Natur schützen statt ballern, Klima statt Prinzessinnen retten: Videospiele bieten heute weit mehr als Realitätsflucht, längst haben Umweltthemen Einzug gehalten. Was das Abtauchen in digitale Welten bewirken kann und welche Titel empfehlenswert sind.

Eine apokalyptische Landschaft erstreckt sich über den Bildschirm: Ruinen, verbrannte Erde, Baumskelette. Nach ein paar Mausklicks dreht sich das erste Windrad, danach entgiftet ein Apparat den Boden, ein weiterer klärt das Wasser, kurz darauf sprießt Gras, später folgen erste Tiere. Im Aufbauspiel Terra Nil renaturiert der Spieler oder die Spielerin so einen ganzen Planeten – das Ziel: zurückbringen, was eine untergegangene Zivilisation zerstört hat. Je größer die Artenvielfalt, desto höher der Highscore.

Videospiele sind längst nicht mehr nur etwas für schießfreudige Teenager, Hobbyelfen und Nerds, die nach einem Bürotag noch stundenlang im Lkw-Simulator virtuell Waren durch Europa kutschieren. Laut Game, dem Verband der deutschen Videospielbranche, zocken 54 Prozent der Deutschen mindestens gelegentlich, ob am Handy, vor der Konsole oder am Computer, darunter beinahe so viele Frauen wie Männer. Rund ein Drittel aller Spielenden sind älter als fünfzig Jahre. Weltweit erreichte die Spieleindustrie 2023 einen Umsatz von 138 Milliarden Euro, deutlich mehr als die Filmbranche. Videospiele gehören damit fest zum gesellschaftlichen Medienalltag – auch weil man mit ihnen tiefer in andere Welten abtaucht als in einem Brettspiel. Und sie bieten alles vom kurzweiligen Zeitvertreib über komplexe Strategietitel bis hin zu packenden Geschichten, über die man noch lange nachsinnt.

So lässt sich wohl jedem der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen ein Spiel zuordnen. Selbst Gaming-Blockbuster behandeln grüne Themen, Spielereihen mit Millionenpublikum wie die Sims oder Minecraft haben inzwischen Erweiterungen wie Eco Lifestyle oder ein Climate and Sustainability Kit, mit denen man den nachhaltigen Alltag üben oder Ökohäuser nachbauen kann. Dazu kommen unzählige kleinere Titel, die sich kreativ um Tier-, Natur- und Umweltschutz drehen.

Spielerisch lernen

Inzwischen hat auch das Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg Videospiele für sich entdeckt. Gemeinsam mit dem Umweltbundesamt wollen die Forschenden damit Nachhaltigkeitsbildung zugänglicher machen. Gerade brachten sie mit dem deutschen Entwicklerstudio Quantumfrog das kostenlose Handyspiel Little Impacts heraus. „Ein Spiel für Menschen, die ökoaffin sind, aber noch nicht umfassend Bescheid wissen, wie sie entsprechend leben können, gerade im sozialen Miteinander“, sagt Sebastian Gölz vom ISE, der während des Projekts das Nutzerverhalten erforscht hat.

Die Spielenden unterstützen die Hauptfigur Leah in fünf Kapiteln dabei, wie sie etwa ihrer Freundin zu einer energiesparenden Wohnung verhilft und mit ihrem Vater über vegane Ernährung diskutiert. Alles wissenschaftlich fundiert. „Das Spiel simuliert solche Situationen und verknüpft sie mit Wissen“, erklärt Gölz. Little Impacts kommt zwar etwas pädagogisch daher, wendet sich also weniger an typische Gamer. Es bettet aber zum Beispiel das Thema Wärmedämmung in ein lebensnahes Setting – und das sei entscheidend, wenn man solche Inhalte spielerisch vermitteln möchte.

Dafür müsse ein Spiel den Sweet Spot zwischen Herausforderung und Belohnung treffen, erklärt Gölz. Im Idealfall motiviere es durch eine gute Story zum Weitermachen, sodass die Spielerin gar nicht merke, dass sie gerade Wissen vermittelt bekommt. Studien zeigen, dass spielerisches Lernen hervorragend funktionieren kann. Es komme insbesondere den Mediengewohnheiten junger Menschen näher als die Lektüre von Fachbüchern. Damit wären solche Spiele gut für die Ausbildung geeignet. Gölz und sein Team untersuchten an Testpersonen, wie diese vor und zwei Wochen nach dem Durchspielen von Little Impacts über nachhaltige Themen nachdachten. „Die Teilnehmenden waren deutlich umweltbewusster“, hat der Wissenschaftler herausgefunden.

Es war übrigens noch nie so einfach, ein Spiel zum Laufen zu bringen: Mobile Spiele lädt man sich in den jeweiligen Appstores aufs Smartphone oder Tablet. PC- und Konsolenspiele gibt es oft noch im Handel, sie lassen sich aber auch bequem über Online-Plattformen kaufen, herunterladen, installieren, updaten und spielen. Insbesondere Indie-Titel sind damit nicht mehr auf physische Datenträger angewiesen – was es kleinen Studios erleichtert, ihre Spiele auf den Markt zu bringen, und das Angebot vielfältiger macht. Typische Spiele kosten von ein paar Euro für ein Mini-Game bis zu sechzig Euro für sogenannte Vollpreistitel. Über Spielspaß und -dauer sagt das aber wenig aus. Unterschiedlich sind auch die Anforderungen an die Hardware: Besonders wenn es grafisch opulent wird, sollte man die Angaben in der Beschreibung checken, ob der eigene Rechner das Spiel flüssig darstellen kann. Auf der sicheren Seite ist man mit Konsolen, für die Spiele angepasst werden.

<p>FLOWER-POWER-UP Spiele können nachhaltige Entscheidungen belohnen – das motiviert, den Highscore für Natur und Umwelt knacken</p>

FLOWER-POWER-UP Spiele können nachhaltige Entscheidungen belohnen – das motiviert, den Highscore für Natur und Umwelt knacken

Und der CO2-Fußabdruck von Streaming, Hardware und Servern? „Der ist tatsächlich nicht ohne“, sagt Sebastian Gölz vom Fraunhofer-Institut. Das hänge auch davon ab, ob man Ökostrom beziehe und davon, wie intensiv und wie lange man seine Hardware insgesamt nutzt, bevor man sie austauscht – im Idealfall durch gebrauchte, energieeffiziente Geräte. Generell müsse sich im Digitalsektor viel tun, so Gölz. Er findet aber auch: Videospiele können zum Umdenken beitragen. Dafür müssen sie nicht zwangsläufig didaktisch und bis ins Detail wissenschaftlich fundiert sein – wie Little Impacts, das wohl kaum ein großes Publikum finden wird. Sie können auch – wie Terra Nil – einfach Empathie für Artenvielfalt wecken. „Es liegt riesiges Potenzial darin, uns andere Realitäten zu zeigen.“

Das können auch härtere sein. „Viele Spiele unterhalten nicht nur, sie sind Kulturgut und politische Kunst“, sagt Linda Breitlauch, Professorin für Gamedesign an der Uni Trier. Sie ist spezialisiert auf Serious Games, Spiele also, die vor dem Bildschirm fesseln, dabei Wissen vermitteln und auch ernste Inhalte wie Krieg, Flucht und ökologische Krisen behandeln können. Oft stellen sie die Spielenden vor Dilemmata und extreme Lebenssituationen. Schon ein Klassiker: This War of Mine. Darin steuert man eine Gruppe ziviler Opfer in den umkämpften Trümmern einer Stadt in einem fiktiven Land. Man muss Nahrung stehlen, sichere Schlafplätze und Medikamente suchen, kann keinem trauen. Spielerisch ist das kaum zu meistern. Der hohe Schwierigkeitsgrad gehört zum Konzept: „Es ist nicht klassisch unterhaltsam, sondern zeigt uns immersiv, was Krieg bedeutet und wie schwer es ist, in dieser Situation zu überleben“, sagt Breitlauch, die gerade ein Serious Game namens Skillpolis mitentwickelt, in dem man reale Städte virtuell klimaneutral umbauen kann. Sie selbst spielt gern Frostpunk, ein Science-Fiction-Strategiespiel, das von einer vereisten Erde handelt, auf der die letzten Menschen sich um einen Heizreaktor ansiedeln müssen. Das Miteinander wird von Entbehrungen, harter Arbeit und permanentem Überlebenskampf bestimmt. Für Breitlauch eine spielerische Warnung: „Ohne dass darin das Thema Klima konkret auftritt, handelt es unterschwellig davon, wie die Menschheit sich in einem Extremszenario retten muss.“

Endgegner Klimakrise

Das Wichtigste bei einem guten Spiel: Es muss mitreißen. „Ein Serious Game, das keinen Spaß macht, ergibt keinen Sinn.“ Selbst ein dystopischer Titel wie Frostpunk bereite ihr Freude, weil sie ein motivierendes Ziel erreichen will: das Überleben der Menschheit oder zumindest der Figuren, zu denen sie im Spiel eine Beziehung aufbaut. Game Over bedeutet hier den Tod, ohne Extraleben. Viele Spiele wählen solche Kulissen oder auch Zeitsprünge in eine ferne Zukunft, um zu zeigen, was aus Planet und Gesellschaft wird, wenn Krisen ungebremst voranschreiten oder Atomkriege unsere Welt zu einem lebensfeindlichen Ort machen. Realitätsnähe sei dabei gar nicht so wichtig: „Vereinfachung hilft extrem dabei, Leuten Grundsätzliches verständlich zu machen“, sagt Breitlauch. Etwa, um ein Gefühl für Natur und Nachhaltigkeit zu wecken. Man kann Zivilisationen aufbauen und untergehen sehen und so die langfristigen Folgen von Entscheidungen erleben.

Genau das hat sich das Zwei-Mann-Team Tiny Room Studio aus Oldenburg vorgenommen: „Wir wollen Spiele machen, die unterhalten und die Menschen Probleme verstehen und nachfühlen lassen“, erklärt Dominik Maltaric, der gerade mit seinem Kollegen Davis Truong sein erstes großes Spiel Second Nature entwickelt, das in diesem Jahr erscheinen soll. Darin lenkt man in einer 3D-Comicwelt einen putzigen Roboter, der einen verwüsteten Planeten wiederbelebt. „Man muss klug vorgehen und das Zusammenspiel von Ökosystemen und Nahrungsketten verstehen“, erklärt Maltaric. Ob der Mensch darin noch eine Rolle spielt, außer vor dem Bildschirm? Das lässt der Gamedesigner offen – „vielleicht bekommt er eine zweite Chance.“

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 5.24 "Berge". Das Greenpeace Magazin erhalten Sie als Einzelheft in unserem Warenhaus oder im Bahnhofsbuchhandel, alles über unsere vielfältigen Abonnements inklusive Prämienangeboten erfahren Sie in unserem Abo-Shop. Sie können alle Inhalte auch in digitaler Form lesen, optimiert für Tablet und Smartphone. Viel Inspiration beim Schmökern, Schauen und Teilen

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