Eine unbemerkte Empfängnis, sintflutartige Regenfälle und Tiere, die per Schiff gerettet werden – das kommt einem bekannt vor. Doch diese Geschichte spielt im Kenia des 21. Jahrhunderts und handelt von Artenschutz und Völkerverständigung
Naturgemäß dauert es bei Giraffen länger, doch auch ihnen kann mal das Wasser bis zum Hals stehen. Ende vergangenen Jahres ließ heftiger Regen den Pegel des Baringosees in Kenia so stark steigen, dass er eine Insel zu verschlingen drohte, auf der acht Rothschild-Giraffen lebten, eine besonders gefährdete Unterart. Eine von ihnen, Asiwa, hatten die Fluten bereits von der Herde abgeschnitten. Binnen sieben Jahren hat sich der See auf das Anderthalbfache ausgedehnt. Welche Rolle der Klimawandel hier und beim ebenfalls ausufernden Viktoria- und Naivashasee spielt, untersucht Kenia derzeit gemeinsam mit dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen. 6000 Menschen mussten allein am Baringosee ihr Zuhause verlassen, bei anderen queren jetzt Krokodile das Grundstück. Die Giraffen nun sollten eine Arche bekommen, auf einem eigens konstruierten Floß sollten sie trockenen Hufes zum Festland gebracht werden. „Warum all der Aufwand, fragt man sich vielleicht“, sagt David O’Connor von der US-Organisation „Save Giraffes now“.
Die Antwort ist eine Kombination aus Artenschutz und Friedensmission. Afrikaweit ist die Zahl der Giraffen in den letzten dreißig Jahren vor allem infolge von Wilderei und Kriegen um vierzig Prozent gesunken. Von Giraffa camelopardalis rothschildi, einst weitverbreitet in Südsudan, Uganda und Kenia, gibt es heute nur noch 2000 bis 3000 Exemplare. Deshalb siedelte man vor zehn Jahren einige von ihnen auf einer Landzunge des Naturschutzgebietes „Ruko Community Conservancy“ an. Es erstreckt sich am Ostufer des Baringosees über 180 Quadratkilometer. In ihm leben nicht nur Wildtiere in Sicherheit, es hat auch zwei Volksgruppen versöhnt, die sich vorher bekämpften und nun hier zusammenarbeiten. Was damals eine Landzunge war, ist heute die schrumpfende Giraffeninsel. Wie bugsiert man nun solch ein Tier an Bord eines Floßes? Es kann rund eine Tonne wiegen, ein Bulle an die sechs Meter aufragen. Möglichkeit eins: Die Giraffe betritt das Floß von allein. Das muss trainiert werden. Dafür war im Falle der Giraffe, die das Wasser von der Herde isoliert hatte, keine Zeit. Blieb Möglichkeit zwei: Das Tier kurz zu Boden zu bringen, ihm Augen und Ohren zu verbinden und es dann an Bord zu führen. Giraffe Asiwa wurde also per Schuss betäubt, lief dann aber noch so weit, dass sie fast ins Wasser stürzte. Das Team des Schutzgebiets rannte hinterher und verabreichte ein Gegenmittel. Denn Giraffen dürfen nicht lange liegen: Der hohe Blutdruck, im Stehen nötig wegen der Körperhöhe, lasse im schlimmsten Fall ihr Hirn explodieren, sagt O’Connor, der an der Goethe-Universität Frankfurt zum Mobilitätsverhalten von Giraffen promoviert.
Wie ein Tyrann am Trog
Das Team verband Asiwa Augen und Ohren und dirigierte das wieder aufwachende Tier mit Seilen, die um die Schultern geschlungen und am Kopf befestigt waren, vorsichtig an Bord. Die Überfahrt war unproblematisch, wie auch bei den nachfolgenden Tieren. Diese sollten aber möglichst selbstständig an Bord gehen. Also hängten die Ranger einen Trog aufs Floß, das am Ufer des Eilands vertäut lag, und versuchten, die Tiere so an das Gefährt zu gewöhnen. Doch der einzige Bulle der Gruppe drängte die anderen ab, „er benahm sich wie ein Tyrann“, sagt O’Connor. Also sollte er als nächtes abreisen. Und das tat er. Stakste an Bord und mampfte auf der Überfahrt Akaziensamen – danach sind Giraffen geradezu süchtig. Augen- und Ohrenbinde: unnötig. Mittlerweile sind fünf Giraffen in dem für sie umzäunten Teil des Schutzgebiets angekommen. Die anderen vier sollen in Kürze folgen. Fünf plus vier – waren es nicht insgesamt acht? Richtig, waren. In all der Aufregung der steigenden Fluten war lange nicht aufgefallen, dass eine Giraffenkuh trächtig war. Auch ein Kalb wird also an Bord dieser Arche gehen.
Diesen Artikel finden Sie in der Ausgabe des Greenpeace Magazins 3.21 „Es ist angerichtet“. Diesmal servieren wir für unseren Schwerpunkt 50 Fragen und Antworten rund um Lebensmittel, Gesundheit, Umwelt und Ernährung. Das Greenpeace Magazin erhalten Sie als Einzelheft in unserem Warenhaus oder im Bahnhofsbuchhandel, alles über unsere vielfältigen Abonnements inklusive Prämienangeboten erfahren Sie in unserem Abo-Shop. Sie können alle Inhalte auch in digitaler Form lesen, optimiert für Tablet und Smartphone. Viel Inspiration beim Schmökern, Schauen und Teilen!