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«Stachel im Fleisch der Amtskirche» - 25 Jahre «Wir sind Kirche» Von Britta Schultejans, dpa
Vor einem Vierteljahrhundert wurde die Reformbewegung «Wir sind Kirche» gegründet. Heute sind ihre Forderungen nach Frauen im Priesteramt und einer liberaleren Sexualmoral so populär wie wohl noch nie. Ihre Arbeit macht das aber nicht einfacher.
München (dpa) - Die Reformdebatte in der katholischen Kirche in Deutschland ist heute so weit fortgeschritten wie wohl noch nie. Im Rahmen des sogenannten «Synodalen Weges» befassen Bischöfe, Priester, Ordensleute und Laien sich derzeit mit genau den Fragen, die die Reformbewegung «Wir sind Kirche» schon vor einem Vierteljahrhundert laut gestellt hat. Doch auch 25 Jahre nach ihrer Gründung sieht die Bewegung ihre Arbeit damit noch nicht getan. «Es ist enttäuschend, dass es im Umgang mit dem Missbrauchsskandal immer noch ein unendliches Zögern gibt», sagt der Sprecher der Bewegung, Christian Weisner, der Deutschen Presse-Agentur in München. «Es wird immer wieder vertröstet und vertröstet. Immer wieder gibt es neue Gespräche, aber zu wenig Taten.»
Der Kampf gegen sexuellen Missbrauch in der Kirche war es, der vor einem Vierteljahrhundert zur Gründung von «Wir sind Kirche» führte. Zwar nennt die Bewegung als ihren offiziellen Gründungstag den 27. Januar 1996, der Grundstein wurde aber schon knapp ein halbes Jahr früher mit dem Start des Kirchenvolksbegehrens für Reformen in der katholischen Kirche am 16. September gelegt, das bis zum 12. November des Jahres mehr als 1,8 Millionen Menschen in Deutschland unterschrieben. Vorausgegangen war dem Volksbegehren der Missbrauchsskandal um den Wiener Kardinal Hans Hermann Groer.
Zu den Erstunterzeichnenden des deutschen Kirchenvolksbegehrens gehörten damals der Theologe Hans Küng, Sportreporter Dieter Kürten, die damals amtierende Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth, der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel und der spätere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse.
Die fünf Forderungen der Bewegung umfassen - damals wie heute - den Abbau klerikaler Machtstrukturen, die Öffnung des Priesteramtes für Frauen, die Abschaffung des Eheverbotes für Priester (Pflicht-Zölibat), eine «menschenfreundliche Sexualmoral» und den Punkt «Frohbotschaft statt Drohbotschaft». «Wir möchten Schrittmacher für eine zukunftsfähige Kirche sein», sagt Weisner.
Die frühere Religionslehrerin Maria-Anna Berg ist seit 15 Jahren in der Bewegung dabei. «Irgendwann ist auch der Punkt erreicht, wo wir in der Kirche engagierten Frauen keine Lust mehr haben, nur den Kuchen für die Pfarrgemeinde zu backen», sagt sie. «Da geht es viel um Macht und Machtabgabe - und Macht wird nie freiwillig abgegeben», sagt sie.
Ohne Reformen sieht die Zukunft der Kirche aus ihrer Sicht und der ihres Mitstreiters Weisner düster aus: «Wenn wir da nicht die Kurve kriegen, gehen die Menschen weiter einfach in Scharen davon. Das ist ein großer Verlust in der Kirche, der unendlich zu bedauern ist», sagt Weisner. «Mit welchen totalitären, frauenfeindlichen und homophoben Regimen sich die Kirche gleichstellt, ist doch erschreckend.»
Von einem «Stachel im Fleisch der Amtskirche» spricht der Kirchenrechtler Thomas Schüller, Direktor des Institutes für Kanonisches Recht an der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster: «Ziel von «Wir sind Kirche» ist die beständige Reform der katholischen Kirche von einer absolutistischen Wahlmonarchie in einem männerbündig-klerikalen System zu einer partizipativen-demokratisierten Gestalt von Kirche, wo Frauen und Männer gleiche Rechte besitzen. Darum fordert diese Bewegung auch eine grundlegende Änderung des Kirchenrechts, weil sie genau erkannt hat, dass das Kirchenrecht die bisherigen Machtansprüche klerikaler Männer absichert.»
Das Engagement von «Wir sind Kirche» gegen Missbrauch würdigt auch Johanna Stöhr von der konservativen Bewegung «Maria 1.0», die in der Debatte um kirchliche Reformen oft kaum weiter von «Wir sind Kirche» entfernt sein könnte. Aber: ««Wir sind Kirche» hat zum Beispiel zehn Jahre lang das sogenannte «Wir-Sind-Kirche-Not-Telefon» betrieben, das von Opfern sexualisierter Gewalt durch Priester und Ordensleute in Anspruch genommen werden konnte», sagt Stöhr. «Das ist eine wirklich gute Sache zur Aufarbeitung und vor allem die Sorge um die Opfer ist ein zu würdigender Aspekt.»
Paradoxerweise zeigt sich aber gerade in einer Zeit, in der die Forderungen von «Wir sind Kirche» so weit in den kirchlichen Mainstream vorgedrungen sind wie wohl noch nie zuvor, eine gewisse Sorge um den Nachwuchs. Auch wenn Weisner betont, in der Jugend viel Unterstützung zu finden - eine ganz junge Bewegung ist «Wir sind Kirche» nicht mehr. «Inzwischen ist diese Bewegung eine zahlenmäßig immer kleiner werdende Gruppe von zumeist älteren, konzilsbewegten katholischen und evangelischen Christinnen und Christen, die sich engagiert in katholische Reformdebatten einbringt», analysiert Schüller von der WWU Münster. «Sofern junge Katholikinnen und Katholiken sich überhaupt noch für Themen der katholischen Kirche interessieren, spielt «Wir sind Kirche» faktisch keine Rolle, weil diese Generation mit den wenig weiterführenden Etikettierungen in progressiv und konservativ wenig anfangen kann.»
An Nachwuchs mangelt es etwas, sagt auch Berg. «Die jungen Leute, die engagiert sind, sind primär an der Umwelt- und Klimakrisenthematik interessiert. Die Kirche hat nicht nur zu vielen Frauen, sondern auch zu jungen Menschen den Kontakt verloren.»