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Einig im Protest: Was Coronapolitik-Gegner und Extremisten verbindet Von Ulrich Steinkohl und Martina Herzog, dpa

Manche meditierten, manche warfen Flaschen, Regenbogen-Fahnen wehten und Reichsflaggen. Die Menschen, die am Wochenende in Berlin demonstrierten, scheint wenig mehr zu vereinen als ihre Ablehnung der Corona-Politik. Oder doch?

Berlin (dpa) - Es ist die symbolische Szene des Tages und das Gegenbild zum Wochenende, als Extremisten auf die Stufen des Reichstags drängten. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier steht am Montag zur Mittagsstunde im Großen Saal seines Amtssitzes - links und rechts von ihm eine Polizistin und fünf Polizisten in Uniform. Sie hätten «unter hohem persönlichem Risiko mit großer Professionalität Recht und Gesetz verteidigt», lobt Steinmeier. Stellvertretend für alle 3000 Beamte, die am Samstag bei den Corona-Demonstrationen in der Hauptstadt im Einsatz waren, hat er sie zu sich ins Schloss Bellevue eingeladen.

Ein Lob, das besonders den drei Beamten auf seiner rechten Seite gilt. Sie haben auf den Stufen des Reichstags die anstürmende Menge auf Distanz gehalten, bis sie von Kollegen Verstärkung erhielten. «Reichsflaggen, sogar Reichskriegsflaggen darunter, auf den Stufen des frei gewählten deutschen Parlaments, im Herz unserer Demokratie - das ist nicht nur verabscheuungswürdig, sondern angesichts der Geschichte dieses Ortes geradezu unerträglich», sagt Steinmeier. Er sieht in den Ausschreitungen - nicht nur am Reichstagsgebäude - einen weiteren Beleg dafür, welch «ernste Gefahr» der Rechtsextremismus in Deutschland ist, die es wirksam zu bekämpfen gelte.

Es gibt aber noch ein zweites Phänomen, das die Politik in diesen Corona-Zeiten aufschrecken lässt: Früher blieben Rechtsextreme bei Demonstrationen unter sich. Heute scheuen sich Menschen auch aus bürgerlichen Milieus nicht mehr, zu Demos zu gehen, bei denen absehbar auch das rechte Spektrum mitmarschieren wird. Zehntausende Menschen waren am Samstag in Berlin auf der Straße. Eine Reichsflagge hatte längst nicht jeder in der Hand - zu übersehen waren diese Symbole des wenig demokratischen Kaiserreichs aber auch nicht.

Doch wer dort zusammen auf die Straße geht, hat nicht einfach ein paar zufällige Gemeinsamkeiten entdeckt, erklärt der Psychologe Oliver Decker. «Man darf nicht unterschätzen, welche Überschneidungen es gibt zwischen gefestigten rechtsextremen Weltbildern und weiten Teilen der Gesellschaft», sagt der Direktor des Kompetenzzentrums für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung an der Universität Leipzig. «Verschwörungsmythen, Antisemitismus, eine Ablehnung der liberalen Demokratie finden Sie nicht nur bei Rechtsextremen.» Diese wiederum lebten auch nicht «auf dem Mars», sondern würden ihrerseits von gesellschaftlichen Entwicklungen beeinflusst. Er spricht von einer «gegenseitigen Verführung» zwischen denen, die Propaganda betreiben und ihrem Publikum.

«Das, was viele Menschen auf die Straße bringt, ist keine Kritik an Strukturen, zum Beispiel an Kürzungen im Gesundheitssystem», erläutert Decker. «Wer da demonstriert hat am Wochenende, der nimmt Teil an einer Auseinandersetzung, bei der Werte transportiert werden, die der liberalen Demokratie widersprechen.» Doch auch er räumt ein: «Es gibt ein berechtigtes Anliegen, über Corona und den Umgang damit empört zu sein.» Wie wäre das möglich, ohne mit Extremisten gemeinsame Sache zu machen? Die Antwort fällt auch Decker nicht leicht. Vielleicht eine eigene Demonstration anmelden und sich dabei abgrenzen, schlägt er vor.

Der Politikwissenschaftler Christian Welzel sagt: «Ich glaube, dass einige von denen, die am Wochenende in Berlin protestiert haben, noch einmal darüber nachdenken werden, mit wem sie in Zukunft auf die Straße gehen.» Er sieht in den Protesten auch eine Reaktion auf eine vermeintliche Alternativlosigkeit in der Corona-Krise. «Die Politik darf bei ihren Maßnahmen gegen Corona nicht zu stark mit dem Sachzwang argumentieren. Das rührt bei den Leuten an demokratische Gefühle», erklärt der Sprecher des Zentrums für Demokratieforschung an der Leuphana Universität Lüneburg. Darüber solle man aber nicht vergessen, dass der Rückhalt für den Regierungskurs weiterhin sehr hoch sei. «Das ist die schweigende Mehrheit.»

Nicht geschwiegen hat Karoline Preisler. Die FDP-Politikerin aus Barth an der Ostseeküste hat vor einem knappen halben Jahr eine Covid-19-Erkrankung durchgemacht und will über ihre Erfahrungen sprechen. So auch bei der Demonstration am Samstag in Berlin, wo sie Masken verteilte. «Ich habe niemanden überzeugt. Aber ich habe hoffentlich viele Menschen zum Nachdenken gebracht», sagt sie am Montag.

Nachdenken - das empfiehlt auch Steinmeier Corona-Gegnern bei künftigen Demonstrationen. Sein Verständnis ende da, «wo Demonstranten sich vor den Karren von Demokratiefeinden und politischen Hetzern spannen lassen», sagt er im Schloss Bellevue. «Wer auf den Straßen den Schulterschluss mit Rechtsextremisten sucht, aber auch wer nur gleichgültig neben Neonazis, Fremdenfeinden und Antisemiten herläuft, wer sich nicht eindeutig und aktiv abgrenzt, macht sich mit ihnen gemein.»

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