Wie rettet man ein Dorf nach seiner Rettung? Das sächsische Pödelwitz wäre fast der Braunkohle zum Opfer gefallen. Nun soll es zum Öko-Modelldorf werden. In Teil eins unserer Serie herrschte noch Feierlaune. In Teil zwei geht es vor allem ums Geld
Der Pödelwitzer Bach fließt durch Gras und Gestrüpp einmal quer durchs Dorf. Auf seinem Weg verschwindet er kurz unter einer baufälligen Brücke, die von Rissen durchzogen ist. Das Kreischen einer nahen Kreissäge übertönt das Glucksen des Wasserlaufs. Und in der Ferne auf der Bundesstraße 176, die den Tagebau Vereinigtes Schleenhain zerschneidet, rauscht der Verkehr. Es ist der Soundtrack eines fast verlassenen Ortes in der Ödnis der sächsischen Braunkohlelandschaft.
In Pödelwitz wurde kaum investiert, seit die zuständige Gemeinde Groitzsch 2012 einer Umsiedlung der Menschen zugestimmt hatte. Die meisten verkauften ihre Häuser an die Bergbaugesellschaft Mibrag und verließen den Ort, der dem Kohletod geweiht schien. Doch zehn Jahre später steht das Dorf immer noch. Es ist – nach langem Protest und politischem Druck – der wohl erste Ort, den der Kohleausstieg gerettet hat. Anfang 2021 stimmte die Mibrag zu, Pödelwitz zu verschonen. Inmitten von aufgerissener Erde im Leipziger Südraum überdauert es nun das Kohlezeitalter. Im vergangenen Jahr kamen viele Menschen aus den umliegenden Orten, aus Groitzsch, aus Leipzig und Dresden, um das zu feiern. Jetzt, da der Trubel verklungen ist, macht der Alltag sich breit. Pödelwitz liegt einsam da.
Auf der Dorfstraße steht ein Mann in einer orangefarbenen Warnjacke und raucht. Jakub Kozikowski ist für die lokale Netzbaufirma im Einsatz. „Wir sollen hier Breitband für schnelles Internet verlegen, aber für wen eigentlich, hier wohnt ja keiner“, sagt er halb zu sich selbst, halb zu zwei Personen, die gerade die Straße entlangkommen. „Wir wohnen hier“, sagt eine der beiden und bleibt stehen. Es ist die Aktivistin Kea Weber, sie und ihr Mitstreiter pendeln von ihrem Studienort Leipzig regelmäßig die zwanzig Kilometer hierher. Weber gehört zu jenen, die Pödelwitz als soziales, ökologisches Modelldorf wiederaufbauen wollen.
Noch acht Grundstücke im Ort sind bewohnt – von Menschen, die sich nicht vertreiben lassen wollten oder neu hinzugezogen sind. Was mit den übrigen Häusern und Höfen passieren soll, nun, da sie nicht „überbaggert“ werden, darüber hüllt sich die Besitzerin Mibrag in Schweigen. Für den Breitbandanschluss hat sie allerdings grünes Licht gegeben. „Die leerstehenden Häuser werden angeschlossen, so wie alle anderen auch“, sagt Netzbauer Kozikowski und zieht an seiner Zigarette.
In der Kleinstadt Groitzsch, acht Autominuten westlich von Pödelwitz, blickt Bürgermeister Maik Kunze (CDU) von seinem Büro im ersten Stock über den Marktplatz: kaum Leute, viele ordentlich verputzte Fassaden. Drinnen auf dem Schreibtisch liegen Stapel von Papier. „Das ist schon eine gute Sache“, lobt Kunze den Breitbandausbau. „Eine schnelle Internetanbindung ist wichtig in der heutigen Zeit.“ Bis 2023 sollen alle 29 Ortsteile von Groitzsch – einer davon ist Pödelwitz – Glasfaser haben. Und was zu Kunzes guter Laune beiträgt: Die Kosten dafür trägt der Netzbetreiber. Kosten sind sonst leider meistens ein Problem.
Der Bürgermeister läuft mit ausladenden Schritten vor seinem Panoramafenster auf und ab und redet sich über fehlende Haushaltsmittel in Rage: „Das ist doch absoluter Unsinn, man sollte die Kommunen finanziell ordentlich ausstatten und nicht immer dieses Windhunderennen um irgendwelche Fördertöpfe veranstalten.“
Die Gelder, über die eine Kommune frei verfügen kann, sind knapp bemessen. Für Vorhaben wie eine Brückensanierung, die in Pödelwitz dringend nötig ist und deren Kosten laut Kunze im niedrigen sechsstelligen Bereich lägen, müssen kleinere Gemeinden oft Förderung beantragen. Die verschiedenen Programme und Laufzeiten sind schwer zu durchdringen. Und ob ein Projekt Geld bekommt, ist häufig unklar. Manchmal scheitert es schon daran, dass es gar nichts zu verteilen gibt. „Momentan hat Sachsen die Fördermittel für kommunalen Straßen- und Brückenbau wegen der Coronakrise eingefroren. Und da gibt es auch keine Extrawurst für Pödelwitz, wir stehen hier quasi mit dem Rücken zur Wand“, bedauert Kunze.
Dabei gibt es eigentlich Geld: Vierzig Milliarden Euro hat der Bund lockergemacht, um den Strukturwandel in den Braunkohlerevieren zu unterstützen. Bis zum Kohleausstieg sollen die Mittel über verschiedene Förderprogramme in innovative Projekte fließen, um aus Kohlegebieten Zukunftsregionen zu machen, so steht es im „Strukturstärkungsgesetz“ von 2020.
Doch in Pödelwitz fallen die meisten Vorhaben durchs Raster: Ein Zentrum für Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen, wie es der Metallbauer Thilo Kraneis aufbauen will (siehe Greenpeace Magazin 6.21), könnte 25 neue Arbeitsplätze schaffen. Damit erfüllt es eine wichtige Voraussetzung, aber nicht alle: Es bräuchte unter anderem auch geeignete Räume für das Projekt, sonst gibt es kein Geld. Leerstehende Häuser finden sich in Pödelwitz zwar zur Genüge, aber es scheitert an der Besitzerin: Die Mibrag, der achtzig Prozent der Gebäude im Dorf gehören, vermietet und verkauft derzeit nicht.
Und für kommunale Infrastruktur wie alternde Brücken sind die Milliarden nicht vorgesehen, teilt das Bundeswirtschaftsministerium auf Anfrage mit. Während Autobahnen gefördert werden, bekommen Gemeinden für ihre Straßen kein Geld. Orte, die einst abgebaggert werden sollten und nun bleiben, kommen im Gesetz nicht vor. Sie sind der unwahrscheinliche Fall, an den keiner gedacht zu haben scheint.
In Pödelwitz stößt das auf Unverständnis, aber Kea Weber sieht darin auch eine Chance: „Dieses Fehlen von Infrastruktur können wir nutzen, indem wir uns selbst Strukturen aufbauen, die wir gut finden“, sagt die Studentin. Sie hat sich an einen Holztisch im Garten neben der Dorfkirche gesetzt und blickt auf die grob gezimmerten Regale ihrer Freiluftküche. „Oft hat man gar keine Wahl, wie man versorgt wird. Aber in Pödelwitz könnten wir das selbst gestalten. Wenn es Landwirtschaft vor Ort gibt, müssen wir seltener zum Supermarkt in die Stadt. Und zur Abwasserentsorgung können wir biologische Kläranlagen nutzen, das ist lokal und schafft Unabhängigkeit.“
Während die Beete in den verbliebenen Pödelwitzer Vorgärten wie mit dem Lineal gezogen daliegen, wächst es neben der Kirche wild und grün, Disteln stehen zwischen Bäumen und Büschen, an Kräuterbeeten stecken Holztafeln im Gras, auf denen „Wildwiese“ oder „Blühender Tümpel“ steht. Webers Gruppe betreibt hier einen Garten mit Schlafplätzen in einer Jurte und Werkstatt in einem Bauwagen. Die meisten pendeln und träumen davon, eines Tages ganz in Pödelwitz zu leben.
Doch ohne Geld kein Modelldorf: Um ihre Träume wahr zu machen, haben Kea Weber und andere sich zusammengetan und selbst nach Mitteln gesucht. So haben sie doch noch einen Weg gefunden, den Vierzig-Milliarden-Topf anzuzapfen. Mit kleinen Teilen davon kann das Bundesumweltministerium nachhaltige Projekte in Braunkohleregionen fördern. Mit dem Geld wollen die Träumenden unter anderem Workshops für eine solidarische Landwirtschaft finanzieren, feste Stellen für die Dorfentwicklung schaffen und ein Handbuch für andere gerettete Dörfer herausbringen.
Außerdem haben sie sich beim Land Sachsen als „Ort der Demokratie“ beworben. Sie wollen ein Begegnungszentrum mit Café und Bäckerei gründen und einen Runden Tisch organisieren, an dem Leute aus Dorf und Umland, der Bürgermeister von Groitzsch und, ja, auch die Bergbaufirma zusammenkommen.
Wenn alles klappt, werden so in den kommenden drei Jahren mehr als eine halbe Million Euro in den einst verloren geglaubten Ort fließen und erste Schritte möglich machen – hin zu einem lebendigen Dorf. „Wir haben die ganzen Antragsgeschichten ehrenamtlich gestemmt. Das war schon viel Arbeit mit tausend Nachreichungen, krasser Bürokratie, und das wird auch so stressig weitergehen.“ Kea Weber macht sich da nichts vor.
Mittlerweile ist die Sonne hinter den Höfen verschwunden. Weber will an diesem Abend noch nach Leipzig zurück, über die von Rissen durchzogene Brücke. Die Konstruktion wird noch eine Weile durchhalten müssen, denn bekanntlich gibt es keine Extrawurst für Pödelwitz.
Der Teil 2 unserer Pödelwitz-Serie ist in der Ausgabe 3.22 „Ich bin raus!" des Greenpeace Magazins erschienen. Im Schwerpunkt dreht sich hier alles um Menschen, die das Gefühl antreibt, dass es mehr geben muss als Eigennutz und eine Wirtschaft, die auf Ausbeutung basiert. Um diese Menschen kennenzulernen, haben wir das ganze Land bereist und dabei viel Optimismus erlebt, der Sie hoffentlich genauso inspiriert wie uns. Das Greenpeace Magazin erhalten Sie als Einzelheft in unserem Warenhaus oder im Bahnhofsbuchhandel. Alles über unsere vielfältigen Abonnements inklusive Prämienangeboten erfahren Sie in unserem Abo-Shop. Sie können alle Inhalte auch in digitaler Form lesen, optimiert für Tablet und Smartphone. Viel Inspiration beim Schmökern, Schauen und Teilen!