Wegweiser
Sandra Müller
Hör mal, was da piept
Was verraten das Zirpen der Feldgrille, der Ruf des Bienenfressers oder ein stiller Sommernachmittag im Weinberg über das Ökosystem? Sandra Müller sagt: sehr viel. Denn statt die Natur nur mit den Augen zu erforschen – Arten zu zählen und zu bestimmen –, lauscht Müller dem Sound der Natur. Dazu hängt sie Aufnahmegeräte für ein paar Wochen oder Monate in Wald und Flur auf und wertet die Tonspuren aus. Die Biologin von der Uni Freiburg arbeitet im jungen Forschungsfeld der „Soundscape“-Ökologie, die Klanglandschaften untersucht.
Ein aktuelles Projekt der 43-jährigen Forscherin: Müller und ihr Team haben Audiorekorder in einem Weinberg angebracht. Auf einem Teil der Flächen wird zwischen den Weinstöcken mit Maschinen gemäht und gemulcht, auf dem anderen weiden seit zwei Jahren Schafe. Die unterschiedliche Bewirtschaftung macht einen hörbaren Unterschied. „Auf den beweideten Flächen konnten wir eine um etwa achtzig Prozent gestiegene akustische Aktivität von Feldgrillen und Heuschrecken messen, und man hört auch etwas mehr Gesang von Vögeln wie Amseln, Meisen und Stieglitzen“, sagt Müller.
Bei der Auswertung helfen ihr Algorithmen, die anhand der Geräuschkulisse einen Klangindex berechnen, der Aufschluss über Arten und Zahl der belauschten Tiere gibt. „Die so erhobenen Daten sind zwar gröber als direkte Beobachtung“, erklärt Müller. „So können wir aber an vielen Orten gleichzeitig forschen und haben mehr Daten zur Verfügung.“ Wo Ökologinnen sonst stundenlang im Feld liegen und den richtigen Zeitpunkt abpassen müssen, können die Aufnahmegeräte wertvolle Vorarbeit leisten.
Ein weiterer Vorteil: Bei einer Expedition hängten Forschende Müllers Rekorder im Regenwald in Panama auf, ohne dass sie selbst nach Mittelamerika reisen musste. Um das schwer zugängliche Urwaldgebiet zu beschreiben, wertet sie die Dschungelklänge nun in ihrem Freiburger Büro aus. „Auf diesen Datenträgern liegt ein unglaublicher Schatz“, sagt Müller, ein Gewinn für die Wissenschaft, aber auch für sie persönlich. „Aufnahmen wie diese zeugen vom Naturreichtum unserer Welt. Das kann man nicht hören, ohne davon berührt zu sein.“