Die Idee der Wegwerfgesellschaft haben sie schon auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgt. Statt neue Produkte zu kaufen, verwerten viele Menschen lieber Vorhandenes. Sie retten Kleidung, reparieren Elektrogeräte oder vermieten Möbel auf Zeit. In unserem Greenpeace Magazin 1.21 „Konsum“ sind wir auf eine konsumkritische Deutschlandreise gegangen

Auf einem Bügeltisch in Berlin-Schöneberg liegt ein geblümtes Vintage-Kleid aus den Fünfzigerjahren, handgenäht, heiß geliebt, häufig getragen. Es wartet darauf, gerettet zu werden. Vor dem Wegwerfen, vor billigen Fast-Fashion-Versuchungen, vor dem Vergessen. Eine Kundin hat es ins Berliner Atelier „Bis es mir vom Leibe fällt“ gebracht. Elisabeth Prantner soll dem alten Kleid neues Leben einhauchen.

Die Modemacherin streicht über den pink geblümten Stoff. Seit 2011 verwandelt sie mit ihrem Team abgetragene Lieblingsstücke in zeitgemäße Unikate und Schrankhüter in Tragbares. „Wir bieten gehobene Reparatur an“, sagt sie, „vom neuen Reißverschluss bis zur kompletten Verwandlung.“ Upcycling nennt sie das – und ihre Geschäftsidee ein „Veränderungsatelier“. Sie motiviert ihre Kundschaft, vorhandene Textilien zu verbessern, statt sich neue anzuschaffen.

Nicht nur in Berlin, in ganz Deutschland wenden sich Menschen gegen die Wegwerfgesellschaft. Sie hinterfragen, warum man stetig Neues kaufen soll, wenn es so viel Altes gibt. Sie entdecken den Wert der Waren wieder. Vor allem aber engagieren sie sich: Sie gründen Nachbarschaftsinitiativen, Sozialunternehmen oder Start-ups – mit dem Ziel, Vorhandenes bewusster zu nutzen.

Dies ist eine Deutschlandreise zu Vorreitern des nachhaltigen Konsums. Von Berlin geht es nach Leipzig in ein „Repair Café“. Von dort ins Rhein-Main-Gebiet, wo ein junger Unternehmer langlebige Möbel vermietet. Zum Schluss in die fränkische Provinz: Dort ist ein sozial-ökologischer Mikrokosmos entstanden, der neben der Umwelt auch Suchtkranken und Langzeitarbeitslosen eine Perspektive bietet.

Berlin
Bis es mir vom Leibe fällt

Berlin-Schöneberg liegt träge in der Herbstsonne. Touristen trinken Espresso.Und in der Nähstube des Veränderungsateliers hantieren Schneider mit Maßband und Stecknadeln, surren Nähmaschinen, bimmelt die Türglocke. Die Kundschaft kommt nicht nur aus Schöneberg, sondern aus ganz Berlin, manche schicken ihre Sachen sogar aus dem Ausland. Kein Auftrag gleicht dem anderen: Mal müssen nur ein paar Nähte versetzt werden, damit ein Flohmarkt-Oberteil optimal sitzt. Mal muss ein abgewetztes, aber heiß geliebtes Band-T-Shirt gerettet werden.

Am aufregendsten ist es jedoch, wenn aus alten Klamotten neue werden: Aus drei Jeans und einem Geschirrhandtuch zaubern sie hier vielleicht eine Tasche; aus Hosen ein Kleid. Häufig verarbeiten sie Erinnerungsstücke: Neulich brachte eine ältere Dame die Hemden ihres verstorbenen Mannes vorbei, erzählt Elisabeth Prantner. Daraus ließ sie sich zwei Blusen schneidern. „Upcycling kann auch Trauerbewältigung bedeuten.“

Die Textilindustrie ist außer Kontrolle und eine riesige Ressourcenschleuder. So sehen sie das im Berliner Atelier. Dabei ist es gar nicht so schwierig, Maß zu halten

Die Modeschöpferin Elisabeth Prantner hat Karriere gemacht und die Welt gesehen – auch die Welt hinter kurzlebigen Trends. Ihre Kollektionen aus Altkleidern sind eine Kampfansage an die Fast Fashion 

Die Textilindustrie ist außer Kontrolle und eine riesige Ressourcenschleuder. So sehen sie das im Berliner Atelier. Dabei ist es gar nicht so schwierig, Maß zu halten

Die Modeschöpferin Elisabeth Prantner hat Karriere gemacht und die Welt gesehen – auch die Welt hinter kurzlebigen Trends. Ihre Kollektionen aus Altkleidern sind eine Kampfansage an die Fast Fashion 

Die Atelier-Gründerin stapft steile Stufen hinunter in den Keller. Dort stapeln sich Kartons großer Online-Händler: Kiste für Kiste ist gefüllt mit T-Shirts, Kleidern, Pullovern, alle ungetragen. Mit ein paar Mitstreitern hat Prantner das Projekt „Become A-Ware“ ins Leben gerufen. „Damit wollen wir auf die Missstände in der Textilbranche hinweisen“, sagt sie. Die Idee: Online-Shopper können Fehlkäufe einschicken, Prantner schneidert daraus Anoraks oder Kleider. Die upgecycelten Teile integriert sie in ihre Kollektion.

Kleidung

Mehr als 80 Milliarden Kleidungsstücke werden jährlich hergestellt. Durchschnittlich 60 kaufen die Deutschen pro Kopf und Jahr, ein Fünftel davon wird nie oder so gut wie nie getragen. Das Karussell der Fast Fashion dreht sich schnell, der Verbrauch steigt. Gut 15 Kilogramm Textilien geben die Deutschen pro Kopf und Jahr inzwischen in die Altkleidersammlung. Dieses Jahr warnte der Fachverband Textilrecycling vor dem „Kollaps“ dieses Systems. Denn minderwertige Billigteile taugen oft nicht einmal mehr als Putzlappen oder Dämmstoffe. Weltweit gehen beinahe 20 Prozent der Gewässerverschmutzung und 10 Prozent der CO2-Emissionen auf das Konto der Modeindustrie.

Elisabeth Prantner setzt sich in einen alten Sessel. Die 64-Jährige trägt selbst gern Unikate: Das schlichte T-Shirt hat sie mit Hemdsärmeln aufgepeppt, die karierte Hose auf Dreiviertellänge gekürzt, nachdem sie sich in den Fahrradspeichen verfangen hatte.

Prantner kennt die Modeindustrie seit Jahrzehnten. In Klagenfurt aufgewachsen, wurde sie mit ihrem Label Lisa D. zur viel beachteten Modeschöpferin: Wien, Berlin, New York. In Kollektionen, Performances und Modeschauen beschäftigte sie sich von Anfang an mit der politischen Dimension von Mode, erst mit der Rolle der Frau, später mit den Produktionsbedingungen.

Mit dem Veränderungsatelier und Workshops leistet Prantner nun weiter Aufklärungsarbeit. Wenn sie über den Umgang mit Textilien spricht, wird die sonst sanfte Frau wütend. 280 Millionen Pakete schicken die Deutschen jedes Jahr zurück, 4,7 Kilogramm Kleidung pro Person landen im Müll, die Zahlen kennt Prantner auswendig. Die Modeschöpferin stöhnt: „Sich mit Retouren und Bekleidungsmüll zu beschäftigen, ist der helle Irrsinn!“ Manchmal ist Prantner zwar müde, weitermachen will sie trotzdem. „Ich fühle mich einfach besser, wenn ich mich engagiere.“

Leipzig
Café Kaputt

180 Kilometer von Berlin-Schöneberg entfernt liegt Leipzig-Lindenau, bis vor wenigen Jahren ein alter Arbeiterstadtteil voller Industriebrachen. Heute ziehen in die leeren Hallen und Fabriken mehr und mehr Cafés und Künstlerateliers ein. In einem Innenhof, zwischen einer Schreinerei und einem autonomen Hausprojekt, hat das „Café Kaputt“ seine Tore geöffnet: Draußen Graffiti, drinnen eine vollgestopfte Werkstatt für Elektronik, Textilien und Tischlerarbeiten.

An einem Mittwochnachmittag bildet sich eine kleine Menschentraube vor dem Café. Ein Student mit Hipster-Turnschuhen schleppt einen Overheadprojektor heran, eine junge Frau trägt eine Lampe unter dem Arm, ein Mann kramt einen Rasierapparat aus dem Rucksack. Sie alle suchen Hilfe zur Selbsthilfe in der „Elektrosprechstunde“ des Café Kaputt. Die Initiative ist eines von rund 840 Repair-Cafés in Deutschland. Laien können hier gemeinsam mit versierten Handwerkern defekte Gegenstände wieder instand setzen – ehrenamtlich und spendenbasiert.

Nele, eine junge Frau mit Pferdeschwanz, ist nervös. Sie hat ihre kaputte Festplatte mitgebracht und will ihre wertvollen Daten retten. Tim, IT-Liebhaber und ehrenamtlicher Helfer, hockt sich zu ihr und erklärt, wo sie den Schraubenzieher ansetzen muss, um das Gehäuse aufzuschrauben. Nebenan repariert Saeed, ein siebzigjähriger Maschinenbauingenieur aus dem Iran, einen Föhn. Eberhardt, der hier als „Mann für alles“ gilt, nimmt den Overheadprojektor in Empfang. Für drei Euro hat der junge Besucher das sperrige Gerät auf einem Flohmarkt gekauft, nun möchte er es reparieren und für Lichtshows nutzen. Vielleicht ist ja nur das Glühlämpchen defekt? Die Männer beugen sich über den Projektor.

Lisa Kuhley schraubt an ihrem alten Röhrenradio. Sie hat das „Café Kaputt“ in Leipzig mitgegründet: Hilfe zur Selbsthilfe in Reparaturdingen

Man kann auch Röcke retten und Kommoden aufmöbeln, aber mittwochs ist „Elektrosprechstunde“

Lisa Kuhley schraubt an ihrem alten Röhrenradio. Sie hat das „Café Kaputt“ in Leipzig mitgegründet: Hilfe zur Selbsthilfe in Reparaturdingen

Man kann auch Röcke retten und Kommoden aufmöbeln, aber mittwochs ist „Elektrosprechstunde“

Drei Stunden dauert die Sprechstunde, immer wieder wird sie von kleinen Erfolgserlebnissen unterbrochen. „Wenn ich etwas repariere, habe ich das Gefühl, etwas Neues zu bekommen“, sagt Nele strahlend, während sie ihre funktionierende Festplatte wieder in der Tasche verstaut.

„Siebzig Prozent unserer Reparaturen sind erfolgreich“, erklärt die Gründerin des „Café Kaputt“, Lisa Kuhley. Auf ihrem Computer wirft die 35-Jährige einen Blick in die Elektrostatistik: Größtenteils werden Haushaltsgeräte gebracht, Toaster, Küchenwaagen, Staubsauger, immer öfter auch Smartphones oder Laptops. Dabei gilt: „Je kleiner die Elektronik, desto schwieriger die Reparatur.“ Am besten ließen sich alte DDR-Geräte reparieren, etwa der legendäre Handmixer RG 28, sagt Kuhley. Sein Design sei darauf ausgelegt, lange zu halten. Bei vielen neueren Elektrogeräten sei das nicht mehr der Fall, Plastikteile in Mixern zerbröseln nach wenigen Jahren, Rasierapparate geben den Geist auf. „Dass dieser schnelle Verfall geplant ist, können wir nicht beweisen, zumindest aber wird er in Kauf genommen.“

Elektronik

85 Prozent der Deutschen haben noch irgendwo ein „altes“ Handy oder Smartphone herumliegen, insgesamt sind es etwa 200 Millionen. Jährlich werden mehr als 20 Millionen neue Geräte gekauft. Pro Kopf und Jahr werfen wir 19,4 Kilogramm Elektronik weg, auch solche, die noch funktioniert. Nur knapp 45 Prozent der Altgeräte landen auf einem Wertstoffhof. Dort beträgt die Recyclingquote gut 85 Prozent. Gut eine Million Tonnen Elektroschrott pro Jahr werden nicht im System erfasst. Mehr als 100.000 werden illegal exportiert, oft nach Afrika.

Lisa Kuhley, Kurzhaarschnitt und Nasenpiercing, ist für die Organisation und die Finanzen zuständig. Manchmal packt sie aber die Lust am Reparieren. Demnächst möchte sie ein altes Röhrenradio wieder in Gang bringen, „ein Familienerbstück.“ Die studierte Kulturwissenschaftlerin kam 2014 gemeinsam mit einer Freundin auf die Idee zum „Café Kaputt“. Ein eigenes Reparaturerlebnis hatte sie auf den Geschmack gebracht: Als ihr MP3-Player streikte, legte sie selbst Hand an. „Ich öffnete das Gehäuse und sah sofort: Ein Kabel ist ab“, erinnert sie sich. „Das war supereasy.“ Sie nahm sich vor, auch anderen Menschen solche Erfahrungen zu schenken – in einem Repair Café.

Eines war ihr dabei wichtig: Ihre Reparaturinitiative sollte kein Szenetreffpunkt für versierte Tüftler werden, sondern ein Ort, an dem sich die gesamte Nachbarschaft wohlfühlt. „Manche Besucher kommen wegen des Nachhaltigkeitsaspekts zu uns, anderen fehlt einfach das Geld, sich ein neues Gerät zu kaufen“, sagt Kuhley. Und es kommen viele. Mittlerweile wuppen drei Halbzeitangestellte und etwa dreißig Ehrenamtliche den Andrang. „Dass wir alle aus unterschiedlichen Milieus kommen, erweitert unseren Horizont.“

Neu-Isenburg
Lyght Living Furniture Leasing

Die einen retten das Leben der Dinge durch Reparatur, die anderen, indem sie Brauchbares immer wieder neu verteilen. In einer schmucklosen Lagerhalle in Neu-Isenburg bei Frankfurt am Main stapeln sich Gebrauchtmöbel in allen Formen und Farben – vom rustikalen Landhausstil bis zu skandinavischem Design, vom Schreibtischstuhl bis zum Lampenschirm. Irgendwo soll sogar eine Hundehütte stecken. All diese Möbel suchen Nutzer auf Zeit.

Warum kaufen, was man auch mieten kann? Warum besitzen, was man nur nutzt? Diesen Ansatz verfolgt das Start-up „Lyght Living Furniture Leasing“.

Daniel Ishikawa, 38 Jahre alt, hat die Firma gegründet. Er wurde in Japan geboren und ist in Frankfurt aufgewachsen. Als er nach beruflichen Stationen in London und Tokio in seine deutsche Heimat zurückkehrte, fiel ihm auf, dass es hier kaum möblierte Wohnungen gibt. Ihm fehlten nicht nur Sofas und Stühle, sondern auch Einbauküchen und Deckenlampen. Das Resultat: „Wer nur kurz in einer Stadt wohnt, kauft häufig günstige Discounter-Möbel, um sie mit dem nächsten Umzug wieder zu entsorgen.“ Ishikawa beschloss, diese Marktlücke zu schließen – und gründete 2011 „Furniture Leasing“.

Warum besitzen und wegwerfen, was man auch nutzen und weitergeben kann? Daniel Ishikawa ist Chef des Möbelverleihs Lyght Living Furniture Leasing – und hofft, dass die Idee bekannter wird

Warum besitzen und wegwerfen, was man auch nutzen und weitergeben kann? Daniel Ishikawa ist Chef des Möbelverleihs Lyght Living Furniture Leasing – und hofft, dass die Idee bekannter wird

„Je nach Möbelstück machen unsere Möbel fünf bis zehn Lieferzyklen durch“, erklärt er. Das bedeutet, dass sie neuwertig vom Hersteller ins Unternehmen geliefert  und dann beim ersten Kunden montiert werden. Wenn die Möbel nicht mehr gebraucht werden, holen Ishikawas Angestellte sie ab, arbeiten sie auf und reparieren sie falls notwendig. Die Möbelexperten entfernen Kratzer aus Massivholztischen und ziehen wackelige Schrauben fest. Matratzen werden von einem Partnerunternehmen professionell gereinigt. Sobald Schrank, Tisch oder Bett wieder „wie neu“ sind, ziehen sie zum nächsten Kunden um. Das Geheimnis der langen Lebensdauer? „Wir setzen auf qualitativ hochwertige Möbel, nicht auf kurzlebige Trends.“

Dass Ishikawa Möbel liebt, merkt man schnell. Der zurückhaltende Mann kommt ins Schwärmen, wenn er von Mid-Century-Möbeln erzählt. Das schnörkellose Design, die klaren Linien! Sein Traum: Irgendwann auch Vintage-Möbel als Einzelstücke ins Sortiment zu nehmen, etwa aus den Sechzigern oder Siebzigern. Zu viele Experimente gleichzeitig will er jedoch nicht wagen. Das Geschäft mit Mietmöbeln ist kapitalintensiv und aufwendig, viele kleine Konkurrenten sind in den letzten Jahren wieder vom Markt verschwunden.

Ishikawa setzte zuerst vor allem auf Geschäftsleute aus dem Ausland, die eine Zeitlang in Deutschland leben. Neuerdings versucht er aber auch umweltbewusste Deutsche für den nachhaltigen Service zu gewinnen. Vor Kurzem hat er deshalb das Berliner Start-up Lyght Living übernommen. Damit gewann er nicht nur neue Kunden, sondern auch begehrte Designklassiker von Vitra oder Thonet dazu.

Möbel

Mehr als 40 Milliarden Euro geben die Deutschen jährlich für Möbel und Einrichtung aus. Weil die Wohnungsmieten so hoch sind, werden seltener langlebige und öfter günstigere Sofas oder Schränke gekauft. Mit einem Jahresumsatz von 5 Milliarden Euro dominiert Ikea den deutschen Möbelhandel. Der Konzern verbrauchte 2019 rund 20 Millionen Kubikmeter Holz – mehr als die Hälfte stammte aus Osteuropa.

„Die Möbelindustrie ist sehr energie- und ressourcenverschwendend“, sagt Ishikawa. „Wir selbst versuchen uns in kleinen Schritten zu verbessern, sind aber noch weit davon entfernt, perfekt zu sein.“ Er führt durch seine Halle und deutet schuldbewusst auf die in Stretchfolie eingewickelten Möbel. Vernünftige Alternativen zur hygienischen Folie habe er noch nicht gefunden. Aktuell führe er aber Gespräche mit dem Lieferanten, um zumindest auf abbaubare Kunststoffe umzusteigen.

Ishikawas größte Herausforderung: „95 Prozent der Deutschen wissen gar nichts von der Möglichkeit, Möbel zu mieten.“ Er glaubt, dass er bald Hilfe von einem großen Konzern bekommen könnte. Der Einrichtungsriese Ikea steigt in das Geschäft mit Mietmöbeln ein. In der Schweiz und den Niederlanden hat das schwedische Unternehmen das Programm bereits erfolgreich getestet, Deutschland soll bald folgen. Dass nun ausgerechnet jener Konzern auf Mietmöbel setzt, der Wegwerfmöbel salonfähig gemacht hat, kann man getrost als Greenwashing bezeichnen. Ishikawa fürchtet sich aber nicht vor billiger Konkurrenz: „Durch das Bekannterwerden des Konzepts werden wir als kleines und nachhaltiges Unternehmen langfristig profitieren.“

Höchstadt
Kreislaufkaufhaus

Gut 200 Kilometer südöstlich, zwischen Buchenwäldern und Karpfenteichen, liegt das mittelfränkische 13.500-Einwohner-Städtchen Höchstadt an der Aisch. Die Bahn hält hier schon seit vierzig Jahren nicht mehr, nur ein paar Busse schaukeln aus Erlangen oder Neustadt ins schmucke Ortszentrum. Die meisten Leute haben ein Auto, die Region ist reich: Adidas und Schaeffler zählen zu den Arbeitgebern.

Im Gewerbegebiet wartet ein Zweckbau auf Besucher, das Kreislaufkaufhaus. „Jeder kann kaufen“, steht über dem Eingang. Drinnen geht es bunt zu. Auf zwei Etagen eröffnet sich die Welt der Dinge, schrullige Kuriositäten und ausgemusterte Nützlichkeiten: Polstermöbel aus den Neunzigerjahren und Weihnachtsengel, Ölschinken und Schlagerschallplatten, neuwertige Brautkleider und ungetragene Markenturnschuhe. Es ist viel los: Eine bulgarische Familie begutachtet Inlineskates, ein älteres Ehepaar kramt im Weihnachtsschmuck, ein Italiener erwirbt eine gesamte Wohnungseinrichtung, inklusive Plastikweihnachtsbaum. 

Alle Waren sind Spenden von Menschen aus der Region. Der Verkaufserlös kommt der Laufer Mühle zugute, einer therapeutischen Einrichtung für Suchtkranke. Das Besondere: Die Bewohner der Mühle sind zugleich die Mitarbeiter des Kaufhauses. Nach erfolgreich beendeter Therapie erhalten sie einen Arbeitsplatz in dem sozialen Betrieb. Gemeinsam mit Langzeitarbeitslosen, die das Jobcenter schickt, verkaufen oder kassieren sie, leeren Altkleidercontainer oder sortieren Waren, arbeiten als Elektroniker oder Schreiner.

Vor etlichen Jahren gründete Sozialarbeiter Michael Thiem das erste Kreislaufkaufhaus in Höchstadt, Mittelfranken. Der soziale Betrieb rettet nicht nur Dinge vor dem Müll, er holt auch Menschen zurück in die Gesellschaft

Vor etlichen Jahren gründete Sozialarbeiter Michael Thiem das erste Kreislaufkaufhaus in Höchstadt, Mittelfranken. Der soziale Betrieb rettet nicht nur Dinge vor dem Müll, er holt auch Menschen zurück in die Gesellschaft

Jürgen zum Beispiel war früher Busfahrer, heute sitzt er im Erdgeschoss im Elektrokontrollraum. Dort überprüft er alle neu eingegangenen Geräte. „Ob quatschende Teddybären oder pinkelnde Spielzeughunde, wir hatten schon alles“, erzählt er und grinst. Gerade inspiziert er einen großen Lüster: Er prüft, ob alle Glieder des Kronleuchters vorhanden und die Anschlüsse in Ordnung sind. Defekte Geräte wandern in eine der Werkstätten der Laufer Mühle, wo sie repariert oder recycelt werden.

Im Obergeschoss sortieren Olga und Steffi Textilien. Olga, die Vorarbeiterin, mustert mit geübtem Blick einen Blazer mit Tigerprint und eine quietschgelbe Regenjacke – je nach Qualität und Marke legt sie die Preise fest. Steffi, blaue Haare und große Piercings in den Ohren, bepreist daneben Vorhangstoffe.

Selber machen

Das Netzwerk Reparatur-Initiativen (reparatur-initiativen.de) liefert einen Überblick über Repair Cafés und andere Do-it-Yourself-Gruppen im deutschsprachigen Raum. Gut 850 sind erfasst. Falls es keine in Ihrer Nähe gibt, erfahren Sie hier auch, wie Sie eine gründen können. Gebrauchtwarenhäuser gibt es inzwischen vielerorts, etwa die Halle 2 in München, die Nochmall in Berlin oder den Stilbruch in Hamburg. Nur Möbelvermieter und Altkleiderateliers sind leider noch rar.

Gegründet wurde die Laufer Mühle vor dreißig Jahren von dem Sozialpädagogen Michael Thiem. Der 61-Jährige, breites Lächeln, breiter fränkischer Dialekt, war selbst alkoholsüchtig. Der Erfolg der eigenen Therapie inspirierte ihn dazu, anderen zu helfen. Nach ersten Berufsjahren in München erhielt er die Möglichkeit, ein Therapiezentrum in Franken aufzubauen. „Ich habe die Suchtkranken eingeladen, mit mir in einer therapeutischen Gemeinschaft zu leben, mit eigener Landwirtschaft und ein paar Tieren.“ Der Ansatz war revolutionär. „Die Leute haben sich nicht mehr als hoffnungslose Fälle gefühlt. Jeder hatte eine Aufgabe.“

Die Laufer Mühle wurde zum Symbol für Innovation und Kreativität. Bald kam der Landkreis auf Michael Thiem zu – mit zwei Problemen: „Einerseits gebe es zu viele Langzeitarbeitslose, die beschäftigt werden müssen. Andererseits lande zu viel Müll auf den Deponien.“ So entstand die Idee für das erste Kreislaufkaufhaus, das vor 21 Jahren in Höchstadt eröffnete: ein Betrieb, der verwertbare Gegenstände aus den Haushalten abholt, aufbereitet und wiederverkauft. Mit den Jahren errichtete Thiem einen ökologisch-sozialen Mikrokosmos in Mittelfranken. Er eröffnete fünf Gebrauchtwarenhäuser, eine Cafeteria, einen Verlag, einen Metallverarbeitungsbetrieb und eine Kartonagenfabrik. Überall arbeiten suchtkranke Menschen Seite an Seite mit Langzeitarbeitslosen, überall gehen sie sorgsam mit Ressourcen um. 

Thiem zieht eine Parallele zwischen seinen Mitarbeitern und den recycelten Gegenständen: Einst aussortiert, erhalten sie eine zweite Chance. Er ist sich sicher: „Wir müssen den Menschen die Wertschätzung und den Respekt entgegenbringen, die sie verdienen – genauso wie den Dingen, die sie produzieren.“ 

Diesen Artikel finden Sie in der Ausgabe des Greenpeace Magazins 1.21 „Konsum“. Im Schwerpunkt zeigen wir Menschen, die lieber das Klima verbessern als das Konsumklima und sich der Logik des Immermehr entziehen. Das Greenpeace Magazin erhalten Sie als Einzelheft in unserem Warenhaus oder im Bahnhofsbuchhandel, alles über unsere vielfältigen Abonnements inklusive Prämienangeboten erfahren Sie in unserem Abo-Shop. Sie können alle Inhalte auch in digitaler Form lesen, optimiert für Tablet und Smartphone. Viel Inspiration beim Schmökern, Schauen und Teilen!

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