Liebe Leserinnen und Leser,

ein Protestcamp wurde geräumt. Das dauerte ein bisschen: Menschen hatten sich hoch in den Bäumen oder in Baumhäusern verschanzt, saßen auf sogenannten Mono- oder Tripods. Es ging um Klimaschutz. Ja klar, höre ich Sie sagen: Lützerath, Braunkohle, Tagebau Garzweiler.

Diesmal nicht. Die Räumung fand ein ganzes Stück weiter südöstlich statt, im Fechenheimer Wald, der zum Frankfurter Stadtgebiet gehört, und das Thema war ein anderes: 2,7 Hektar Forst mit rund 1000 Bäumen sollen für einen 1,1 Kilometer langen Tunnel fallen. Dieser soll die Autobahnen 66 und 661 verbinden und liegt etwas abseits der öffentlichen Wahrnehmung. Weniger Protestierende, weniger Prominenz, weniger Presse. Aber deshalb nicht unwichtig.

Hier haben wir nämlich ein weiteres Relikt des fossilen Zeitalters, das wir doch eigentlich hinter uns lassen wollten. Wer weiß, vielleicht passt es manchen ganz gut in den Kram, dass alle Scheinwerfer auf Lützerath gerichtet sind. Im medialen Halbschatten lassen sich gemütlich Tunnel bohren und Verkehrswege asphaltieren. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) ist sich jedenfalls mit sich selbst einig, dass es nicht nur an Schildern für Tempo 130 mangelt, sondern definitiv auch an Straßen, was sich seiner Ansicht nach dringend ändern muss.

Schaut man sich die Besetzungsliste des Autogipfels vom 10. Januar im Kanzleramt an, Tarnbezeichnung „Spitzengespräch der Strategieplattform Transformation der Automobil- und Mobilitätswirtschaft“ (O-Ton Regierungssprecher Steffen Hebestreit), dann sieht man: Mobilität ist hierzulande immer noch vor allem Automobilität. Anwesend waren bei dem Treffen mit ein, zwei Ausnahmen ausschließlich Vertreter und Vertreterinnen von Auto- und Zulieferindustrie plus Gewerkschaften. Bahn, ÖPNV und Fahrrad fanden hier nicht statt, sehr zum Missfallen der entsprechenden Verbände.

Es ging hauptsächlich darum, wie man mehr E-Autos auf die vielen schönen Straßen bringt, wie also das Ziel von 15 Millionen stromgetriebenen Pkw bis 2030 erreicht werden kann, die dann wohl zu den (bislang) 48 Millionen benzin- und dieselgetriebenen Privatfahrzeugen hinzukommen. Über den Abbau von Subventionen und Steuerbegünstigungen für Letztere wurde nicht gesprochen.

Mir als Radfahrerin und Gelegenheitsfußgängerin in der Stadt ist es ziemlich wurscht, ob mir ein strom- oder benzinbetanktes Auto Vorfahrt und Platz wegnimmt. Zwar sind neuerdings rote Streifen auf ein paar Straßen in meiner Umgebung gepinselt worden, auf denen ich jetzt ganz offiziell mit dem Rad fahren darf – sogar auf der Reeperbahn, dass ich das noch erleben darf! –, trotzdem wüsste ich gern, wie darüber hinaus die von mir und ähnlich Gesinnten ersehnte Straßenbefreiung und -befriedung aussehen könnte. Sitzen, flanieren, picknicken, plaudern, spielen, es ergäben sich ungeahnte Möglichkeiten.

Das geht nicht über Nacht, aber Instrumente wie Anwohnerparken und die generelle Verteuerung des Parkens würden helfen, denn die meiste Zeit fährt das Auto ja nicht, sondern steht herum. Oft sogar völlig kostenfrei auf einem der zahlreichen Parkplätze, die mit elf Quadratmetern etwa so groß sind wie ein Kinderzimmer und sehr viel größer als die meisten Gefängniszellen. Wie so eine Parkraumbewirtschaftung funktionieren kann, zeigt das Beispiel Tübingen. Dann wäre da noch der Ausbau des ÖPNV, bitte auch und gerade in ländlichen Gebieten, und die Sanierung der Bahn.

Über einen Mangel an klima- und energiepolitischen Großbaustellen können wir uns auch abseits der Verkehrswege nicht beklagen. Stromleitungen. Windräder. Wasserstofftechnik. Sowie, sozusagen als Unterbau, das im Oktober angekündigte und bislang schmerzlich vermisste Energieeffizienzgesetz. Und damit auch wirklich jede Kommune bei der Transformation mitmachen kann, fordern Gewerkschaften, Umweltorganisationen, Sozial- und Kommunalverbände eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes, denn bislang darf der Bund den Klimaschutz auf kommunaler Ebene nicht mitfinanzieren.

Da trifft es sich, dass Justizminister Marco Buschmann (FDP) soeben das „LNG-Tempo“ als neue „Richtgeschwindigkeit bei Planung und Genehmigung“ proklamiert hat. Fein. Nun gilt es noch eine Formel zu finden, die bei Infrastrukturprojekten den Klima- und Umweltschutz sowie die Hebung der Lebensqualität priorisiert. Nicht dass mir nachher der Straßenbau als kleinster gemeinsamer Nenner rauskommt. Sollen sich mal mathematisch Begabtere damit beschäftigen. Meinetwegen darf das Ergebnis gern im Bereich von 2 LNG liegen, mindestens.

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Unterschrift

Kerstin Eitner
Redakteurin