Wann ist viel zu viel? Wann wird aus Massentourismus Übertourismus? Und wo soll das alles enden – für die Drei Zinnen in Südtirol? Ein Bürgermeister, ein Hüttenwirtspaar, eine Tourismusdirektorin, ein Förster und ein Mitarbeiter des Naturparks sprechen über Coffee-to-go-Wünsche im alpinen Gelände, das Verschwinden der Schneehühner und den zweifelhaften Schutzstatus „Unesco-Weltnaturerbe“.

Ein Mittwoch Ende März 2024. Vor dem Lokal „Drei Zinnen Blick“ in Toblach, Südtirol, hält ein Reisebus aus der Schweiz. Gut sechzig Menschen steigen aus und stellen sich eilig für ein Foto vor die Bergkulisse, die dem Lokal seinen Namen gegeben hat. Dann steigen sie wieder in den Bus, der sogleich in Richtung Venedig davonfährt. Sechs Menschen aus dem Ort haben die Szene beobachtet. Sie sind heute hier im „Drei Zinnen Blick“, um über jene Berggipfel zu sprechen, die zum Aushängeschild ganz Südtirols geworden sind: die Drei Zinnen. Noch sind sie mit Schnee bestäubt. Deshalb haben alle Beteiligten Zeit für dieses Gipfeltreffen. Im Juni, wenn die Sommersaison beginnt, wird die Ruhe Tausenden Gästen pro Tag weichen.

Greenpeace Magazin: Sie sind alle in der Gegend aufgewachsen. Wie waren die Drei Zinnen in Ihrer Kindheit?

Wolfram Egarter, Förster: Daran kann ich mich noch genau erinnern. In den Achtzigerjahren sind wir mit der Schule zu Fuß hinauf. Ich weiß noch, wie auf einmal diese riesigen Bergspitzen vor uns standen. Es war unglaublich beeindruckend.

Martin Rienzner, Bürgermeister: So empfand ich es auch. Meine Eltern vermieteten damals ein paar Zimmer, ich bin das erste Mal als Kind mit unseren Urlaubsgästen zu den Zinnen.

Josef Stauder, Hüttenwirt: Mitte der Siebziger, im Alter von etwa zehn Jahren, habe ich unter den Drei Zinnen einen Sommer lang geholfen, Kühe zu hüten. Auf der Alm, die wir heute bewirtschaften, stand damals eine urige Baracke mit Blechdach. Der Hirte hatte eine Milchkuh dabei und verkaufte durstigen Wanderern ein Glas Milch. Morgens stieg er auf einen erhöhten Punkt, um nachzusehen, wie viele Menschen unterwegs waren. Waren es viele, streckte er die Milch mit etwas Wasser.

Bei der touristischen Erschließung der Dolomiten spielten die Zinnen zuerst keine große Rolle. Das Interesse galt anderen Gipfeln, zum Beispiel der Marmolata, der mit 3343 Metern höchsten Spitze. Heute sind die Drei Zinnen DAS Symbol Südtirols. Wie kam es dazu?

Kathrin Tschurtschenthaler, Direktorin des Tourismusvereins: In Touristikkreisen sagte man vor 15 Jahren noch: Die Drei Zinnen sind bekannt, aber nicht so beliebt. Sie zu besteigen ist schwierig. Der Boom heute ist darauf zurückzuführen, dass sie seit 2009 Unesco-Weltnaturerbe sind. Und natürlich haben die sozialen Medien einen großen Teil dazu beigetragen.

Bürgermeister Rienzner: Das Foto der drei Spitzen ging um die Welt und löste bei vielen den Wunsch aus, sie einmal im Leben selbst vor Ort gesehen zu haben. Für mich vergleichbar mit dem Ayers Rock, dem Uluru, in Australien.

Hüttenwirt Stauder: Katharina und ich waren in Patagonien. Was ihre Schönheit betrifft, sind die drei Granitnadeln der Torres del Paine oder der Cerro Torre dort unseren Zinnen hier absolut ebenbürtig. Für das Bergerlebnis muss man dort aber mehrere Tage unterwegs sein, das ist bei uns völlig anders. Das Gebiet an sich ist sehr leicht zugänglich.

<p>GIPFELTREFFEN IM PUSTERTAL Die vom Greenpeace Magazin geladene Runde versammelt sich im Hotel „Drei Zinnen Blick“ bei Toblach, das außerhalb der Saison geöffnet hat. Es ist der einzige Ort im Tal mit Aussicht auf die populäre Felsformation</p>

GIPFELTREFFEN IM PUSTERTAL Die vom Greenpeace Magazin geladene Runde versammelt sich im Hotel „Drei Zinnen Blick“ bei Toblach, das außerhalb der Saison geöffnet hat. Es ist der einzige Ort im Tal mit Aussicht auf die populäre Felsformation

Die Unesco kam vor 15 Jahren zu dem Schluss, die landschaftliche Schönheit sowie die geologische und geomorphologische Bedeutung der Dolomiten seien einzigartig. Seither stehen sie in der Liste des Weltnaturerbes der Menschheit. Was hat sich seitdem verändert?

Förster Egarter: Die Gäste sind heute internationaler, viele kommen aus dem asiatischen Raum.

Katharina Riegler, Hüttenwirtin: Früher beschränkte sich die Hauptsaison auf Juli und August. Die außereuropäischen Gäste kommen vor allem im Juni und September, sodass der Ansturm jetzt vier statt zwei Monate lang konstant hoch ist.

Tourismusdirektorin Tschurtschenthaler: Die Dolomiten wurden in das „7-Tage-Italien-Erlebnisprogramm“ aufgenommen. Ich muss Venedig, Mailand und Rom gesehen haben – und mittlerweile eben auch die Dolomiten. Letztes Jahr hat mich die Beschwerde eines schweizerischen Paares erreicht. Die beiden waren vor zwanzig Jahren zuletzt hier und sind schockiert, wie negativ sich die Gegend in ihren Augen verändert hat.

Ist es heute überhaupt noch sinnvoll, die Region zu bewerben?

Tourismusdirektorin Tschurtschenthaler: In unserer Werbung sprechen wir explizit ein Wanderpublikum an: Menschen, die sich mit dem Berg auseinandersetzen wollen, die die Natur lieben. Seit Längerem lenken wir die Aufmerksamkeit auf die nicht überlaufenen Gebiete. Eine Nennung der Drei Zinnen und des Pragser Wildsees (Anmerkung der Redaktion: ein malerischer Bergsee rund zwanzig Autominuten von Toblach entfernt) vermeiden wir größtenteils. Nur werden die meisten Gäste nicht von uns, sondern über die zahlreichen Social-Media-Kanäle angesprochen, darüber haben wir keine Kontrolle.

Thomas Kiebacher, Naturpark Drei Zinnen: Laut einer Auswertung von Handydaten hielten sich 2022 ganze 52 Prozent aller Besucherinnen und Besucher nur ein bis zwei Stunden bei den Drei Zinnen auf. Unter jenen, die nicht in der Gegend übernachten, waren es sogar 79 Prozent! Vier Jahre vorher war das noch anders: 2018 lag der Kurzaufenthalt bei nur 15 Prozent.

Tourismusdirektorin Tschurtschenthaler: Die maximal zwei Stunden Aufenthalt finde ich schockierend. Das bedeutet, dass mehr als die Hälfte der Menschen nur kurz zu den Drei Zinnen hinauffährt. In kürzester Zeit wollen sie so viel wie möglich sehen und fotografieren. Wir erhalten oft Anfragen von Gästen, die am Vormittag zum Pragser Wildsee möchten und am Nachmittag zu den Drei Zinnen oder umgekehrt.

Was sagen Sie diesen Gästen?

Tourismusdirektorin Tschurtschenthaler: Wir raten dringend davon ab, beides an einem Tag zu machen. Wir regen dazu an, sich Zeit zu nehmen. Sonst ist es kein Erlebnis mehr.

<p>EINHEIMISCHE UNTER SICH Unsere Autorin Barbara Bachmann ist nahe den Zinnen aufgewachsen. Ihr Onkel hütete dort oben Kühe</p>

EINHEIMISCHE UNTER SICH Unsere Autorin Barbara Bachmann ist nahe den Zinnen aufgewachsen. Ihr Onkel hütete dort oben Kühe

Was ist der schnellste Weg zu den Drei Zinnen?

Tourismusdirektorin Tschurtschenthaler: Man kann einen Platz im direkten Bus buchen. Oder man fährt mit dem Auto bis zum Parkplatz an der Südseite der Drei Zinnen, wo auch der Bus hält, und zahlt für die Maut dreißig Euro. Von dort geht man zu Fuß weiter.

Hüttenwirt Stauder: Es hat sich herumgesprochen: Wer früh dran ist, kommt noch hoch. Aber das macht es für uns als Hüttenbetreiber immer schwieriger unsere frischen Sachen wie Brot, Milch oder Salat zu liefern.

Hüttenwirtin Riegler: Jedes Jahr beginnt der Andrang an der Mautstation morgens ein wenig früher. Mittlerweile müssen wir die Station schon um halb sieben passiert haben, sonst stehen wir zusammen mit den Touristen im Stau. Die Auffahrtsstraße zu den Drei Zinnen liegt nicht in Südtirol, sondern in der Nachbarregion Venetien. Betreiber ist die Gemeinde Auronzo di Cadore, welche auch die Mautgebühren kassiert.

Naturparkmitarbeiter Kiebacher: Der Kontrast ist verrückt. Auf der Nordseite befindet sich der Naturpark mit dem Postkartenmotiv, wegen dem all die Menschen kommen. Auf der Südseite geht eine Art Autobahn hinauf. Die rund tausend Parkplätze sind in kürzester Zeit besetzt.

Hüttenwirtin Riegler: Die Straße ist nicht Teil des Weltnaturerbes.

Förster Egarter: In den letzten Jahren hat neben den Autos auch die Anzahl der Wohnmobile enorm zugenommen.

Hüttenwirt Stauder: Ja, für uns ist das ein weiteres Problem. Denn einmal im Monat muss der Hubschrauber frühmorgens auf dem Parkplatz landen, um uns mit allem zu beliefern, was wir nicht im Rucksack zur Alm bringen können, wie Gas, Holz oder Bierfässer. Wenn dort Wohnmobile stehen, geht das nicht.

Wie sieht man in Auronzo di Cadore die Lage?

Naturparkmitarbeiter Kiebacher: Laut den Handyauswertungen reist ein Viertel der Gäste über diese Gemeinde an. Der Ort ist auch das beliebteste Ziel im Anschluss. Er ist ein Nutznießer der Situation.

Bürgermeister Rienzner: Wir führen mit der Gemeinde seit Jahren Gespräche. Unter anderem haben wir vorgeschlagen, den Preis für die Maut zu verdoppeln und nur noch halb so viele Autos hochzulassen. So würden die Einnahmen gleich bleiben bei deutlich weniger Verkehr. Aber ich habe den Eindruck, dass der Wille fehlt, etwas zu ändern.

<p>SCHÖNES SCHWERES WELTNATURERBE Katharina Riegler und Josef Stauder führen die Berghütte „Longolbe“, Langalm.</p>

SCHÖNES SCHWERES WELTNATURERBE Katharina Riegler und Josef Stauder führen die Berghütte „Longolbe“, Langalm.

Einige hier in der Runde haben sich zur Gruppe „Drei Zinnen – quo vadis?“ zusammengeschlossen. Warum?

Hüttenwirtin Riegler: Das Engagement ist maßgeblich von Dr. Stefan Mittich ausgegangen, einem im vergangenen November verstorbenen Tierarzt aus Toblach. Seine Tochter hatte einen Sommer lang bei uns gearbeitet. So erhielt er Einblick in die Realität vor Ort. Er war geschockt, dass das Naturerbe nicht geschützt und respektiert, sondern konsumiert wird. Ursprünglich sind wir auf Südtiroler Landesebene gestartet, aber es war bald klar, dass wir von politischer Seite keine Unterstützung erhalten. Also versuchen wir auf Gemeindeebene etwas zu unternehmen.

Um die Eintragung als Weltnaturerbe muss man sich bewerben. Wer hat das seinerzeit vorangetrieben, und gab es schon damals Kritik daran?

Bürgermeister Rienzner: Die Eintragung wurde von Seiten des Landes Südtirol forciert, und soweit ich mich erinnern kann, gab es keine Gegenbewegung. Die Menschen waren stolz, Weltnaturerbe zu werden. Der Hype war nicht absehbar.

Tourismusdirektorin Tschurtschenthaler: Ja, seit vielen Jahren bekommen Orte den Weltnaturerbestatus, und es hat dort keinen solchen Ansturm gegeben. Diesen haben meiner Meinung nach erst die sozialen Medien ermöglicht.

Welche Menschen kommen in die Hütte „Longolbe“?

Hüttenwirtin Riegler: Großteils ist es kein Wanderpublikum.

Hüttenwirt Stauder: Es passieren täglich die schrägsten Geschichten: Asiatinnen posieren im Hochzeitskleid vor der Bergkulisse. Viele bewegen sich mit Kinderwagen oder in Flipflops fort. Bei einem Wetterumsturz kann das im alpinen Gelände schnell gefährlich werden.

<p>NATURBURSCHE Thomas Kiebacher arbeitet beim Naturpark Drei Zinnen.</p>

NATURBURSCHE Thomas Kiebacher arbeitet beim Naturpark Drei Zinnen.

Und doch leben und profitieren Sie von den vielen Touristinnen und Touristen.

Hüttenwirtin Riegler: Ja, aber es sind zu viele Menschen, und diese vielen sind extrem gestresst, wenn sie bei uns ankommen. Sie haben vielleicht stundenlang im Stau gestanden, sich um einen Parkplatz raufen müssen, sind spät dran, gehen in einer Kolonne die Runde. Davon ausgenommen ist der kleine Teil, der vom Tal drei Stunden zu Fuß zu uns hochwandert.

Tourismusdirektorin Tschurtschenthaler: Das Problem ist, dass wir es nicht schaffen, dem Gast zu kommunizieren, dass das kein Spaziergang, sondern eine Bergtour ist. Der deutsche Gast ist gut ausgerüstet. Der italienische Gast ist mittlerweile auch ein Liebhaber seiner Berge geworden. Die Gäste aus dem asiatischen Raum sind kulturell vielleicht weniger ans Wandern gewöhnt und entsprechend weniger vorbereitet.

Hüttenwirtin Riegler: Moment, dem muss ich widersprechen! Die asiatischen Gäste sind oft overdressed für den Berg, zum Teil tragen sie sogar Gamaschen. Schlecht ausgerüstet sind oft die Italiener, die beim ersten Regentropfen panisch werden. Und vielleicht auch die Amerikaner.

Förster Egarter: Manchmal habe ich den Eindruck: Das, was uns zu viel erscheint, nehmen nicht alle Gäste ebenso wahr. Ihnen gefällt es trotzdem sehr gut.

Bürgermeister Rienzner: Es kommt darauf an, woher sie kommen. Die Menschen aus den Großstädten kennen es vielleicht nicht anders, viele sind an das Anstehen für die U-Bahn und eine laute Umgebung gewöhnt. Uns aber irritiert es.

Hüttenwirt Stauder: Die Gäste nehmen auch die Bedürfnisse aus der Stadt mit auf den Berg. Bei uns gibt es aber keine Pommes, Cola oder Coffee to go. Wenn wir das erklären, stoßen wir auf Unverständnis – als wären wir in einem Vergnügungspark.

Naturparkmitarbeiter Kiebacher: Viele Menschen scheinen nicht zu wissen, dass sie sich in einem Naturpark befinden.

Bürgermeister Rienzner: Angesichts der Situation am Parkplatz ist das nicht verwerflich: Die Toiletten riecht man von Weitem, der Stromgenerator geht auf Teufel komm raus, ganz in der Nähe verläuft eine Hochspannungsleitung. Ein Besucherzentrum gibt es dort nicht. Den Eingang zu einem Naturpark stelle ich mir anders vor.

Gibt es jemanden in der Runde, der denkt, die Entwicklung geht in die richtige Richtung?

Schweigen.

<p>BAUSTELLE BERGTOURISMUS Martin Rienzner ist seit 2020 Bürgermeister seines Heimatdorfes Toblach. Es hat 3400 Menschen und grenzt an die drei markanten Gipfel.</p>

BAUSTELLE BERGTOURISMUS Martin Rienzner ist seit 2020 Bürgermeister seines Heimatdorfes Toblach. Es hat 3400 Menschen und grenzt an die drei markanten Gipfel.

Oder ist es vielmehr anders herum?

Laut einer Studie der Universität Cà Foscari Venedig leiden die Einheimischen und die Natur zusehends unter dem Übertourismus.

Naturparkmitarbeiter Kiebacher: Ich frage mich, wie die Menschen es schaffen, Fotos zu machen, auf denen es so aussieht, als wären kaum Leute vor Ort. Dabei sind die Grenzen des Erträglichen weit überschritten. Im Durchschnitt haben wir mehr als 4000 Besucher täglich, an Spitzentagen im August knapp 10.000. Das Limit läge weit darunter. Und das wirkt sich auch auf die Fauna aus.

Hüttenwirtin Riegler: Die Murmeltiere haben sich mittlerweile an die Situation angepasst. Sie haben ihre Scheu verloren.

Förster Egarter: Die Murmeltiere schon, aber dort oben war eines der besten Gebiete für Schneehühner, sie haben sich fast vollständig zurückgezogen. Auch den Gämsen passen die Menschenmengen überhaupt nicht.

Bürgermeister Rienzner: Die Kläranlage der größten Berghütte im Gebiet, der Drei-Zinnen-Hütte, hat eine Kapazität für 3000 Menschen pro Tag. Wie wir wissen, reicht das nicht aus. Das Abwasser ist eines der größten Probleme vor Ort. Vor wenigen Tagen erreichte mich aber die Nachricht, dass 2024 endlich eine neue Kläranlage geplant und gebaut werden soll.

Gibt es außer Neubauplänen für die kommenden Jahre noch etwas anderes, das Ihnen Hoffnung macht?

Förster Egarter: Es liegt weniger Müll herum als früher, obwohl sich mehr Menschen im Gebiet aufhalten.

Tourismusdirektorin Tschurtschenthaler: Der Müll ist überschaubar, das stimmt. Schlimm sind aber die vielen Plastiksäckchen mit Hundekot, die unter Steinen vergraben werden. Das neue Bussystem wird sehr gut angenommen. Die Reservierung der Hinfahrt sichert einen Platz für die Rückfahrt.

<p>STEINE DES ANSTOSSES Vor 15 Jahren noch waren die Drei Zinnen nicht beliebter als der höchste Gipfel Marmolata. Als Welterbe wurden sie zur Ikone der Dolomiten. Rezeption im Hotel Drei Zinnen Blick.</p>

STEINE DES ANSTOSSES Vor 15 Jahren noch waren die Drei Zinnen nicht beliebter als der höchste Gipfel Marmolata. Als Welterbe wurden sie zur Ikone der Dolomiten. Rezeption im Hotel Drei Zinnen Blick.

Die Drei Zinnen sind einer von sieben Naturparks in Südtirol. Was ist dort offiziell verboten und passiert trotzdem?

Naturparkmitarbeiter Kiebacher: Die drei gängigsten Vergehen sind: Zelten, Drohnen fliegen lassen und Mountainbike fahren.

Förster Egarter: Vier bis fünf Zelte waren früher kein Problem. Es sind meist junge, naturbewusste Menschen, die keinen Müll hinterlassen. Aber in den letzten Jahren artete es aus, einmal zählten wir 65 Zelte in einer Nacht. Im Schnitt sind es bei gutem Wetter täglich zwanzig bis dreißig. Die Menge ist das Problem, all diese Menschen müssen zum Beispiel auch ihre Notdurft verrichten.

Hüttenwirt Stauder: Ich empfinde die Drohnenflüge als extrem störend. Morgens und abends, wenn wenig Menschen unterwegs sind, könnte man einen Moment lang die Ruhe genießen. Aber dann schwirrt irgendwo eine Drohne herum. Auch das Weidevieh wird dadurch gestört.

Hüttenwirtin Riegler: Ein Mitarbeiter von uns fand in einer Stunde Fußmarsch rund um die Hütte sechs oder sieben abgestürzte Drohnen. Wir haben sie auf eine Mistgabel gespießt und mit einem Begleittext vor unserer Hütte aufgestellt, als eine Art Mahnmal.

Werden die Verstöße denn geahndet?

Förster Egarter: Die Zelte kontrollieren wir sporadisch. Manche fallen aus allen Wolken, wenn wir hundert Euro Strafe verlangen. Sie zeigen uns Instagrambilder, mit denen diese Art des Übernachtens beworben werde. Drohnenflüge zu bestrafen ist noch nicht möglich, weil noch nicht feststeht, wie genau der Verstoß geahndet werden soll.

Naturparkmitarbeiter Kiebacher: Mein Problem ist, dass ich die Menschen lediglich ermahnen kann. Für die Personalien und die Strafe müsste ich die Förster oder Carabinieri holen.

Förster Egarter: Ständig hört man dort oben Hubschrauber fliegen. Für die Versorgung und Rettung braucht es sie. Aber für touristische Zwecke sollte man sie verbieten. Bisher sind solche Rundflüge erlaubt, wenn sie 500 Meter Abstand zum Gelände einhalten. Ansonsten stehen darauf 2000 Euro Strafe. Aber ein Vergehen nachzuweisen, ist nicht immer möglich.

<p>ZUR SACHE IN DER ZWISCHENSAISON Thomas Kiebacher darf als Angestellter des Naturparks Fehlverhalten nicht ahnden. Dafür müsste er die Carabinieri holen – oder den Förster. </p>

ZUR SACHE IN DER ZWISCHENSAISON Thomas Kiebacher darf als Angestellter des Naturparks Fehlverhalten nicht ahnden. Dafür müsste er die Carabinieri holen – oder den Förster. 

Was wären denn Lösungsansätze, um die Situation vor Ort zu entschärfen?

Hüttenwirt Stauder: Wir werden nicht um Zugangsbeschränkungen herumkommen, was bedeutet, weniger Autos hochfahren zu lassen. Menschen gehen zu Fuß, wenn man sie lässt – oder dazu zwingt.

Förster Egarter: Es braucht ein generelles Verbot von touristischen Hubschrauberflügen. Und weitere Kontrollorgane, die in dem Gebiet regelmäßig zirkulieren, die Menschen auf die Verbote hinweisen und notfalls auch Strafen verhängen können.

Hüttenwirtin Riegler: Notwendig sind Sensibilisierung und Information über das richtige Verhalten in einem Naturpark: in den Bussen, über Schilder, in einem Besucherzentrum direkt vor Ort.

Der erwähnte Dr. Stefan Mittich schrieb 2023 an die UNESCO und forderte Schritte, die auch in dieser Runde besprochen wurden. Seinen Brief schloss er mit den Worten: „Sollten solche Maßnahmen nicht umgesetzt werden oder nicht umgesetzt werden können, wäre es besser, den Dolomiten den Titel UNESCO-Weltnaturerbe abzuerkennen, sodass die Berühmtheit und Attraktivität des unter Schutz gestellten Gebietes nicht noch weiter zunehmen und dadurch das verloren geht, was man eigentlich schützen wollte.“ Hat er recht?

Förster Egarter: Wenn alles so bleibt, wird das ohnehin passieren. Die Zustände widersprechen den Kriterien der UNESCO.

Hüttenwirt Stauder: Ich teile die Aussage zu hundert Prozent. Die Auszeichnung war eine reine Marketingstrategie.

Tourismusdirektorin Tschurtschenthaler: Ich gebe euch recht. Sollte sich nichts ändern, wird die Auszeichnung aberkannt werden. Aber ich glaube, das ändert nichts mehr. Die Drei Zinnen sind zum Selbstläufer geworden.

Hüttenwirtin Riegler: Die Problematik, die wir an den Zinnen sehen, zeigt sich auch an vielen anderen Hotspots. Viele davon sind ebenfalls Weltnatur- oder Weltkulturerbe, etwa die Amalfiküste. Der Ort ist im Grunde austauschbar, die Probleme bleiben dieselben. Wir werden immer mehr Menschen auf der Welt und wir alle reisen gern. Wollen wir einen so besonderen Ort wie die Drei Zinnen zu etwas Elitärem machen, indem wir die Preise drastisch erhöhen? Oder soll er für alle zugänglich bleiben, da es sich ja um ein Welterbe handelt? Auf diese Fragen werden wir Antworten finden müssen.

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 5.24 "Mut". Das Greenpeace Magazin erhalten Sie als Einzelheft in unserem Warenhaus oder im Bahnhofsbuchhandel, alles über unsere vielfältigen Abonnements inklusive Prämienangeboten erfahren Sie in unserem Abo-Shop. Sie können alle Inhalte auch in digitaler Form lesen, optimiert für Tablet und Smartphone. Viel Inspiration beim Schmökern, Schauen und Teilen!

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