Liebe Leserinnen und Leser,

kennen Sie Eisblumen? Ich meine jetzt nicht die gleichnamigen Pflanzen, sondern die zarten blütenartigen Gebilde, die bei Frost an Fensterscheiben entstehen. Falls ja, sind Sie vermutlich nicht mehr ganz jung, denn heute dürfte es Eisblumen höchstens noch morgens an Autoscheiben geben. Auf doppelt oder mehrfach verglasten Fenstern blühen sie nicht.

Als Kind fand ich die Eisblumen am Wintermorgen zwar hübsch, wusste dann aber: Es ist, pardon, arschkalt. Nicht nur draußen, sondern auch in dem kleinen gemieteten Häuschen, das wir bewohnten. Eigentlich ein Sommerdomizil auf Sylt, wohin es meine Familie zu Kriegsbeginn verschlagen hatte. Sommergäste machten sich gerade rar. Es gab nur einen einzigen Kohleofen im Wohnzimmer, der vom Keller aus gefüttert werden musste. Kalte Füße waren das eine, aber gern froren auch mal Wasserrohre ein und platzten hin und wieder. Für Notfälle gab es in den nicht beheizbaren Zimmern Heizsonnen mit glühend heißen Spiralen, denen man nicht zu nahekommen durfte, sowie elektrische Heizkissen. Alles aus heutiger Sicht, energetisch gesehen, das Grauen. Dafür gab es weder Kühlschrank noch Waschmaschine, geschweige denn Trockner oder Geschirrspüler. Nur einen Elektroherd, ein paar Lampen und ein Radio. Und reichlich Ermahnungen: Tür zu! Fenster zu! Licht aus!

Die eigene Haushälfte, die wir später bewohnten, war architektonisch wie energetisch kein Glanzstück, in meinen Augen aber der pure Luxus. Im Keller machte sich ein Öltank wichtig, der im Gegensatz zu mir (die Sommergäste waren zurück) ein eigenes Zimmer hatte, das ganze Haus heizte und auch warmes Wasser lieferte, in die Küche war ein Kühlschrank eingezogen, und irgendwann gab es sogar eine Waschmaschine. Eisblumen wurden keine mehr gesichtet.

In Hamburg feierte ich als Studentin ein Wiedersehen mit Kohleöfen und einfach verglasten Fenstern. Das ging jahrelang in Ordnung, aber als Werktätige fand ich es dann lästig. Zum Feierabend war es kalt, ständig musste man Kohlen schleppen, mit Papier und Anmachholz hantieren und vor allem: Asche entsorgen, eine mir gründlich verhasste Tätigkeit. Bis wir, mein damaliger Freund und heutiger Ehemann und ich, es satthatten und mit Genehmigung des renovierungsunwilligen Hauswirts auf unsere Kosten eine Gasheizung einbauen ließen. Unser privater Kohleausstieg! Welch kluge Investition, wir klopften uns selbst auf die Schultern.

Doch jetzt füllen wir, ebenso wie die anderen Mietparteien im Haus (mittlerweile sind die Kohleöfen Geschichte) sowie Abermillionen anderer Haushalte in Deutschland und in Europa, unwillentlich die Kriegskasse Wladimirs des Schrecklichen im fernen Moskau. Halten zu Gnaden: An uns lag es nicht! Der Krieg in der Ukraine tobt seit einigen Monaten, die Klimakrise hingegen schreitet seit vielen Jahrzehnten relativ ungehindert voran. Im Gegensatz zur viel beschworenen Energiewende, die jahrzehntelang so selten gesichtet wurde wie Brigadoon.

Bis all die Windräder und Solaranlagen installiert und die Gebäude energetisch saniert sind, wird leider noch viel Zeit vergehen und neben dem Geld in der Haushaltskasse auch mancher Gletscher geschmolzen sein. Bis wir alle in gut gedämmten Häusern mit Wärmepumpen und Wohnungen mit Solarpaneelen auf dem Dach wohnen, jedes Gerät supereffizient und jedes Transportmittel umweltfreundlich ist, heißt es: Auf zur energetischen Schnäppchenjagd, jetzt wegen der steigenden Preise ein lohnendes Unterfangen.

Energiesparen“, das klang lange Zeit und klingt für viele noch immer nach Verzicht, Askese, Komfortverlust, vor allem, wenn in diesem Zusammenhang auch noch das Wort „Tempolimit“ fällt. US-Präsident Jimmy Carter, der 1977, in Wolljacke am Kamin sitzend, seine Landsleute zum Strom- und Benzinsparen und zur Isolierung ihrer Häuser aufrief und ein ehrgeiziges Forschungs- und Energiesparprogramm auflegte, konnte damit jedenfalls nicht punkten. Sein Nachfolger Ronald Reagan, mit freundlicher Unterstützung der Ölindustrie ins Weiße Haus gelangt, machte den ersten zarten Erneuerbare-Energien-Pflänzchen den Garaus. Und in Deutschland betete noch 1994 die studierte Physikerin und Umweltministerin Angela Merkel nach, was die Atomindustrie in Anzeigen behauptet hatte, dass nämlich der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung hierzulande nie mehr als vier Prozent erreichen könne (heute beträgt er mehr als das Zehnfache). Große Anstrengungen in Sachen Energieeffizienz sind von ihr nicht überliefert.     

Seufzend wirft die Verbraucherin also den CO2-Rechner an, füttert ihn mit Strom- und Gasverbrauch und freut sich über die zweitbeste Kategorie im grünen Bereich, aber ein paar Kilowattstunden weniger wären wohl noch drin. Die Energiespartipps sind dieselben wie  vor 30 oder 40 Jahren: Kühlschrank nicht neben den Herd stellen, elektronische Geräte nachts abschalten, sparsame Lichtquellen nutzen, Wäsche an der Luft trocknen, lieber kurz duschen als lange baden, zum Ökostromversorger wechseln…Irgendwer da draußen, der das noch nicht macht? Und wird es uns wirklich weiterbringen? Plötzlich meint man eine Stimme aus noch fernerer Vergangenheit zu vernehmen: Tür zu! Fenster zu! Licht aus!

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Unterschrift

Kerstin Eitner
Redakteurin