Wegweiser

Hannah Eberhardt

„Es ist schade, wenn Familien aus Unsicherheit nicht Rad fahren“
Hannah Eberhardt

Der Weg zum autofreien Elternglück

Hannah Eberhardt kommt ohne Warnweste, ihren Helm hat sie vergessen und an ihrem Gepäckträger klemmt auch keine Schwimmnudel, die Autos auf Abstand halten soll. Wie eine Fahrradaktivistin wirkt sie also nicht. In ihrer Arbeitszeit berät die Diplom-Geografin Behörden, Schulen und Firmen zu Mobilität, in ihrer Freizeit bringt sie Eltern und Kinder aufs Rad. In einem Heidelberger Kellerraum steht der Fuhrpark ihres Vereins „Fahrrad & Familie“, den sie vor sechs Jahren gründete und der heute rund zwanzig Mitglieder hat: zwei Lastenräder, ein E-Bike, Fahrradanhänger, Kindersitze für vorne und hinten, dazu Laufräder, Babyschalen, Kupplungen – und Broschüren.

Laut einer Umfrage besaßen 2023 neun von zehn Familien mindestens ein Auto. Das muss nicht sein, findet Eberhardt. Einmal im Monat lädt ihr Verein zum Proberadeln ein. Dann können Eltern den autofreien Familienalltag üben: an- und abkoppeln, Sitze anbringen, Kind einladen, Lastenrad parken. „Es ist schade, wenn Familien aus Unsicherheit nicht Rad fahren“, findet sie. Dabei ließen sich viele Bedenken abbauen: Ab wann darf man ein Baby mitnehmen? Schaden Erschütterungen der Wirbelsäule? Wie sicher ist das Kind bei einem Unfall? Eberhardt forschte drei Jahre lang zum Thema: Sie befragte Schwangere und Eltern, sprach mit Hebammen, Kinderärztinnen und Fahrradhändlern. Bei Babys etwa, die ihren Kopf selbst halten können, hätten die Ärzte kaum Bedenken, sagt sie – solange die Kinder gut gefedert sind.

Eberhardt selbst pendelte noch hochschwanger mit Zug und Klapprad zur Arbeit. Als ihr Sohn drei Monate alt war, fuhr er im Anhänger mit. Untypisch, erklärt sie: Selbst radaffine Mütter gingen mit Baby öfter zu Fuß oder nutzten das Auto. Väter hingegen blieben meist bei ihren bevorzugten Verkehrsmitteln. Ganz ungefährlich ist Radfahren mit Kindern nie: 2022 verunglückten in Deutschland 9287 Kinder unter 15 Jahren mit dem Fahrrad. Sechs von ihnen starben. Daher will Eberhardt nicht nur beraten. Zweimal im Jahr organisiert ihr Verein eine „Kidical Mass“ – eine Familien-Fahrraddemo. Dass Eltern mutig sein müssen, glaubt sie trotzdem nicht. Selbstbewusstsein aber hilft: „Lieber Platz beanspruchen, nie ganz rechts fahren!“, rät sie.

Die Eltern seien oft begeistert. Kürzlich kehrte eine Mutter strahlend von der Testfahrt zurück, weil sie zum ersten Mal seit sechs Monaten Fahrrad gefahren war. Gerade baut der Verein ein bundesweites Netzwerk auf. Damit sich noch mehr Familien die Straßen zurückholen.

Hannah Eberhardt