen mit dem Kopfverband. Was ist ihm widerfahren?
Das Mädchen wurde durch eine Bombenexplosion verletzt und kam gleichzeitig mit Dutzenden anderen in die mobile Klinik. Es hatte schwere Verbrennungen am Arm und Granatsplitter im Gesicht. Das war nicht lebensgefährlich, aber das Kind war tief traumatisiert. Die Kleine hat nicht einmal geweint, als die Ärzte ihr den Verband anlegten. Sie wurde schließlich in ein Krankenhaus außerhalb der Kampfzone gebracht. Was danach mit ihr passiert ist, weiß ich nicht.
Sie hätten als Fotografin überall hingehen können. Wie sind Sie darauf gekommen, ausgerechnet in die Gebiete des IS zu reisen und dort zu arbeiten?
Das war Zufall. In den Monaten zuvor war ich in Calais in Frankreich und in Griechenland gewesen, um die Flüchtlingskrise zu fotografieren. Dort habe ich viele Iraker kennengelernt. Und ich habe mich gefragt: Wie sehen die Gesellschaft und das Land aus, aus dem diese Menschen kommen? Am Anfang hatte ich nicht vor, an die Front zu fahren. Ich wollte in den Flüchtlingslagern in Kurdistan arbeiten. Doch dann haben mich Journalisten mit nach Mossul genommen. Und ich merkte: Das ist es, was ich machen will.
Wie gehen Sie mit der Gefahr um, die Ihre Arbeit mit sich bringt?
Ich bin mir dessen bewusst und akzeptiere die möglichen Konsequenzen. Aber ich gehe nie ein unnötiges Risiko ein. Nach Mossul sind wir immer mit einem sogenannten Fixer gefahren, einem lokalen Journalisten oder Fahrer, der sich sehr gut auskennt. Natürlich gab es gefährliche Situationen, doch für mich war es das Risiko wert: nicht nur, weil mir diese Arbeit gefällt, sondern vor allem, weil ich sie enorm wichtig finde.
Worin sehen Sie Ihre Aufgabe als Kriegsfotografin?
Ich möchte Aufmerksamkeit erzeugen. Auch wenn es weit weg scheint – dieser Krieg geht auch uns in Europa etwas an. Viele europäische Staaten waren daran beteiligt, den Islamischen Staat aus dieser Region zu vertreiben. Der Fokus meiner Arbeit lag auf den Zivilisten. Mit Soldaten zeigt man die heroische Seite des Krieges – aber es gibt eben auch eine andere. Bei jedem Luftangriff sterben ganz normale Menschen, darunter viele Frauen und Kinder. Denen möchte ich ein Gesicht geben.
Sie kennen Mossul aus der Zeit des Kriegs und aus der Zeit nach dem Abzug des Islamischen Staates. Welchen Eindruck haben Sie von der Stadt?
Während der Schlacht war es bizarr: eine Großstadt von normalerweise zwei Millionen Einwohnern, die völlig verlassen wirkte. Auf der Straße sah man nur Soldaten und einige flüchtende Zivilisten. Als wäre Mossul eine Hollywood-Kulisse. Überrascht hat mich dann, wie schnell im Osten der Stadt das Leben zurückgekehrt ist. Wenn ein Viertel befreit war, dauerte es nur wenige Tage, bis dort die ersten Geschäfte eröffneten. Nach so viel Krieg scheinen die Bewohner von Mossul nun vor allem eins zu wollen: nach vorne schauen und möglichst schnell zu einem friedlichen Alltag finden.
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