Wegweiser
Charlotte Ohonin
Organ-Modelle aus der Petrischale statt Tierversuche
Es gab eine Zeit, da wusste Charlotte Ohonin nicht, ob ihre Idee jemals umgesetzt würde. Fachleute lobten ihr Projekt, Unternehmer zeigten sich begeistert, Politikerinnen klopften ihr auf die Schulter. Doch niemand war bereit, dieser Frau Anfang dreißig, die in Ghana geboren wurde, mit neun Jahren nach Deutschland kam und noch im Medizinstudium steckte, Geld zu geben.
Dabei forscht Charlotte Ohonin an einer Technologie, die viele Versuche mit Ratten oder Mäusen unnötig machen könnte. Sie entwickelt Organoide, künstliche Minimodelle von Organen, zum Beispiel einem Gehirn, einer Leber oder einer Niere. Mithilfe dieser millimeterkleinen Organe könnten sich gezielt Medikamente und Therapien entwickeln lassen, etwa gegen Alzheimer. Bisher üblich bei der Gewebezucht im Labor sind zweidimensionale Zellverbände. In Organoiden hingegen wachsen die Zellen auch übereinander und können so das Gewebe realistischer in 3D abbilden. Und weil individuelle Stammzellen verwendet werden, erhielte jeder Mensch eine auf ihn abgestimmte Behandlung, was bei Tierversuchen nur begrenzt möglich ist.
„Es ist fantastisch, dass wir das Gewebe so züchten können, dass es die natürliche Komplexität imitiert“, sagt die Molekularbiologin. Dass die Technologie Tierversuche bald ganz ersetzt, ist noch nicht zu erwarten, da sie bislang nicht den ganzen Organismus abbilden kann. Aber sie könnte einigen Tieren Tod und Leid ersparen.
Zuerst züchtete Ohonin eine Netzhaut aus Stammzellen und kombinierte sie mit der Organ-on-Chip-Technologie, die Funktion und Verhalten von Körperteilen simuliert. Dann gründete sie ihr Start-up Norganoid im österreichischen Graz. Doch das Geld fehlte. Weil das Projekt an keine Institution wie eine Uni angebunden war, sei öffentliche Förderung so gut wie unmöglich gewesen, sagt Ohonin. Sie gab nicht auf, forschte tagsüber und kellnerte nachts, arbeitete nebenher in einem Büro, pumpte Freunde und Verwandte an. „Keine leichte Zeit“, erzählt Ohonin. Doch sie sagte sich: „Mach weiter, du schaffst das.“
Inzwischen hat Norganoid einen ersten Kunden, und Ohonin ist in Gesprächen mit einem Investor. Bis 2025 will die Forscherin ein komplettes System entwickelt haben – und damit viele Tierversuche unnötig machen.