Am Rand von Städten und Dörfern wuchern Berge aus Hausmüll und Industrieabfällen, teils aus Nachbarländern importiert. Kriminelle machen Millionengeschäfte mit illegalen Müllhalden – mitten in Deutschland. Unsere Reporter sind dem in der Ausgabe 2.21 „Lokal Genial“ des Greenpeace Magazins nachgegangen und haben auf zwei Deponien Proben genommen. Die Ergebnisse sind alarmierend. Doch die Behörden bleiben seit Jahren untätig.
Meterhoch türmen sich vor uns die Müllberge. Zerfledderte Wurstverpackungen, ausgeblichene Trinkpäckchen, Autoreifen, Flaschen mit Motorkühlmittel, Bauschutt, stinkende, teils angeschmorte Gummiklumpen, rostige Batterien, mannshohe gestapelte Säcke voll ausgestanzter Plastikteile. Dazwischen verstreut liegen Kanister für Pestizide, einige mit dem Wirkstoff Glyphosat – in manchen schwappen noch Reste, andere wurden offenbar zerquetscht. Die aufgedruckten Gefahrgutkennzeichnungen sind noch zu erkennen: Achtung, ätzende Substanzen, leicht entflammbar, schädlich für Wasserorganismen, „fachgerecht entsorgen“. Doch fachgerecht ist hier nichts. Wir sind auf einer riesigen illegalen Deponie. Nicht in Malaysia oder Indonesien, wo man solche Bilder vielleicht erwartet – sondern am Ortsrand von Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern, fünfzig Kilometer südlich von Rostock. Ein anonymer Zeuge hatte die Behörden im Februar 2020 alarmiert, nachdem er auf dem brachliegenden Gelände nachts regen Lkw-Verkehr beobachtet hatte. Als die Polizei vor Ort eintraf, waren die Laster bereits verschwunden, ihre schmutzige Fracht aber blieb: Tausende Tonnen Müll, teils aus Haushalten, teils aus der Industrie. Güstrow ist nur ein Fall unter vielen. An unzähligen Orten in Deutschland türmen sich Abfälle mit teils giftigen Schadstoffen. Immer wieder machen einzelne Skandale Schlagzeilen: So hatte eine Recyclingfirma in Bayern auf ihrem Betriebsgelände jahrelang giftige Abfälle umdeklariert, um sie dann auf dafür nicht zugelassene Deponien zu bringen. In einer Tongrube in Nordrhein-Westfalen wurden Tausende Tonnen ölhaltige Produktionsabfälle aus einer Raffinerie illegal entsorgt. Ein Brennpunkt illegaler Müllgeschäfte ist Brandenburg. Allein in diesem Bundesland mit seinen Kiesgruben, Industrieruinen, LPG-Brachen und ehemaligen Militäranlagen haben wir in jahrelanger Recherche 127 illegale Deponien dokumentiert. Insgesamt rotten dort rund fünf Millionen Tonnen Müll vor sich hin. Das ist mehr, als die Einwohner der sieben größten deutschen Städte zusammen in einem Jahr an Abfällen produzieren. Geschätzte Kosten für Sanierung und Entsorgung: rund 500 Millionen Euro. Die Schäden für Mensch und Umwelt sind kaum zu ermessen.
Diese Umweltsünden sind möglich, weil skrupellose Müllschieber sich buchstäblich einen Dreck um Gesetze scheren, weil Behörden nicht genau hinschauen – und weil in Deutschland zu viel weggeworfen wird, mehr als 400 Millionen Tonnen Abfälle im Jahr. Beim Verpackungsmüll hat das Umweltbundesamt jüngst einen neuen Höchstwert vermeldet: 228 Kilogramm pro Kopf waren es im Jahr 2018. Zwar rühmt sich Deutschland für seine hochentwickelte Entsorgungsindustrie. Die Branche zählt mehr als 270.000 Beschäftigte in rund 11.000 Unternehmen, die siebzig Milliarden Euro jährlich umsetzen. Der Druck, die Abfallmassen zu entsorgen, sowie die hohen Kosten dafür machen Müll zu einem begehrten Stoff für Billigentsorger und Kriminelle. Sie bieten Lösungen zu Preisen an, die eine fachgerechte Entsorgung unmöglich machen. Wie und wo der Müll landet – und ob er Mensch und Umwelt vergiftet – , will dann meist niemand so genau wissen. Doch wir haben akribisch recherchiert. Mithilfe des Informationsfreiheitsgesetzes und des Umweltinformationsgesetzes haben wir Akten von Umwelt- und Ermittlungsbehörden gesichtet. Wir haben mit Ermittlern, Toxikologen und Staatsanwaltschaften gesprochen und im Handelsregister die komplexen Unternehmensstrukturen der Müllschieber durchleuchtet. Und wir haben zwei besonders problematische Müllhalden aufgesucht und dort Proben genommen.
Der Fall Güstrow
An einem grauen Novembermorgen betreten wir die illegale Deponie in Güstrow, auf der wenige Monate zuvor die Laster ihren Müll abgeladen haben. Das Gelände wirkt verlassen, keine Maschinen, keine Menschen. Der Wind hat bunte Plastikpartikel auf den angrenzenden Acker geweht, auf dem erste zarte Rapspflanzen sprießen. An die andere Seite des Geländes grenzen eine Kleingartenanlage und eine Obstplantage. Zur Straße hin schirmt ein Wall das rund sechs Fußballfelder große Areal vor neugierigen Blicken ab. Was aus der Ferne aussieht wie aufgeschütteter Kies, ist tatsächlich ein feines Granulat aus geschredderten Kabeln. Dabei dürfte hier nichts von all dem liegen. Das wissen wir aus Akten, die wir zuvor einsehen konnten: Dutzende interne Dokumente, darunter viele Seiten Korrespondenz zwischen Umweltbehörde, Ordnungsamt und Polizei. Demnach stellte 1994 eine Firma namens Industrieverpackung IVP einen Antrag bei der Bauaufsichtsbehörde Güstrow, um das Gelände, einen ehemaligen Getreidespeicher, „für die Lagerung von Altkunststoffen zu nutzen“. Noch heute zeugen zwei verfallene Silotürme von dem einstigen Lager. Solche Industriebrachen gab es nach der Wende überall in Ostdeutschland für günstiges Geld zu kaufen. Viele klamme Kommunen waren froh um jeden Käufer, der Gewerbesteuern und Jobs versprach. Die Firma IVP wollte auf dem Gelände in Güstrow Müll verarbeiten und weiterverkaufen. So zumindest stand es in ihrem Antrag. Die Behörde lehnte damals ab. Begründung: Das Grundstück befindet sich in einer Trinkwasserschutzzone, die zum Einzugsgebiet der nahegelegenen Stadt Rostock gehört. Da hatte die Firma aber bereits den ersten Müll abgeladen: Kunststoffabfälle und Hausmüll, insgesamt etwa 2000 Tonnen, rund achtzig Lkw-Ladungen. So wurde die Brache schon 1994 zur illegalen Deponie. Doch statt zu räumen, legte die Firma mehrmals Widerspruch gegen eine entsprechende Anordnung der Behörde ein. Das verschaffte ihr Zeit, zwei Jahre zog sich der Rechtsstreit hin, während auf dem Gelände umweltschädliche Abfälle herumlagen: Behältnisse für Frostschutzmittel, diverse Chemikalien zur Fotoentwicklung sowie Spezialreinigungsmittel für Kraftstofftanks, so geht es aus einem Schreiben der zuständigen Wasserbehörde von 1994 hervor. „Bei Regenwetter kommt es zu Abspülungen und damit zur Verunreinigung des Oberflächen- und Grundwassers. Damit ist eine Gefährdung des Trinkwassers für die Stadt Rostock gegeben.“ Die Behörde appellierte: „Es ist erforderlich, die Fläche sofort von diesen Materialien zu räumen.“
Auf Satellitenaufnahmen, die bei Google Earth frei zugänglich sind, sehen wir jedoch: Die rund 2000 Tonnen Müll aus den Neunzigerjahren waren erst der Anfang. Die Bilder zeigen, wie über die Jahre Abfälle angehäuft wurden. Vor Ort finden wir Verpackungen mit Mindesthaltbarkeitsdaten, die auf Lieferungen über einen langen Zeitraum hindeuten. Wir wollen wissen, wie groß die Gefahr für Mensch und Umwelt ist. Mit Kelle und Trichter füllen wir bräunliches Sickerwasser, das sich am Fuß der Müllberge in Pfützen sammelt, in Flaschen. Mit einer Handschaufel sammeln wir mutmaßlich kontaminierte Erde. Die Proben schicken wir zur Untersuchung ins Labor. Die Ergebnisse lassen wir von dem Toxikologen Edmund Maser von der Universität Kiel bewerten. Ihm fallen bei der Sickerwasserprobe vor allem die Werte für Quecksilber und Arsen auf. „Das sind giftige oder krebserregende Substanzen“, sagt er. Die Werte übersteigen die Grenzwerte der Bundesbodenschutz- und Altlastenverordnung etwa um das Vierfache. „Arsen ist ein Zellgift, das innere Organe schädigen kann. Außerdem ist es krebserregend“, erklärt Maser. „Von Quecksilber weiß man, dass es Nervenzellen schädigt und zu Missbildungen bei ungeborenen Kindern führen kann.“ Ob und wie stark das Grundwasser belastet ist, konnten wir mit unseren Proben nicht nachweisen. Dafür wären umfangreichere Tests notwendig sowie Bohrungen zur Probenentnahme aus tieferen Erdschichten. Toxikologe Maser sagt aber: „Wenn solche illegalen Mülldeponien lange genug bestehen, muss man damit rechnen, dass die Schadstoffe auch in eine tiefer liegende Grundwasserschicht sickern.“ Für ihn ist klar: „Eine illegale Mülldeponie in der Nähe eines Trinkwassereinzugsgebiets ist ein No-Go. Das ist unglaublich.“ Wir legen die Analyseergebnisse auch Manfred Santen von Greenpeace vor. Als Chemiker hat er ähnliche Untersuchungen auf Deponien in Malaysia durchgeführt. „Es ist erschreckend, dass auch hier in Deutschland solch unhaltbare Zustände existieren“, sagt er. „Dabei gehen wir Verbraucher davon aus, dass wir durch das Sortieren unseres Mülls die besten Voraussetzungen fürs Recycling oder zumindest die fachgerechte Entsorgung unserer Abfälle erfüllen.“
Die Deponie von Güstrow, die es nie hätte geben dürfen, existiert seit nunmehr 26 Jahren. Doch erst wegen der jüngsten Mülllieferungen von Anfang 2020 ermittelt die Staatsanwaltschaft Rostock. Kurz vor Veröffentlichung unserer Recherche teilt die zuständige Umweltbehörde mit, sie habe selbst auf dem Gelände Proben genommen. Insgesamt lagern dort heute nach ersten amtlichen Schätzungen 14.000 Tonnen Müll, die Behördenleiterin spricht uns gegenüber von „überwiegend gefährlichen Abfällen“. Geschätzte Kosten für die Sanierung: bis zu vier Millionen Euro. Wieso haben die Behörden nicht schon viel früher eingegriffen? Auf unsere Anfrage teilt die Behördenleiterin mit, dass 2015 eine „Vor-Ort-Kontrolle“ stattgefunden habe. Die Kontrolleure hätten damals „weniger als hundert Tonnen ungefährliche Abfälle“ vorgefunden. „Ein illegaler Anlagenbetrieb bestätigte sich nicht.“ Doch die Satellitenbilder lassen erkennen, dass zu dieser Zeit bereits deutlich größere Müllmengen auf dem Gelände gelegen haben müssen. Entscheidender noch: Es hätte überhaupt kein Müll auf dem Grundstück im Trinkwasserschutzgebiet lagern dürfen, wie die Behördenleiterin selbst bestätigt: Eine „Genehmigung für den Betrieb der Abfallentsorgungsanlage am Standort liegt nicht vor.“ Auf diesen Widerspruch geht die Behörde auf Nachfrage nicht ein.
Die Methoden der Müllschieber
Abfallkriminalität zählt zu den sogenannten Kontrolldelikten. Das bedeutet: Nur bei genauem Hinsehen fällt das Verbrechen überhaupt auf. Günstiger für den Staat wäre es, die illegalen Machenschaften frühzeitig zu erkennen und dagegen vorzugehen, als später auf den teuren Hinterlassenschaften sitzen zu bleiben. Doch Konsequenzen mit Abschreckungseffekt bleiben häufig aus. Strafen sind selten und wenn, dann oft mild. Zahlen etwa aus dem brandenburgischen Justizministerium für die Jahre 1994 bis 2015 zeigen: In neunzig Prozent ihrer Urteile beließen es Gerichte bei einer Geldstrafe. Es gibt keine Hinweise, dass sich daran etwas geändert hat. Erst vergangenen November wurde ein großer Müllprozess am Landgericht Potsdam gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt. Einer, der sich mit Ermittlungen zu illegaler Müllentsorgung auskennt, ist Harry Jäkel. Er leitet das Kommissariat „Schwere Umweltkriminalität“ beim Landeskriminalamt Brandenburg. Jäkel kennt die Tricks der Täter: Sie kassieren Annahmepreise für den Müll, doch statt aufzubereiten und zu entsorgen, häufen sie einfach an. Oder sie verschieben den Unrat weiter, manipulieren Frachtpapiere, weisen Lieferungen falsch aus, deklarieren etwa gefährlichen zu ungefährlichem Abfall um und kippen ihn dann illegal ab. Oder sie vermischen zum Beispiel Plastikmüll mit Gülle und Klärschlamm, um ihren Dreck sogar noch zu verwerten. „Scheinverwertung“ nennt Umweltkommissar Jäkel das.
Er bestätigt damit, was auch das Bundeskriminalamt in einem internen Papier, das uns vorliegt, berichtet. Darin aufgelistet sind 59 „Tatkomplexe“ mit illegalen Deponien in zehn Bundesländern. Der Bericht stammt zwar aus dem Jahr 2012, ist aber in wesentlichen Punkten noch aktuell. Damals wurde der Müll zum Beispiel auf längst geschlossenen Deponien und in ausgebeuteten Tagebauen verscharrt, in einem Fall für nur vier Euro pro Tonne. Im Durchschnitt legten die Müllschieber den Betreibern illegaler Deponien zwanzig bis dreißig Euro auf den Tisch – tatsächlich häufig in bar. Die fachgerechte Entsorgung in einer Müllverbrennungsanlage hätte sie bis zu 340 Euro pro Tonne gekostet. Von der Ersparnis profitierten Abfallproduzenten und Müllentsorger. Auch die Grubenbetreiber verdienten mit. Sie hätten ihre Löcher eigentlich nur mit harmlosen Materialien wie Schutt und Erde auffüllen dürfen, aber damit war offenbar kein großer Reibach zu machen. Mit richtigem Müll hingegen schon – in einigen Fällen Millionenbeträge. Das BKA verglich die Gewinne der Müllbarone mit den Profiten der organisierten Drogenkriminalität – und stellte fest: Dealen mit Müll ist lukrativer. Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel spricht von teils „bandenartigen Strukturen“. Ein Potsdamer Staatsanwalt sagte uns am Rande eines Strafverfahrens, man habe es gar mit „mafiösen Strukturen“ zu tun. Nach unseren Recherchen handelt es sich um ein Netz aus gewerblichen Unternehmen vom mittelständischen Betrieb bis zum Großkonzern. Ein eingespieltes System, in das Müllmakler, Spediteure und andere, mitunter dubiose Geschäftsleute verstrickt sind. Harry Jäkel vom LKA Brandenburg sagt, viele Täter agierten zwar innerhalb der Abfallwirtschaft legal. „Wenn sich aber die Möglichkeit ergibt, machen sie illegale Geschäfte“, so der Umweltermittler. Ein weiteres Problem: Jäkels Zuständigkeit endet an der Grenze von Brandenburg, die Müllschieber aber agieren national und international. Das zeigt sich auch im Fall Güstrow. Unter den anonymen Hinweisen, die den Behörden Anfang 2020 zugespielt wurden, ist auch ein brisantes Foto. Darauf zu sehen ist der Lkw einer niederländischen Spedition, direkt vor dem Einfahrtstor zur illegalen Deponie. Tatsächlich finden wir auf dem Gelände große Mengen Müll aus den Niederlanden, neben Hausmüll vor allem tonnenweise Gummi in skurrilen Formen: meterlange Knäuel, dicke Schläuche, zu Klumpen zusammengeschmolzene Reifen, die Produktkennzeichnung deutet auf den Hersteller Dunlop hin. Aus keinem Land kommt laut Statistischem Bundesamt so viel Müll nach Deutschland wie aus den Niederlanden – offiziell allerdings zur Verwertung. In Güstrow wurde einfach abgeladen. Dunlop antwortet auf unsere Anfrage, das Unternehmen habe von dem Fall Kenntnis erhalten. Man habe aber „keine Erklärung“, wie der Abfall in Güstrow gelandet sei. Oft verschleiern die Müllschieber ihre Geschäfte durch komplizierte Firmenstrukturen mit verschiedenen Tochtergesellschaften. Hinter der illegalen Deponie in Güstrow etwa steckt nach unseren Recherchen eine Unternehmerfamilie aus Norddeutschland. Ihr gehört eine Reihe von Firmen mit Niederlassungen in Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Hamburg und London, viele inzwischen insolvent. Auf unsere Fragen, die wir zwei zentralen Familienmitgliedern schriftlich zukommen lassen, erhalten wir keine Antwort.
Der Fall Schönermark
Wie dramatisch das Problem mit illegalen Deponien ist – und welch unrühmliche Rolle die Behörden spielen –, erfahren wir auch im Nordosten Brandenburgs. Nach unseren Recherchen befindet sich hier eine der größten, wenn nicht die größte illegale Plastikmülldeponie Deutschlands. Wir erreichen das Gelände im Morgengrauen. Es liegt am Rand des kleinen Dorfs Schönermark, zwischen Feldern und von Wällen umgeben. Aus den Akten, die uns die zuständige Umweltbehörde auf Antrag einsehen lassen musste, wissen wir: Anders als in Güstrow hatte dieser Betrieb eine Genehmigung zur Lagerung von 5000 Tonnen Abfall. Bedingung: Die Firma durfte Müll annehmen, um ihn für Verbrennungsanlagen aufzubereiten, nicht aber, um ihn zu deponieren. Doch genau das ist geschehen. Laut der brandenburgischen Landesregierung türmen sich auf dem Gelände heute rund 62.000 Tonnen Abfall. Dies entspricht ungefähr dem jährlichen Müllaufkommen einer 100.000-Einwohner-Stadt – abgeladen am Rand eines 400-Seelen-Dorfes. Schon 2012 hatten die Behörden dem Betreiber die Annahme weiterer Abfälle untersagt. Um den Müll kümmert sich nun offensichtlich niemand mehr. Zwar hat die Deponie laut einer Liste der Landesregierung oberste Priorität zur „Beräumung“. Geschätzte Entsorgungskosten: acht Millionen Euro, welche die Behörden vermutlich zum Großteil aus Steuergeldern bezahlen müssen. Die Betreiberfirma ist inzwischen insolvent, Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen den Geschäftsführer wurden gegen Zahlung eines Bußgeldes eingestellt – in Höhe von 2000 Euro. Als wir ihn persönlich aufsuchen, weicht er unseren Fragen aus, auf eine schriftliche Anfrage reagiert er nicht. Die Umweltbehörde hingegen antwortet, mehrere Verwaltungsverfahren würden derzeit laufen, um zumindest die Verursacher des Mülls zu belangen. Doch solche Verfahren können Jahre dauern. Weiter schreibt die Behörde über die Deponie, ihr lägen keine Erkenntnisse vor, „die auf eine Gefahr für Mensch und/oder Umwelt“ schließen ließen. Wir möchten noch wissen, ob die Behörde denn Proben genommen habe. Die Antwort: Man gehe davon aus, dass auf dem Grundstück nur die von ihr „genehmigten, ungefährlichen Abfallarten“ lagerten. Daher sehe man keinen Anlass zur Probenentnahme.
Wir betreten die Deponie, neben dem Eingangstor ist der Zaun eingedrückt. Das Gelände ist mehrere hundert Meter lang, bis zu zehn Meter hoch ragen die Müllberge: zersplitterte CDs, Batterien, Druckerpatronen, rostzerfressener Elektroschrott. Vor allem aber Plastikmüll in allen Facetten: zerfetzte Folien, geschredderte Schnipsel, Lebensmittelverpackungen, Flaschen und Tuben, Kunststoffmatten. Der Großteil des Mülls stammt aus Deutschland, doch auch hier finden wir Abfälle mit Aufschriften, die auf eine ausländische Herkunft hindeuten, diesmal etwa aus Dänemark, dem Land mit dem höchsten Müllaufkommen pro Kopf in der EU. Und wir entdecken Müll, der offenbar nach dem Annahmeverbot im Jahr 2012 auf der Deponie gelandet ist: einen Taschenkalender von 2014 zum Beispiel und eine Packung Fruchtpüree mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum Dezember 2017. Anders als die Umweltbehörde nehmen wir Proben. Die Laboranalyse ergibt für eine Wasserprobe erhöhte Schwermetallwerte. Die Konzentration von Blei übersteigt den in der Bundesbodenschutzverordnung festgeschriebenen Grenzwert um das Doppelte. In einer anderen Probe stellt das Labor hohe Konzentrationen zweier sogenannter Weichmacher fest, die von der EU als „fortpflanzungsgefährdend“ eingestuft werden. Auf den Müllbergen fällt uns außerdem angekohlter Abfall auf. Allein zwischen 2012 und 2018 haben die Behörden sieben Brände auf der Deponie dokumentiert, im Oktober 2015 brannte es demnach 13 Stunden lang. „Wenn so eine Mülldeponie in Brand gerät, wird das Ganze nur noch schlimmer“, sagt Toxikologe Maser. „Dann werden giftige Stoffe gasförmig und verbreiten sich schnell durch die Luft. Und es kommen Schadstoffe hinzu, die durch die Verbrennung erst entstehen, zum Beispiel Kohlenmonoxid und Dioxine.“ Auch im Fall dieser illegalen Halde sieht Maser die Behörden in der Pflicht: „So eine Deponie müsste so schnell wie möglich geräumt werden.“ Zumindest aber müsse der Müll abgedeckt werden, damit bei Regen keine Schadstoffe ausgewaschen werden und ins Grundwasser sickern. Bisher besteht diese Gefahr, denn der Geländeboden unter den Abfällen ist nicht versiegelt. Am Ende unserer Recherche zu den Deponien in Schönermark und Güstrow stellen wir fest: Die Behörden reagieren unzureichend auf das illegale Abladen von Müll und verschleppen die Räumung. Dabei sind schlecht gesicherte Halden ein Riesenproblem. Toxikologe Edmund Maser geht davon aus, dass „durch das jahrelange Freisetzen von Schadstoffen aus diesen illegalen Mülldeponien eine chronische Belastung für Mensch und Umwelt besteht“.
Nächstes Ziel: Osteuropa
„Dringenden Handlungsbedarf“ sieht auch Greenpeace-Experte Manfred Santen: „Die Behörden müssen genauer hinschauen und den schwarzen Schafen in der Abfallbranche das Handwerk legen – mit einem Kontrollsystem, das Gesetzesverstöße aufdeckt und mit wirksamen Sanktionen ahndet.“ Immerhin: Vergangenen Sommer hat Brandenburg als erstes und bislang einziges Bundesland eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Umweltkriminalität eingerichtet. Durch sie sollen Müllverbrechen und andere Umweltdelikte besser verfolgt werden, so die Hoffnung des Landes. Während die Behörden in Deutschland erst langsam aufwachen, haben die Müllschieber längst ihr nächstes Ziel gefunden: Osteuropa. Nach unseren Recherchen liegen bereits Tausende Tonnen deutscher Abfälle auf illegalen Deponien in Polen. In Tschechien stoppte der Zoll allein in den ersten fünf Monaten des vergangenen Jahres 18 illegale Mülltransporte aus Deutschland. Unklar ist, wie viele Lieferungen die Grenze unentdeckt passieren konnten. Sicher scheint dagegen: Solange die Gesellschaft solch riesige Mengen Müll erzeugt wie heute – und solange die Behörden die Machenschaften nicht konsequent verfolgen –, werden die schmutzigen Deals weitergehen. Denn, so lautet ein Sprichwort in der Branche: Der Müll sucht sich immer das günstigste Loch.
Diesen Artikel finden Sie in der Ausgabe des Greenpeace Magazins 2.21 „Lokal Genial“. Ob Klimaneutralität, Kohelabbau oder Aufbau Ost. Im Schwerpunkt besuchen wir Kommunen, die vor ihrer eigenen Tür kehren und anpacken, während die Politik in Berlin noch streitet. Das Greenpeace Magazin erhalten Sie als Einzelheft in unserem Warenhaus oder im Bahnhofsbuchhandel, alles über unsere vielfältigen Abonnements inklusive Prämienangeboten erfahren Sie in unserem Abo-Shop. Sie können alle Inhalte auch in digitaler Form lesen, optimiert für Tablet und Smartphone. Viel Inspiration beim Schmökern, Schauen und Teilen!