Wenn Arten verschwinden, wandeln sich Ökosysteme oft schleichend – es sei denn, eine sogenannte Schlüsselart ist betroffen. Anschaulicher ist das englische Wort „keystone species“: Wie der Schlussstein eines Torbogens verleiht eine solche Art dem System Stabilität, ihr Verlust ändert alles. Oft denkt man dabei an große Beutegreifer wie den Wolf, dessen Ausrottung – oder Rückkehr – Folgen für die gesamte Tier- und Pflanzenwelt hat. Doch auch der Verlust kleiner Arten kann ökologische Kettenreaktionen auslösen, wie ein Team um den kenianischen Zoologen Douglas N. Kamaru jetzt im Fachblatt „Science“ eindrucksvoll gezeigt hat. Am Anfang einer dort beschriebenen Kaskade stehen Insekten, am Ende die Könige der Tiere, die notgedrungen ihr Jagdverhalten ändern. Aber der Reihe nach.
„Nahezu jede Art auf der Welt lebt in Symbiose mit anderen“, erklärt Kamaru. „Das gilt auch für die Flötenakazie, die in weiten Teilen Ostafrikas dominante Baumart.“ An der Basis der Dornen an ihren Zweigen bilden die Pflanzen auffällige Wohnhöhlen für Ameisen der Gattung Crematogaster aus, die sie überdies mit Nektar versorgen. Weht der Wind durch die Höhlenöffnungen, entsteht ein Pfeifen, daher der Name der Bäume. Im Gegenzug verteidigen die Ameisen sie mit einem hochwirksamen Abwehrsekret gegen hungrige Giraffen und Elefanten.
In Ostafrika breitet sich jedoch seit Jahrzehnten die aggressive Großkopfameise Pheidole megacephala aus, eingeschleppt von einer Insel im Indischen Ozean. Sie tötet die Crematogaster-Ameisen, frisst deren Eier und Larven, ist jedoch zur Verteidigung der Akazien nicht in der Lage. In der Folge können sich an deren Blättern und Borke ungestört Elefanten laben, stoßen die Bäume dabei aber oft um.